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Unter allen Künstlern nimmt im XV. Jahrhundert der Maler den ersten Rang ein.
Alle bedeutenden Kunstwerke, wenn sie auch zum großen oder größeren Theile die Arbeit
des Bildschnitzers sind, gehen auf den Namen des Malers, welcher die Entwürfe und
Zeichnungen hierzu lieferte, somit als der geistige Schöpfer solcher Werke betrachtet und
geehrt wurde. Daraus erklärt sich allein die äußerst geringe Anzahl von namentlich
bekannten Bildhauern und Bildschnitzern im XV., ja noch im XVI. Jahrhundert. Der
iLchöpfer des berühmten Altars in St. Wolsgang war der urkundlich immer nur als
Maler erscheinende Michael Pacher von Bruneck, jener des Altars in Lana der Maler
Schnatterpeck von Meran, die Herstellung des Hochaltars in Bozen wurde dem Maler
Hans von Hall übertragen u. s. w. Die Bildschnitzer, welche die Entwürfe dieser Maler,
insoweit sie die Bildhauerei betrafen, ausführten, werden nicht genannt. In den Fällen,
in welchen wir es mit Werken zu thnn haben, an denen Maler und Bildschnitzer vereint
gearbeitet haben, ist diese Unterscheidung nothwendig. Die Bildschnitzer erscheinen da dem
Maler völlig untergeordnet, dieser ist überhaupt der Beherrscher der ganzen Kunstrichtung.
Auf ausschließliche Werke von Malern vorläufig uns beschränkend, kommen wir auf
die Malereien im Schlosse Runkelstein zurück, und zwar jene, welche den nördlichen Tract
desselben zieren und dem Beginn des XV. Jahrhunderts angehören. Sie sind mit ganz
anderer Technik als die früher erwähnten und al treseo gemalten ausgeführt, nämlich in
grüner Erde mit schwarzen Contouren und aufgesetzten weißen Lichtern. Inhaltlich malte
hier der Künstler, was der Dichter gesungen. Es sind nämlich Darstellungen ans der
Dichtung Tristan und Isolde. Einzelne dieser Runkelsteiner Bilder verrathen bereits Sinn
und Geschick für Composition und künstlerische Gruppirung.
Wie der Besitzer von Rnnkelstein so ließen auch andere Schloßherren ihre Gemächer
mit Malereien ausschmücken, so jener des Schlosses Lichtenberg. Auch hier ist zum Theil
nach altdeutscher Dichtung gemalt worden, während andere Darstellungen der biblischen
Geschichte entnommen wurden. Nach den vorliegenden Zeichnungen fallen die Lichtenberger
Wandmalereien wie die Bilder von Runkelstein theils ins XIV., theils ins XV. Jahr
hundert.
Ungleich zahlreicher als die Wandmalereien in unseren Burgen sind im XV. Jahr
hundert jene in den Kirchen, Kapellen und Kreuzgängen. Wo immer in einer gothischen
Kirche bei ihrem Neu- oder Umbau oder vermöge ihrer Zubauten Raum für Wandschmuck
blieb, wurde dieser mit Werken der Malerei gefüllt, so schon 1407 die Kirche in Terlan
durch den Maler Hans Stockinger von Bozen. Wie hier die Herren von Niederthor die
hauptsächlichen Stifter der Wandgemälde waren, so haben auch zahlreiche andere Burg
herren mit gleich frommen Wetteifer und Kunstsinn ihre Schloßkapellen mit Malereien
zieren lassen, so namentlich die Besitzer der Schlösser von Lienz, Runkelstein, Tirol,