530
die Götter, Wuotan als Schimmelreiter voran, durchzogen die Erde. Im Dunkel der Loos
nächte wird darum nach der Volksanschauung alle geheime und übersinnliche Gewalt reg-
und wegsam und tritt dem Menschen in verschiedenen Gestalten und Beziehungen näher
als sonst. Fast Alles in der Natur in dieser Zeit wird der Volksphantasie zum Träger
und Vermittler des Übernatürlichen, Geisterhaften. Haus und Hof, Luft, Erde, Feuer und
Wasser erfüllen sich mit den ihres Bannes entbundenen geheimnißvollen Kräften, und wie
der Grieche Homers das ganze Naturleben mit seinen Göttern belebte und vermenschlichte,
so hat auch der germanische Volksgeist vor Allem in den zwei bedeutsamsten Nächten der
Winter- und Sommer-Sonnenwende, den Merkzeiten des aufsteigenden und wieder
absinkenden Jahres, das Natur- und Familienleben mit poetischer Gestaltungskraft reich
ausgeschmückt. Die Hauptzeichen der altgermanischen Festfeier, die Licht- (Sonnen-) Ehrung
und die Opferungen sammt den Festmahlzeiten haben sich bis heute im Lichtbaum und in
dem Weihnachtsmahl erhalten. Allgemein üblich in ganz Deutschböhmen ist der lichter
geschmückte Weihnachtsbamn und das reiche Weihnachts-Festmahl mit bestimmten Volks
gerichten. Bis in die neue Zeit wurde an dem altdeutschen Brauche, für diese Festzeit einen
Jung-Eber oder eine feiste Bachin zu opfern und „ins Haus zu schlachten", weithin fest
gehalten; doch kam die in England noch bestehende Übung, den Eberkopf (einst das Opfer
für den Frühlingsgott „Froo") als Hauptstück der Weihnachtstafel zu betrachten, schon
längst außer Geltung. Als Hauptgericht gilt seit langem insbesondere in Nordwestböhmen
der sogenannte „Schwarzfisch" (Karpfen mit schwarzer süß-säuerlicher Brühe) und Mehl
klößen, der Weihnachtsstrietzel (Stolle) und der aus Weizenteig gebackene „Weihnachts
kranz", ein letztes Sinnbild des einst von den Bergen rollenden flammenden Rades. Dazu
kommen noch nach altem Landbrauch: Fischsuppe, „Semmelmilch" (Saazerland), „Mou-
Melch" (Mohnmilch, Reichenberg), Dürrobst, Äpfel, Nüsse und an manchen Orten zuletzt
Salzhäringe. In Nord- und Ostböhmen, z. B. in Dauba, im Riesengebirge und den
nächsten Waldland-Gebieten, dürfen saure Schwämme nicht fehlen und sollen stets siebenerlei
Gerichte auf den Weihnachtstisch kommen.
Unter und nach dem Festabendmahl, dem gewöhnlich ein ganztägiges Fasten
vorausgeht (zum Lohn sieht der Fastende dann in der Mitternacht das „goldene Meer
schweinchen" in den Wolken laufen — die letzte verkümmerte Erinnerung an Froo's
goldenen Eber!), werden die alten Volksbräuche allenthalben lebendig. Wer beim Christmahl
keinen eigenen Schatten an der Wand hat, darf sich des Sterbens im neuen Jahre versehen;
ebenso wer beim Äpfelschneiden keinen rechten „Stern" aufweisen kann (Egergebiet, Erz
gebirge, Reichenberg, Ostböhmen). Die Hausmutter sammelt sorgsam alle Fischgräten,
Mahlzeitabfälle und der Hausvater vergräbt diese in Garten und Feld (im Egerlande
für den „Zemba") — Reste des alten Volksbrauches der Befriedigungsopfer an die