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Die eigentliche Gartenseite ist das rechte Ufer. Hier quillt das Grün aus dem
kurzen Seitenthale derRadobolja heraus, mitsammt dem köstlichen Wasser, das zu Ende
jenes Thales — nur etwa eine Stunde von Mostar entfernt — unter Gestein hervor
bricht. Einen Thcil davon sammelt eine moderne Wasserleitung; das übrige klare Naß
enteilt rasch den sie einengenden Lehnen, zerfasert sich dann, bei der Stadt angelangt,
in zahllose Arme, die unter zwanzig kleinen Quaderbrückcn in Wirbeln, in Cascaden
dahintosen, um schließlich bei der alten Brücke, inmitten des Häusergewirres, in einem
kleinen Wasserfall sich zu vereinigen und über die Uferböschung in die Narenta zu fallen.
Die Adern der Radobolja treiben Mühlräder, bewässern Mais- und Tabak-Felder und
schaffen herrliche Gartendickichte, in welchen die Feige und Granate reift, und in denen
die in Mostar überaus dicht verhüllten mohammedanischen Frauen ihr weißes Antlitz ent
blößen. In diesem Gartenviertel ist auch die im Jahre 1866 geweihte, ansehnliche katho
lische Basilika eingebettet.
Aber das Grün rückt noch weiter ins Bjelopolje, wohin Mostar sich allmälig
hinaufzieht. Hier findet man den Bahnhof, eine neue Eisenbrücke, welche wieder
hinüberführt in das theils ganz neue, theils sich rasch nmgestaltende Nordende der Stadt
und das in maurischem Stile erbaute landesärarische Hotel.
Auch wenn die Frühlingswonnen entschwinden, die Blüten verdorren und der
Kalkstaub allmälig Baum und Strauch mit seinem weißen Flaum überzieht, bleibt
Mostar schön. Des Fremdlings Urtheil hierüber wird allerdings von den Mosquito-
Schwärmen beeinflußt, sowie von all den Folgeübeln ungewöhnlich hoher Wärmegrade,
wie sie die Sommertemperatur Mostars aufweist. Immer regungsloser wird das
Antlitz der hercegovinischen Hauptstadt, die wie eine versteinte Königin hinaus in die
Poljes starrt, welche der Sommer, statt sie zu bräunen, bleich und bleicher macht. Spur
los gehen die Borastöße des Winters an ihr vorüber, und während die weiße Felsen
stirne allabendlich roth erglüht, harrt sie still des neuen Schmuckes, den ihr bereits der
Februar verschwenderisch in den Schoß streut.
Das freundlichere Aussehen des Bjelopolje ist fast durchwegs Heuchelei. Seine
Vegetation ist dorniges Gestrüpp, das einen unfruchtbaren Boden deckt, welcher früher
den türkischen Truppen als Sammelplatz vor ihren blutigen Zügen in die Schwarzen
Berge diente.
Die Wände des Kessels verengen sich gegen Norden rasch zu dem sogenannten
„großenNarenta-Defile",durch das jetzt Straße und Bahn aufwärts streben, hinein in
die Hochgebirgsregion; der alte Saumweg floh die Narenta-Schluchten, bog noch im Bjelo
polje bei Han Potoci nach Osten ab, um über das Porim-Gebirge und andere Hoch-
gebirgsöden den Prenj im Rücken zu umgehen.