428
DIE VERVIELFÄLTIGENDEN KÜNSTE.
durch eine kühle Beurtheilung abzufchrecken; auch war es erfreulich, dafs Keller
feine frühere blaffe Stichweife zu Gunften einer tieferen Durcharbeitung der Platte
verlaffen hatte. Nun aber, wo der Meifter verflorben ift, dürfte es doch gerathen
Schreibzeug in Meffmggufs, von Henri Perrot in Paris.
fein, der Wahrheit die Ehre zu geben und die ihm dafür gezollten Lobfprüche
auf ihr, dem Sachverhalte entfprechendes Mafs zurückzuführen. Sein Werk ge
hört jetzt der Gefchichte an, fowie das Friedrich Müller’s, deffen ehrwürdiges
Andenken nun fein Recht fordert. Wüfsten wir nicht längft, was wir an Mül
ler’s Madonna befitzen: gerade der Vergleich mit der Keller’fchen, die Beobach
tung, wie weit diefe hinter ihrer Aufgabe zurückbleibt, müfste uns darüber be
lehren. Möglich, dafs vor dem Originale auch bei Müller nicht Alles haarfcharf
klappt; wie treu und wahr flimmt aber der Total-Eindruck mit der Offenbarung
Rafael’s zufammen! Wie leuchten da die Geftalten im himmlifchen Aether, wie
flattern die Gewänder der Madonna, wie beftimmt fitzen alle Linien, wie glühen
die römifchen Kinderaugen? Das Alles ift bei Keller in’s Schwarze und Unbe-
ftimmte verflüchtigt. Die Draperien laften, wie durchnäfst an den Figuren, die
Augen find verwafchen und fehen geifterhaft glafig. Die Engelsglorie ift ftumpf
geworden. Ueber dem Ganzen liegt ein dumpfer Mchlthau, der die Zeichnung
verwifcht und über die fonnige Helle des Urbildes vollftändig täufcht. Das
Schlimmfte aber liegt in den innern Contouren des Fleifches. Das Körperchen