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ches Glas hat. Mit der Linken handhabt er die Glasstange, mit der rechten Hand die Druckma 
schine, deren Form für die verschiedenen Artikel eine verschiedene ist. Sehr viel werden soge 
nannte Seitenstecher verwendet, Stechformen, die die Buntglas= und Schwarzglasperlen wäh 
rend des Drückens mechanisch durchlochen. Die Bewegung des Jahres 1898 richtete sich auch 
gegen die Doppelformen, mit denen es, allerdings auf Kosten der Qualität, möglich war, mit 
einem Druck zwei Stück zu erzeugen. Die Doppelformen wurden abgeschafft, dennoch stoße ich 
schon in der ersten Hütte auf einen Drücker, der Rosalinperlen in Doppelformen herstellt. Die Ar 
beitszeit beträgt heute mit wenigen Ausnahmen 11 Stunden. Auch sie wurde erst im Jahre 1898 
regulirt... 
Gablonz. 
Similisteine, Glasspinnerei, Gürtlerei. 
... Das nordisch rauhe Gablonz, mit seinen Bergen und Hügeln fast selbst ein Gebirge, beher 
bergt Tausende fleißiger Menschen ... 
Es gibt keinen Kontinent, mit dem Gablonz nicht in Verbindung wäre. Wie ein Spinnennetz laufen 
die Fäden auseinander und ineinander, die die Exporteure von dem Mittelpunkte Gablonz um die 
ganze Welt gezogen haben. Die Pariser Modedame behängt ihren Leib ebenso mit Waaren der 
Gablonzer Exporteure wie die Hottentotten, wie die Australneger, wie die Ureinwohner von San 
sibar, wie die Töchter Indiens, und die reichen Amerikanerinnen schätzen die ihrem Geschmack 
angepaßten Glaskurzwaaren nicht minder, als es die Haremsdamen thun, oder die schlitzäugi 
gen Chinesinnen, oder der Erforscher unbekannter Welttheile, der sich des gleißenden Glas 
golds bedient, um die Freundschaft der Wilden zu erkaufen. Perlen, Arm= und Serviettenringe, 
Knöpfe und Trauerschmuck, Lusterbehänge, Vasen und Trinkservice, feingeschliffene Flakons, 
Nippes und Glasposamenterie, Schnallen und Brachen, Stockgriffe und Uhrketten, Hut= und Kra- 
vattennadeln, Medaillons und optische Linsen, Gürtet und Hutbehang — was ist da in den Maga 
zinen der großen Exporthäuser nicht aufgestapelt, in allen Farben, in allen Formen, von der mit 
freiem Auge kaum wahrnehmbaren Schmelzperle bis zur meterhohen Vase! ... 
Bei einem Glasspinner. 
Abseits von den Hauptverkehrsstraßen treten wir in einem schmalen Gäßchen durch einen 
schmalen niederen Flur in ein einstöckiges, winkeliges Häuschen und durch eine Thür zur Lin 
ken in den Wohn= und Arbeitsraum eines Glasspinners. Auch dieser Raum ist eng, niedrig, an 
gepfropft mit allerlei Haus=, Arbeits= und Küchengeräth. Die Luft ist dumpfig. Zur Rechten ist ein 
geschlossenes Fenster, und vor diesem steht ein viersitziger Blasetisch, wie wir solche, aller 
dings weniger sauber, bei den tschechischen Lampendrückern kennen gelernt haben. An dem 
Tisch sitzt ein Mann: der Meister. Das Geschäft geht schlecht, und darum arbeitet er allein. Er de- 
korirt mit dünn gezogenem Glas Hutnadeln. Die Arbeit geht ihm sehr flink von der Hand. Aus At 
lasstengeln (eine Glaskomposition, die das matte, leichte Glas wie Atlas schimmern läßt) zieht er 
sich zunächst schwache Fäden. Er wärmt einige kleine Klautsche in der Stichflamme vorerst zu 
sammen, drückt die weiche Glasmasse mit einer Zange flach, und dann zieht er dünne, etwa 2 
Millimeter breite Streifen von Armspannlänge aus dem Glase. Er hat schon eine ganze Anzahl 
solcher Streifen hinter dem Ziegel liegen, auf dem er die Glasstengel anwärmt. Sie haben die 
verschiedensten Farben. Manche sind auch mehrfärbig. Er hat dann verschiedenfarbiges Glas in 
einen Streifen zusammengezogen. Außer diesen Streifen hat er Vollstengel aus Krystallglas und 
verschiedenfärbigem Glas auf seinem Tische liegen, dünn geschlagene Silberplättchen, Bronze= 
und anderen metallischen Staub, einige Holzformen, die wie Tuschschalen aussehen und eine 
Schachtel mit Stahlstiften ... Mit diesen einfachen Hilfsmitteln schafft er jahraus jahrein Tau 
sende verschiedener Hutnadeln und zierlicher Stockgriffe für Damenschirme. Ein staunenswer- 
ther Formenreichthum und ungezählte Farbenzusammenstellungen zeugen davon, daß der 
Mann künstlerische Erfindungsgabe und Geschmack mit der Geschicklichkeit seiner Hände und 
Finger zu vereinen weiß. 
Wir sehen ihm eine Weile bei seiner Arbeit zu. Vor unseren Augen entstehen die Hutnadeln, die 
der Stolz der Modedamen und oft der Gegenstand des Neides minder „glücklicher“ Frauen sind. 
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