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Dr. Ferdinand Stamm.
Allen fachverftändigen Frauen fällt es auf, dafs die Handftickereien der
Bäuerinen aus Rumänien, Mähren und aus dem hohen Norden von Schweden
gleiche Mufter haben. Den Kunftforfcher mag es noch mehr überrafchen, dafs
diefe Mufter genau diefelben find, wie fie vor drei Jahrhunderten der Venetianer
Friedrich de Vinccolo nach noch weit älteren Arbeiten abgezeichnet und in einem
Mufterbuche veröffentlicht hat.
Das Mufterbuch war lange Zeit vergeffen und wurde erft durch die Thätig-
keit der neuen Kunftmufeen wieder zur Geltung gebracht, weder die rumänifchen
noch die fchwedifchen Frauen haben in unferen Tagen ihre Ornamente daraus genom
men, fondernvon den ererbten Mufterbändern, die von Mutter auf Tochter übergehen
oder von verfchliffenen alten Gewändern; die gemeinfame Quelle ift in den Klöftern
zu fuchen, die von Italien ausgingen oder von den Höfen des Mittelalters.
Die brafilianifchen Stickereien und Spitzen überrafchen auch durch ihre
Aehnlichkeit mit den fpanifchen und portugiefifchen, aber nur fo lange , bis man
fich erinnert, dafs fie eben nur von den Nachkommen der nach Südamerika ein
gewanderten Spanierinen und Portugiefmen gearbeitet find.
Der Zufammenhang der Induftrie aller abendländifchen Länder liegt auf
der Ausftellung uns ebenfo klar vor Augen, wie der Zufammenhang der weiblichen
Arbeiten aus dem Orient.
In der öfterreichifchen Ausftellung kann man die Berührung der Grenzen
zwifchen beiden beobachten; Dalmatien ornamentirt morgenländifch, auch an
den Stickereien der Magyaren bemerkt man orientalifche Ornamente, die Sieben
bürger Sachfen haben das abendländifche Ornament am weiteften nach Offen
getragen, in der Bukowina und in Galizien vermengen fie fich.
Auch Spanien läfst an feinen Stickereien erkennen, dafs es abwechfelnd
von romanifchen und arabifchen Kunftrichtungen beherrfcht war.
Die Frauenarbeiten aus den Städten und aus den Adelskreifen, welche
aufser Italien nur Oefterreich ausgeftellt hat, zeigen, dafs hier jeder Zufammen
hang der neuen Zeit mit der alten Zeit fehlt.
Dasfelbe würde wahrzunehmen fein, wenn Deutfchland, Frankreich und
England aus den bürgerlichen und adeligen Frauenkreifen Arbeiten gebracht
hätten. Die Induftrie, welche für alle Bedürfniffe forgt, hat fich dazwifchen gedrängt.
Die Frauen flicken wenig und wenn fie flicken wollen, wiffen fie nicht recht, nach
welcher Technik und nach welchem Stil.
Da foll eine illuftrirte Mufterzeitung oder ein Berliner Tupfblatt aushelfen,
aber die Redaftion diefer Zeitungen und die Kunftverlags-Handlungen wiffen es
auch nicht, und fo kann nur ein Babel von neuen Verfuchen eintreten, wie die
Ausftellung der Dilettantinen zeigte, oder allgemeine Entmuthigung, welche die
Frauenhände ruhen läfst, während fie doch ganz vorzugsweife zur Kunftfertigkeit
geeignet find, wie die Frauenarbeiten zeigen, welche ihnen in der Vorzeit grofsen,
unfterblichen Ruhm eintrugen, wenn fie fich eben auf das ihnen vorbehaltene
Gebiet befchränken, wozu befonders die Kunftftickerei gehört. Mögen die Frauen
darauf verzichten, eine neue Technik, wie z. B. die bei Anfertigung der Frivolitäten,
zu ergrübeln, wenn fie fich in der Weltausftellung die verfchiedenen Stickereien
anfahen, fo werden fie fo viele fchon erprobte Arten des Stiches und anderer tech-
nifchen Vortheile gefunden haben, dafs fie einfehen können, fie genügen, die
fchönften Wirkungen damit zu erreichen.
Auch die vorhandenen guten oder echten Farben genügen, wie befonders
die Buntftickereien aus Indien, China und Japan beweifen, und fie können die
leicht vergänglichen Anilinfarben entbehren.
Was endlich die Zeichnung betrifft, welche der Stickerei erft den wahren, blei
benden Werth gibt, fo hängt fie immer von dem Zweck des verzierten Stoffes ab, denn
als Gewand oder Kleidungsftück, als Wandtapete, als Decke, alsUeberzug eines Pol
fters oder eines Geräthes u. f. w. mufs die Zeichnung der Stickerei in dem Stile des Ge-
genftandes gehalten fein, wozu die Stickerei als Schmuck und Verzierung dienen foll.
Die Stickerei und die Spitzen.
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Um aber den Stil zu beurtheilen und darnach die Zeichnung zu entwerfen
oder auch nur nach Vorlagen auszuwählen, mufs fich die Frau eine allgemeine
Kunftbildung erwerben oder den Rath eines ICunfterfahrenen einholen.
Es ift das für eine Frau nothwendiger und koftet weniger Mühe als etwa
die Erlernung des Clavierfpiels, auf welche fie mehrere Jahre zu verwenden kein
Bedenken trägt.
Die Aufteilungen der Frauenarbeiten in der italienifchen, fchwedifchen und
befonders die Dilettantenarbeiten in der öfterreichifchen Abtheilung hatten, von
einer Kritik des Einzelnen ganz abgefehen, den grofsen Werth, dafs fie das eifrige
Streben und den ernften Willen der Frauen zeigten, das angeborene künftlerifche
Talent wieder auf einem dem Frauenberufe würdigen Kunftgebiete geltend zu
machen, und einen bienenartigen Fleifs verrathen haben, den fie auf Werke ver
wenden’, die den Frauen der Vorzeit hohen Ruhm eingetragen und auch denFrauen
der Jetztzeit den Lorbeer der Kunftfertigkeit winkend entgegen halten. Die
Mittel dazu find für die heranwachfendenMädchen die verbefferten Arbeitsfchulen
und für die Frauen die in den Mufeen für Kunft und Induftrie wieder aufgefchlof-
fenen Fundgruben der alten Kunft. *)
Der abgeriffene Faden mufs wieder angeknüpft werden. Das Vereinswefen
ift die neue Form gemeinfamer Arbeiten. So mögen fich Frauenvereine bilden zur
Hebung der Kunftinduftrie der Frauen durch Unterricht in der Technik und durch
Verbreitung guter Mufter und Vorlagen.
Die Mafchinenftickerei.
In den meiften Staaten des Abendlandes, befonders in Oefterreich, Deutfch-
land, Frankreich, England und der Schweiz hat fich neben der Hausarbeit ein
befonderes Näherei- und Stickereigewerbe herausgebildet, das in einzelnen Gegen
den von Frankreich, in der Schweiz und in Oefterreich zu einem Fabricationszweig
erweitert ift mit ausgeführter Arbeitstheilung. Ein Unternehmer vertheilt den Stoff
und die Stickmufter an einzelne Arbeiterinen und vertreibt die erzeugte Waare im
Handel. Wie bei anderen Fabricationszweigen, z. B. bei der Uhrmacherei, arbeitet
dann einMädchen ein und dasfelbe Mufter auf einem fchmalen Streifen Jahre lang.
Es lag nun nahe, diefe leichte, einförmige Arbeit durch eine Mafchine aus
führen zu laffen und die Stickmafchine wurde erfunden und in Verwendung genom
men, wie fie in der Ausftellung 1873 viel Auffehen erregte.
Die Mafchine befteht aus einem grofsen, fenkrecht geftellten Rahmen, in
welchem der Stoff ausgefpannt ift, auf welchem die Stickerei nach einem beftimmten
Mufter wohl hundert und mehr Mal zugleich ausgeführt werden foll. Zu diefem Zwecke
fteht auf beiden Seiten des Rahmens ein bewegliches Geftell, das eine lange Reihe
von Zangen trägt. Das Geftell kann auf Rollen vorwärts gegen den aufgefpannten
Stoff und wieder zurück geführt werden, wobei fich die Zangen zugleich öffnen
ml d wieder fchliefsen. Einer Zange diefsfeits des aufgefpannten Stoffes fleht immer
eine Zange auf der anderen Seite genau gegenüber.
Dazu kommt eine Nadel, die auf beiden Seiten zugefpitzt ift und in der
Mitte das Oehr für den Faden hat. Die eingefädelten Nadeln werden mit dem
einen fpitzigen Ende in die Zangen der einen Seite gefleckt, und nun beginnt das
Spiel des Mechanismus. Die Zangenreihe bewegt die Nadeln gerade gegen den
Stoff und flicht fie mit dem anderen fpitzigen Ende durch. In diefem Momente
flehen auf der anderen Seite die offenen Zangen, bereit die durchgefteckte Nadel
am anderen Ende zu faffen und mit dem Faden durchzuziehen.
Durch einen Mechanismus, den der Arbeiter leitet, werden die durch
gezogenen Nadeln etwas verrückt, um an einer neuen Stelle, wie es die Zeichnung
verlangt, von den Zangen, welche jetzt die Nadeln halten, wieder durchgeftochen
*) siehe: Die Frauenarbeiten von Helene Freiin v. Roditzby.