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Die Besteigung der Babia Göra (Weiber Berg, 1725 Meter) nimmt weder viel
Mühe noch Zeit in Anspruch. Wir folgen eine Zeitlang dem Stryszawkabach hinauf und
gelangen im Qnellengebiete dieses Gewässers in einen dichten Wald, um endlich auf der
steinigen Alm des Jakowiecberges den nordwestlichen Ausläufer des Babia Göra-Massivs
zu erreichen. Von da führt unser Weg durch mehrere Gipfel des Rückens bald über duftige
Almen und schöne Wälder, bald über steinige Gehänge bis auf den Gipfel der Babia
Göra, auf dem wir endlich nach zweistündiger Wanderung anlangen. So schön indeß auch
der Anblick ist, der sich uns hier darbietet, so müssen wir uns doch gestehen, dass die
Ostkarpathen, die wir kennen zu lernen Gelegenheit hatten, viel schöner sind. Allerdings
genießen wir hier den großartigen Anblick der hohen Tatra, ein wunderbares alpines
Bild, das den Ostkarpathen fehlt, jedoch hat dafür das karpathische Mittelgebirge nicht im
entferntesten den Reiz der Czarnohora- oder selbst der Paraszka-Zeteminkette. Hier fehlt
der geheimnißvolle Zauber der riesigen Urwälder des Ostens, es fehlen hier auch die
mächtigen Gebirgsströme, die doch so viel zur Schönheit und Belebung der Thäler
beitragen. Auch die vielen Ortschaften, die man von hier ans in allen möglichen Richtungen
bemerkt, tragen nicht dazu bei den Reiz der Landschaft zu erhöhen. Eine Wildniß wäre
uns im Centrum der Beskiden lieber.
Wir benützen in Sucha den Eisenbahnzug und eilen westwärts. Die Gegend ist in
landschaftlicher Beziehung wenig interessant, dafür wird man durch den Anblick der regen
Industrie, die dem Osten fast vollständig fehlt, entschädigt. Bei der Station Jelesnia
kommen wir in das Gebiet der Güter des unvergeßlichen Heerführers und Helden weiland
Erzherzogs Atbrecht. Hier herscht überall eine rege Holz- und Textilindustrie, hier und da
bewundern wir große Eisenwerke, bis wir endlich nach Zywiec (Saybusch) kommen,
einer kleinen 5.000 Einwohner zählenden, am Solaflusse gelegenen Stadt, welche das
Centrum des erwähnten Gütercomplexes bildet. Sie ist anmuthig gelegen in einem breiten,
fruchtbaren Thalc, das von niedrigen lachenden Hügeln umgeben ist. Unter den Gebäuden
fesselt unsere Aufmerksamkeit das altehrwürdige Schloß, das den Sitz der Gütcrdirectivn
bildet, und die Pfarrkirche, in der sich einige bemerkenswcrthe Schnitzereien aus dem
XVI. Jahrhundert befinden. Die Stadt, einst Eigenthum der schlesischen Fürsten, erfreute
sich während der polnischen Herrschaft des eigenthümlichen Vorrechtes, daß die Juden sich
in derselben nicht ansiedeln dursten. Dieses Privilegium wird trotz der Staatvgrund-
gesetze noch heute rcspectirt und nur selten wird von einem Inden ein erfolgloser Versuch,
hier einen dauernden Wohnsitz aufzuschlagen, unternommen. Zahlreiche Fabriken sowohl
in der Stadt selbst als auch in der nächsten Umgebung, die wohlentwickelte Hausindustrie,
besonders in Korbwaaren und Holzschnitzereien, bilden die ergiebige Quelle des
allgemeinen Wohlstandes.