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Es ist ein alter Brauch, Kunstwerke als Sendboten auf Reisen zu
schicken. Das Geschenk, das von einem Fürstenhof zum anderen
ging, sollte das Ansehen des Landesherrn mehren und seiner
geistigen Gesittung Glanz verleihen.
Wenn wir heute Kunstwerke aus fernen Ländern empfangen und
ihnen die Gastlichkeit einer Ausstellung gewähren, dann geht es
uns nicht mehr darum, der fremden, zuweilen exotisch anmuten-
den Schöpfung den Tribut naiven Erstaunens zu zollen; wir wol
len nicht stückweise mit Kostbarkeiten konfrontiert werden, son
dern einen verstehenden Blick auf das Ganze einer fremden Kul
tur werfen. Wir begnügen uns nicht mit der ästhetischen Augen
freude, wir begreifen Kunst als eine Mittlerin, die uns die Glau
bensvorstellungen, die Sitten und die Lebensformen der Völker
in dem Mafje erhellt, als sie ihnen die Anschaulichkeit des Sym
bols zu geben vermag. Die Form, in deren Kleid der Mythus auf-
fritt, mag das geschulte Auge entzücken, doch tieferen Gewinn
verspricht die Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Botschaft.
Das gilt in hervorragendem Malje von der indischen Kunst. Die
mächtigen Vorsfellungskreise des kosmischen Werdens und Ver
gehens, die das schöpferische Vermögen des Menschen von frü
hester Stunde an beschäftigen, stellen den über Jahrtausende
nicht versiegenden Urgrund dieser Kunst dar. Weltdeufung und
Ewigkeitsbeschwörung bilden in ihr, wie in jeder grofjen Kunst,
ein unlösliches Ganzes.
In diesem Sinne gebe ich meiner Überzeugung Ausdruck, datj der
Ausstellung „Kunst aus Indien' auch in Wien der grof;e Erfolg,
der ihr verdienterweise bisher in drei europäischen Städten be-
schieden war, zuteil werden wird.
If is a very old custom to send works of art out info fhe worid
as couriers to bear greetings. The giffs that went from one royal
Court to another in former days were intended to enhance the
repufation of the donor and fo stamp him as a man of rare taste
and culture.
Today, when we receive works of art from disfant lands and öfter
them hospitality in our art galleries, it is not in Order to pay the
tribufe of naive wonder fo forms of creafion that may seem to us
unfamiliar and exotic. We do not wish fo gaze af these treasures
piece by piece, so to speak, buf rather we would strive fo com-
prehend fhe culture of another land in its entirety. We are not
Content merely fo indulge in the aesthefic pleasure of seeing, we
feel that art is a medialor that can show us fhrough Symbols the
concepts of a people's faith, its customs, and its way of life. The
physical form given fo the myth in these works may be a delight
to the discerning eye, but it is more profitable to seek the content
of their message benealh the surface of appearance. This is
particularly true of Indian Art. The sublime concepts ol cosmic
growth and decllne, which have preoccupied man from the
earliest times, are fhe never-failing springs from which fhis art
has for thousands of years drawn its Inspiration. In it, as in evary
great art, the sfriving to grasp the meaning of this worid and to
conjure up the spirit of eternity are indissolubly blended.
For these reasons I am convinced that the Exhibition of Indian Art
will have the same great success In Vienna as it has deservedly
enjoyed in fhree other European cities.
Dr. Heinrich Drimmel
Bundesminister für Unterricht