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Volltext: Alte und Moderne Kunst IX (1964 / Heft 72)

Dem Beispiel der Khalifen, Künstler und Baumeister von allen 
ieiten für die Errichtung und Ausschmückung ihrer Residenzen herbei- 
zuholen, folgten auch die Statthalter und Gouverneure der verschiedenen 
linder des Reichs. Ihre provinzialen Residenzen wurden ein Abbild 
ler Hauptstadt: sie errichteten Paläste, Moscheen und Wohnhäuser 
m Stil der Khalifenresidenz und ließen sie in derselben Weise aus- 
schrnücken und einrichten, bis herab zu den täglichen Gebrauchs- 
gegenständen, die sie von auswärts bestellten oder lokal anfertigen 
ießen. 
Auf diese Weise fand innerhalb des islamischen Reiches ein Austausch 
zler verschiedensten künstlerischen Techniken und Stilarten statt. Das 
zrgab sich aus dem Austausch von Künstlern und dem Transport von 
Kunstgegenständen über große Strecken im Rahmen des Reiches. 
Fördernd und grundlegend für diese Entwicklung war die geistige 
Einheit, die mit dem Postulat der Verbreitung des Korans in seiner 
Ursprache, also Arabisch, eng zusammenhing. Dadurch wurde die 
arabische Sprache in allen islamischen Ländern in dem Maße eine 
Lingua Franca, ja fast noch mehr, wie es das Latein im mittelalter- 
lichen Christentum war. Mit der arabischen Sprache wurde natürlich 
auch die arabische Schrift von Anfang an und überall zum Allgemein- 
gut. Ein weiterer einigender Faktor war in gewissem Maße die ge- 
meinsame Pflicht der Pilgerfahrten nach Mekka für alle Gläubigen, 
die eine Verbindung zwischen Völkern ganz verschiedener Abstammung 
schuf und keine Rassenunterschiede kannte. 
Die Araber übernahmen das geistige Erbe der in Syrien und Ägypten 
vorherrschenden hellenistischen Kunst und Kultur und auch der Kultur 
und Kunst der Sasaniden (226-641 n. Chr.) in Persien. Den Formen- 
schatz aller eroberten Länder haben sie assimiliert und weiterent- 
wickelt und sich zu eigen gemacht. Die geistige Inspiration der isla- 
mischen Kunst ging also von Arabien aus, ihre materielle Formung 
jedoch von andern Ländern, in denen Kunst bereits eine vitale Rolle 
spielte und auf alten Traditionen beruhte. 
Auf diesen Grundlagen hatte sich eine islamische Kultur entwickelt 
und war eine islamische Kunst mit ausgeprägtem Eigencharakter 
entstanden, die alle islamischen Länder in einer künstlerischen Einheit 
verband. Diese Einheit, die in einer jede Entgleisung ausschließenden 
stilistischen Beherrschtheit und Sicherheit wurzelt, gibt den islamischen 
Kunstwerken ihren Reiz, der sie zu allen Menschen und allen Zeiten 
sprechen läßt. 
 
2 Keramikschalc mit oliv- 
farbzncr Lüstcrmalcrei. In 
du Mitte die knapp und 
eindrucksvoll skizzierte 
Figur einer schwimmen- 
den Gans. 9. 1h. 
3 Die Dekorzrion dieser 
Lüsterkrramikschal: zeig: 
ein: mir gekrtuzltn Bei- 
nen hocktndc Lauten- 
spiclcdn, die träumerisch 
versunken in ihr Spid zu 
sein scheint. iLIh. 
Wenn wir den Entwicklungsgang dieser künstlerischen Einheit von 
ihren Anfängen her näher betrachten, so finden wir, daß der Stil 
während der Llmayyadenzeit noch vorwiegend hellenistisch beeinHußt 
ist. Das ist erklärlich, denn die Umayyadenhauptstadt Damaskus lag 
in einem Gebiet, das der hellenistischen Kultursphäre angehört hatte. 
Von den Wohnstätten und Palästen der Umayyaden in Damaskus ist 
nichts erhalten, und wir wissen nicht, wie sie ausgesehen haben. Doch 
haben wir die Ruinen von einigen ihrer jagdschlösser und Lager- 
plätze in der XWüste, wohin die Khalifen sich oft zurückzogen. Es ist 
anzunehmen, daß durch das gebräuchliche System der Leiturgie, also 
die Lieferung von Material und Arbeitskräften aus allen Gegenden 
des Reiches, auch hier Künstler und Baumeister herangezogen wurden, 
die in der Hauptstadt tätig waren. Die erhaltenen Dekorationsftirmen 
dieser jagdsehlösser und Lagerplätze geben uns einen Einblick in das 
künstlerische Schaffen der Epoche. 
Als nun die Abbasiden ihre Dynastie begründeten, wurden sie politisch 
stark von ihren persischen Anhängern unterstützt. Ihre Hauptstadt 
Baghdad lag in einem Gebiet, in dessen Kunst noch die sasanidische 
Tradition lebendig war. 
Mit dem Aufblühen von Baghdad war eine lebhafte künstlerische 
Tätigkeit, gefördert von den Abbasidenkhalifen, verbunden. Vom 
alten Baghdad haben wir kaum Überreste, die uns einen Einblick in 
das künstlerische Schaffen der Epoche geben können. Doch mit der 
Entdeckung und Ausgrabung von Samarra ist uns das wichtigste 
Material gegeben, um uns eine Vorstellung von der Kultur und Kunst 
dieser frühislamischen Glanzzeit zu machen. 
Samarra wurde 836 gegründet und blieb für etwa fünfzig Jahre die 
Residenz der Abbasiden und wurde dann wieder aufgegeben zugunsten 
v?" Blghdad. Was die Ausgrabungen von Samarra für uns auch noch 
Wichtig macht, ist die Tatsache, daß wir hier eine zuverlässige Da- 
lienmg innerhalb der fünfzig Jahre für die Funde haben. 

	        
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