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Volltext: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Böhmen, 2. Abtheilung

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Von einem regen literarischen Interesse zeugen schließlich auch die altcrthümlicheu 
lexikographischen Denkmäler. Die Erstlingsarbeiten dieser Art erscheinen in Form 
von Glossen, wie sie z. B. in Salomons Mater verdorum", etwa aus der Mitte des 
Xlll. Jahrhunderts, enthalten sind; später werden die Wortvorräthe entweder nach der 
Ähnlichkeit der Bedeutung (z. B. Lodeinarlug maior und das Preßburger Voca- 
bnlarium in Hexametern) oder schließlich auch nach dem Alphabet geordnet. 
Die mittlere Zeit der böhmischen Literatur umfaßt die schriftlichen Denkmäler 
vom Jahre 1410 bis zum Jahre 1774. Dieselben sind sehr zahlreich, sprachlich und 
inhaltlich durch verwandten, gleichmäßig fortschreitenden Charakter gekennzeichnet. Ihre 
Sprache gewinnt einestheils durch Anlehnung an den Volksdialect, anderntheils durch 
den bildenden Einfluß lateinischer Muster feste Formen und im Inhalt macht sich 
allenthalben der Wiederhall religiösen Eifers bemerkbar. Populäre Schriften in Prosa 
tauchen massenhaft auf; die poetische Thätigkeit ist von untergeordneter Bedeutung. Die 
Wissenschaften werden größtentheils lateinisch gepflegt. 
Religiöse, culturelle und politische Änderungen bedingen die Theilung dieser Zeit 
in drei Perioden, und zwar: 1. Vom Aufkommen der husitischen Lehre bis zum Tode 
Georgs von Podcbrad (1410 bis 1471). 2. Von der Thronbesteigung Wladislaw des 
Jagellonen bis zur Schlacht am Weißen Berge (1471 bis 1620). 3. Von der Schlacht 
am Weißen Berge bis zur Regelung des Volksschulwesens unter Maria Theresia (1620 
bis 1774). 
In der ersten Periode sehen wir ein Bild ruheloser Verhältnisse, welche die 
materiellen und geistigen Kräfte des Volkes aufs äußerste zerrütten. Sie sind das Resultat 
vieler vorangehender Umstände, die der Zeitgeschichte ein eigenthümliches Gepräge ver 
leihen. Der mächtige Cnlturstrom, der ein halbes Jahrhundert lang von der Prager 
Hochschule ans sich über Böhmen ergoß, die Berührungen mit Vertretern der Civili- 
sation von einem großen Theil Europas, der materielle Wohlstand und das politische 
Ansehen äußern einen günstigen Einfluß nicht nur auf die Entwicklung der Literatur, 
sondern auch auf die Hebung des nationalen Bewußtseins und auf thatkräftiges Auftreten 
in Allem, was die wichtigsten Interessen der damaligen Gesellschaft betraf. Im Vorder 
grund dieser Interessen stand die Reform in Glaubenssachen und in den Einrichtungen der 
Kirche; dafür setzten nicht nur Einzelne entschlossen ihr Leben ein, sondern auch das ganze 
Volk stürzte sich muthig in den Kampf und erregte durch Kriegserfolge das Staunen 
Europas. Das blutige Ringen lähmte zwar auf lange hinaus die Fortschritte der Literatur, 
hatte aber auch zur Folge, daß das böhmische Element überall das Übergewicht erlangte 
und, sobald ruhigere Zeiten eintraten, ziemlich schnell die Verluste wettmachen konnte, die 
es in cultureller Beziehung erlitten hatte.
	        
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