Hermann Nitsch, Ohne Titel, 1963. Sammlung Friedrichshof, Zurndorf
Experimenten, die durch den Einsatz von optischen Geräten,
sogenannten Sehmaschinen, den Zugriff auf sowie die Verän
derung und Erweiterung der Möglichkeiten des Sehens selbst
ermöglichen. Schillings analytische Auseinandersetzung mit
den Bedingungen des Sehens als Ursprung bildnerischen
Schaffens und sein radikaler Zugriff auf die Funktionen des
Auges weisen ihn als Vordenker und aktivistischen Agitator
einer Erweiterungsdynamik der Kunst durch den Einsatz
neuer Technologien aus.
Vor allem in den Arbeiten Hermann Nitschs, Günter Brus’,
Otto Mühls und Rudolf Schwarzkoglers konzentrieren sich
aber jene Vorstellungen, die man heute mit dem Begriff
»Wiener Aktionismus« verbindet. Im wesentlichen blieb es
zunächst diesen Künstlern Vorbehalten, den Körper im Rah
men der generellen Tendenz zur konkreten Auffassung von
Kunst in den Mittelpunkt des Werkentwurfs zu stellen. Sie
haben dies in der ihnen eigenen radikalen Form bereits ab
Anfang der sechziger Jahre getan und dabei Grundstrukturen
und Themen performativer Entwicklungen in der bildenden
Kunst formuliert. Im Wiener Aktionismus wird der Körper zur
konkreten Projektionsfläche einer, wie Wiener es formulierte,
»Politik der Erfahrung«' und nimmt dabei vor allem in den sieb
ziger Jahren formulierte Positionen der Performance-Kunst
vorweg. Die in den Aktionen angestrebte Dimension der
Befreiung idealisiert die kognitive Fähigkeit der Empirie, womit
sie ganz in der Tradition einer spezifisch österreichischen ana
lytischen Schule der Philosophie und Wissenschaft steht,
deren systemkritischer Ansatz über eine Objekt- und materi
albezogene Malerei, die sich ins performative Kunstwerk
entgrenzt, auf die Kunst angewendet wird. Andererseits
haben die Aktionisten aber das repräsentative Objekt, im
Unterschied zu den Überlegungen der Konzeptkunst, nie hin
ter sich gelassen. Es ging ihnen im Gegenteil letztlich darum,
dem Kunstwerk, sei es Bild oder Objekt, über den aktionisti-
schen, im Flusserschen Sinne »sinnstiftenden«« Gestus jene
Möglichkeiten eines narrativen Textpotentials wieder zurück
zugewinnen, die in den Abstraktionen verlorengegangen
waren. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der in
einem wesentlichen Teil der österreichischen Nachkriegs
kunst schon früh entworfene Grundkonsens, den Körper und
sein empirisches Erkenntnispotential als fundamental zu ana
lysierendes Koordinatensystem der Kunst zu definieren,
mehrere Stadien durchläuft. Dieser Grundkonsens bildet bis
heute ein Spektrum, das ein weites Feld von künstlerischen
Positionen umfaßt: die Dynamik direkter Eingriffe in das
Sehen, wie sie die Rofafronsö/Wer Schillings in Gang setzen,
genauso wie die Körperthematik, die in den frühen Lein
wandbildern und den Selbstbemalungs- und Selbst-