naturgetreuer Wiedergabe des Beobachteten und geistreicher Abstraktion, ja
seine Religiosität deutlich zum Ausdruck kommen.
Die Kunst unserer Zeit ist jeder Überladung, jeder Süßlichkeit, jeder Aus
führung, jedem banalen Realismus abhold. Sie haßt im Grunde eben alles,
was der Kunst des Gobelins so geschadet hat. Insofern waren die Perspek
tiven günstig. Die Erneuerung mußte also mit einer völligen Revolution und
mit einem vollständigen Bruch mit der Vergangenheit beginnen; und wenn
die moderne Tapisserie den Höhepunkt der Gobelinkunst in der berühmten
Apokalypsenserie von Angers aus dem 14. Jahrhundert sieht, so geschieht
das, weil tatsächlich diese Spitzenleistung des französischen Gobelins zu
gleicher Zeit die gesündesten Prinzipien des Wandteppiches verkörpert.
Die heutige Ausstellung bietet eine kleine Auswahl des gegenwärtigen
Schaffens der französischen Ateliers. Manche Arbeiten, darunter einige von
den bekanntesten Meistern, sind trotz ihren großen Qualitäten und ihrem
ungeheuren Reiz lediglich Bilder, die in Wolle und Seide übertragen
wurden. Andere wirken wie Plakate oder wie Tapeten, die dasselbe Deko
rationsmotiv wiederholen. Einige, das sind die Gelungensten, lassen das
rein Dekorative, das rein Stoffliche, das rein Spielerische neben dem Kom
positionellen zur Geltung kommen. '
All diese Künstler sind jedoch nicht zur Tapisserie als zu einer Spielerei
gekommen und weil sie Aufträge zur Anfertigung von Kartons bekommen
haben, sondern zum großen Teil aus eigener Initiative und aus innerem
Antrieb. Ein Künstler wie Lurgat, der der große Anreger des modernen
Gobelins gewesen ist, kombiniert nicht Motive und Dekorationen aus dem
Kopf, sondern versucht eine an das Visionäre und Metaphysische grenzende
Verbindung von Natur und Kunst, die seinen Werken jene Überzeugungs
kraft verleiht, weil sie aus der Überzeugung entstanden ist.
Nehmen wir das andere Extrem, nämlich das Schaffen des Paters Dom
Robert. Seine Sujets könnten leichter zur Süßlichkeit und zum Konven
tionellen führen. Und doch spielt und singt alles. Kann man in der Aus
führung dieser lieblichen Tiere, in den reizvollen Dekorationsmotiven und in
der Naivität der Gestalten von Anlehnung an das 15. Jahrhundert sprechen?
Vielleicht. Aber welche Originalität und welche zwingende Überzeugung!
Tradition und Revolution. Die Verbindung beider Begriffe scheint ein
Widerspruch zu sein. Man braucht sich jedoch nur diese Ausstellung anzu
sehen, um zu verstehen, daß dieser Widerspruch bis zu einem gewissen Grad
lebendige Wahrheit werden konnte.
E. SUSINI
9