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Gletscherwände und gewährt uns einen ungeahnten Einblick in die Gliederung dieses eis
bekleideten Riesenkörpers. Bald erreicht man die Franzenshöhe (2.188 Meter), das Dorado
der Hochtouristen, welche von hier aus am bequemsten die ganze umlagernde Alpenwelt
beherrschen; im weiteren Ausstiege folgt die Höhe des Stilfserjochs (2.756 Meter) mit
der Grenzsäule zwischen Österreich und Italien.
Zwischen der höchsten Erhebung des Brennerpasses und dem nahen Wildbad
Brenner, einer Therme, welche seit 1460 bekannt ist, stürzt die Eisack hernieder, ein
munteres Bächlein, das sofort seinen Lauf südwärts wendet und an dessen blumigen Ufern
wir nach Schelleberg gelangen. Der inzwischen kecker gewordene Fluß bricht in herrlicher
Thalschlucht nach links auf dem kürzesten Wege ins Thal hinab zu dem 180 Meter tiefer
gelegenen Gossensaß; im Eisenbahnwagen macht man, um diese Tiefe zu erreichen, einen
Umweg nach rechts gegen den fernen Gletschergrund des Pflerscherthals, und an derselben
Berglehne am linken Ufer des Pflerscherbachs, an welcher wir in das Thal hineinfuhren,
kehren wir auch wieder aus demselben zurück, da die beiden Bahntracen terrassenförmig
übereinander liegen.
Nach der Ausfahrt aus dem ersten Tunnel hinter der Station Schelleberg, dem
sogenannten Astertunnel, bietet sich ein herrlicher Einblick in die Hochgebirgswelt des
eisigen Hintergrundes, in dessen Mitte sich die Feuersteine erheben, während sich der
Feuersteingletscher in riesigen Klüften zu Thal senkt. Das Pflerschthal ist sehr fruchtbar,
reich an erhabenen Landschaftsreizen und mit einem großartigen Wasserfall in enger
Felsenklamm, die Hölle genannt, ausgestattet. Am Ansgang des Pflerscherthals liegt
das Dorf Gossensaß, ein Schatzkästchen landschaftlicher Reize. Östlich davon ragt
das Hühnerspiel oder, wie es zu Ehren des verdienstvollen Erforschers von Tirol
umgetauft wurde, die Amthorspitze empor, ein durch seine Rundschau, wie durch seinen
Reichthum an seltenen Pflanzen gleich ausgezeichneter Gipfel. Unter Gossensaß bleibt das
Thal ziemlich enge, beherrscht von der Ruine Straßberg. Plötzlich öffnet es sich, es erscheint
die Weitung von Sterzing mit dem gleichnamigen Städtchen, das einst schönere Tage
gesehen. Schon die Römer hatten dort eine Münzstätte (Vipitonuin) angelegt und im XII.
und XIII. Jahrhundert blühten Bergbau, Handel und Gewerbe und mehrmals sah es in
seinen Mauern Landtage Tirols versammelt. Da schwand der Bergsegen und mit ihm der
Reichthum, und eine lange Zeit hindurch war der Wagenverkehr über den Brenner das
alleinige Überbleibsel einstiger Größe und der Peitschenknall sein hörbares Zeichen:
inzwischen ists wieder besser geworden; der Holzhandel blüht allmälig wieder auf, die
Marmorbrüche von Ratschinges und die Gewerke am Schneeberg sind wieder eröffnet und
im Aufschwung begriffen und geben der Stadt, welche durch historische Bandenkmale nicht
weniger als durch Hofers erste Waffenthat wohl bekannt ist, neue Hoffnungen; nicht die
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Eisackquelle.
geringsten derselben knüpfen sich aber an die Natur, denn des Städtchens Umgebung ver
einigt in ebenso bunter als prächtiger Zusammenstellung alle Reize behaglicher Anmuth
und titanischer Romantik. Ta liegt vor uns der Wiesenhügel von Custozza, da thronen
die Burgen Reifenstein und Sprechenstein, zwei Prachtstücke tirolischer Schlösser, da
ruht behäbig im Flurengrün Thums, Gasteig, die Wöhr, da geht es auf die Eck, nach
Tschöfs, Flains, Wiesen, zur Kapelle Valgenein, — lauter Punkte mit großen oder kleinen,
Tirol und Vorarlberg. 4