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Unter der Obhut der Mutter und der jüngeren Geschwister wächst das Kind heran
und wird schon in der zartesten Jugend gegen Witterung und Entbehrung abgehärtet.
Die ersten Jahre des Kiudesalters sind auf dem Lande wahre Probejahre; wer sie
übersteht, ist fürs ganze Leben gestählt. Schon nach Ablauf weniger Wochen erhält das
Kind neben Muttermilch die gewöhnliche schwere Kost des Erwachsenen. Stunden ver
bringt es, um mit dem zahnlosen Mund ein Stückchen harten Brodes zu zerkauen, und
bei grimmiger Kälte im Regen und Sturm sieht man oft die Kinder halbnackt vor der
Hausthüre kriechen. Die Mutterbrust erhält es ein ganzes Jahr; oft aber stillen die
Mütter theils aus übertriebener Zärtlichkeit, theils um nicht wieder zu rasch in die
Hoffnung zu kommen, jahrelang ihre Kinder, ja es werden Fälle berichtet, daß Burschen
von der Mutterbrust zur Hochzeit gingen. Kaum daß die Kinder kräftig auf den Füßen
stehen gelernt haben und sich ihr Denkvermögen entwickelt hat, werden sie zur Arbeitsleistung
herangezogen. Mit 5 bis 6 Jahren werden sie bereits Hirten und ihrer Obhut werden
vorerst Kälber und Kitze anvertraut, später das Kleinvieh und dann das Großvieh.
Früh Morgens, nachdem die Planinka die Herde gemolken, zieht die kleine Hirten
schaar aus und verbringt den Tag auf weiter Flur. Die Zeit wird dabei nützlich vertrieben,
die Mädchen spinnen und stricken, die Knaben schnitzen zierliche Gegenstände. Eine ein
fache Flöte (svirala.) oder eine Doppelflöte (ävojnioa) führt der Hirt stets mit sich
und treibt, trillernde Weisen spielend, seine Herde vor sich her.
Um die Mittagszeit, wenn die Herde kühle schattige Plätze zum Wiederkäuen auf
sucht, lagern die Hirten um ein Feuer und nehmen die mitgebrachte Mahlzeit ein, welche
aus einem Stück Maisbrod oder Jara (Kornbrod aus undurchsiebtem Mehl), einem
Stückchen Käse und einem Trunk Quellwasser besteht. Unter Sang und Spiel vergeht der
übrige Theil der Ruhepause, und wenn die Sonne zum Westen neigt, kehrt die Herde mit
den kleinen Hütern heim.
Nachdem die Herde abermals gemolken wurde, wird sie in die Hürden getrieben, um
dort unter der Obhut eines erwachsenen Hirten zu übernachten. Dieser schläft in einer
engen, zeltförmigen, aus Brettern gebildeten und auf einem Schlitten ruhenden, trans
portablen Hütte, von wo aus er jeden verdächtigen Laut hören und beim Herannahen
von Raubwild Lärm schlagen kann. Nicht selten haben hier halbwüchsige Knaben Wölfen
oder Bären das geraubte Lamm oder Rind abgerungen.
Zur Obliegenheit des Hirten gehört es auch, alle acht Tage die Hürden abzubrechcn
und ein Stück weiter aufzuschlagen, damit möglichst viel Acker gedüngt werde.
Pubertät. — Der Eintritt in das reifere Knabenalter ist ein Moment, den alle
Naturvölker mit einer gewissen Weihe erwarten und entsprechend feiern. In Bosnien und
der Hercegovina wird diese neue Phase im menschlichen Dasein nach altem Brauche gefeiert.