PERLEN AUS GABLONZ
Streu- und Stickperlen, Rassade und Rocaille, Macca und Charlotte taille, Spreng-
und Hohlperlen, Wickel- und Druckperlen, Silber- und Feingoldperlen, Wachsperlen,
Barock- und Kropfperlen, Pfund- und Schnürperlen, Spindeln und Spulen, Stif
tenschmelz, Glaskorallen und Glasgranaten - so vielfältig wie die Glasperlen sind
auch ihre Bezeichnungen, die in ihren Deutungen und Bedeutungen ebenso vielfältig
variieren.
Schon aus der Biedermeierzeit ist uns ein ein unerschöpflicher Variantenreichtum
böhmischer Perlen bekannt; frei geformt oder „gequetscht“, massiv oder hohl
geblasen, sind sie von erstaunlicher Vielfalt und kontrastreich-moderner Farbigkeit
(Abb. 5, S. 21): runde und facettierte, gewundene und gestreifte Perlen, solche mit
„Gürteln“ und Aventurinbändern, genarbte und gemusterte, „eingemalte“, satinierte
und verspiegelte Perlen, in sanften, pastellartigen Tönen, von seidiger Oberfläche,
und in leuchtender Art-Deco-Farbigkeit (Abb. 3-5, S. 17, 20, 21; Abb. 232-243,
S. 278-286).
Die Vielfalt der Gablonzer Perlen erschließt sich uns aus den wichtigsten Quellen des
19. und frühen 20. Jahrhunderts: den Schriften und Statistiken über Wirtschaft und
Landeskunde Böhmens, den Ausstellungsberichten und -kommentaren, den
Adreßbüchern u.a. Ein Bericht dieser Zeit soll repräsentativ für viele andere die
Situation der böhmischen Perlenerzeugung beleuchten:
Von „Glascompositionen, Perlen, gequetschtem und geblasenem Glas“ handelt ein
Bericht Kreutzbergs aus dem Jahre 1836, demzufolge etwa 10.000 Menschen mit
diesem Produktionszweig befaßt waren, der einen Gewinn von 2,000,000 fl. ergab.
„Der Hauptsitz des Glaskorallen=, Schmelzperlen= und Lustersteinhandels ist der Markt Gablonz
... Die Erzeugung leiten meist hiesige Unternehmer, welche die auf den benachbarten Dominien
Morchenstern und Kleinskall zerstreuten Arbeiter mit Mustern und Materialien versehen. Erstere
unterscheiden sich in: Compositionsbrenner, welche die in den verschiedensten Farben und Nü-
ancen dargestellten Glasmassen schmelzen, dann in Stangen und Röhrchen formen; in Glas=
und Compositionsdruker (Quetscher), welche mit metallenen Formzangen die weiche Masse zu
Luster= und Schmuksteinen roh formen; diese werden dann durch Schliff weiter veredelt, was in
eigenen Schleifmühlen geschieht, wovon eine einzige oft 6-15 Zeuge (besondere Werkstätten)
enthält, die von dem Schleifmühlenbesitzer einzelnen Arbeitern gegen einen gewissen Zins zur
Benützung überlassen werden; in Perlenbläser, Schleifer, Vergolder und Anreiher, welche lez-
tere (deren gegen 300 bloß auf dem Dominium Morchenstern, meist Kinder sind) die ganz ferti
gen Perlen auf Draht und Fäden ziehen.“ (Kreutzberg 1836, S. 25, 26).
GABLONZER GLASKURZWAREN
Die Perlen aus Gablonz (vorwiegend Spreng-, Druck- und Hohlperlen) waren nur ein
Teil - wenn auch ein sehr gewichtiger - der später sogenannten „Gablonzer
Industrie“, deren Produkte auch unter dem Begriff der „Glaskurzwaren“ oder der
„Quincaillerie“ bekannt sind; die 1880 gegründete Fachschule in Gablonz führte in
ihrem Namen ebenfalls die „Quincaillerie und Bijouterie“. Den „Glaskurzwaren“
entsprach zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Teil der Begriff der „kleinen
Glasmacherkunst“ (Loysel 1818, S. 264), der „kleinen Glasmacherey“ oder den
„kleinen Glasfabrikaten“ (Leng 1835, S. 500), in dem direkt und anschaulicher als
beim Ausdruck „Glaskurzware“ die Größe bzw. Kleinheit der erzeugten Produkte
angesprochen wird. Zur Charakterisierung dieser weit über die regionalen Grenzen
hinaus bekannten Produktion seien für die Zeit des Historismus und des Jugendstils
zwei Quellen repräsentativ für viele andere genannt.
10