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AEGYPTISCHE ORNAMENTE. 
natürlichen Form hielten, so konnte es kaum fehlen, dass sie dieselben Gesetze beobachteten, die sich in allen 
Werken der Natur beständig kundgeben; daher finden wir auch, dass die ägyptischen Ornamente, wenn sie 
auch noch so conventionell behandelt sind, doch immer wahr bleiben. Wir finden nie eine verkehrte 
Anwendung oder eine Verletzung der Principien der Natur, die uns Anatom geben könnte. Auf der andern 
Seite aber geschah es auch nie, dass die Aegypter die Absicht und den Einklang der Darstellung durch eine 
zu knechtische Nachahmung des Typus beeinträchtigten. Ein Lotos, in Stein ausgehauen, um die zierliche 
Krone einer Säule zu bilden, oder an die Wand gemalt, als eine den Göttern dargebrachte Opfergabe, war 
keine Darstellung der Blume, wie man sie pflücken möchte, sondern eine architektonische Vergegenwär 
tigung derselben; in beiden Fällen, jedoch auf’s beste geeignet, dem beabsichtigten Zwecke zu entsprechen, 
und dem Typus ähnlich genug, um im Geiste des Beschauers die poetische Idee anzuregen, die sie vorzu 
stellen bestimmt war, ohne das Gefühl des Einklanges zu verletzen. 
Die ägyptische Verzierungskunst zerfällt in drei Ornamentsarten: das constructive Ornament, welches 
einen Theil des Denkmals selbst ausmacht, dessen innerem Gestelle es zur äussern schmuckvollen Bedeckung 
dient; das repräsentative oder bildnerische Ornament, dessen Darstellung jedoch nur conventionell ist; und 
das bloss decorative Ornament. In jedem Falle aber war es symbolisch und beruhete, wie schon bemerkt, 
auf einigen wenigen Typen, die während der ganzen Periode der ägyptischen Cultur nur sehr geringe Ver 
änderungen erlitten. 
Zur ersten Art, oder dem constructiven Ornamente, gehört die Verzierung der Stützen und der krönen 
den Glieder der Mauern. Die Säule, ob sie nur einige Fuss hoch war, oder, wie die von Luxos und Karnak, 
die Höhe von vierzig Fuss erreichte, war nichts weiter als ein im Grossen entworfener Papyrus: die Basis 
stellte die Wurzel dar; der Schaft den Stamm; und das Kapital die in voller Blüthe stehende Lotosblume, 
von einem Strauss kleinerer Pflanzen umgeben (No. 1, Tafel VI.), und mittelst Bande zusammen gebunden. 
Nicht nur stellte jede Eeihe von Säulen einen Papyrushain dar, sondern jede einzelne Säule war ein Hain 
an sich selbst; so sehen wir Tafel VI. No. 17, die Vergegenwärtigung eines Haines von Papyrusbäumen von 
verschiedenen Stufen des Wachsthums; nun dürfte man nur diese Bäume, gerade wie sie da stehen, zusam 
menstellen und mit einem Bande umschlingen, um den ägyptischen Schaft mit seinem hoch verziertem 
Kapitäl zu bilden. Ferner haben wir, Tafel VI. No. 5, 6, 10, 11, 12, gemalte Darstellungen von Tempel 
säulen in denen die Originalidee unverkennbar abgebildet ist. 
Wir können uns denken, dass es in uralten Zeiten bei den Aegyptern der Gebrauch war, die einheimischen 
Blumen als Schmuck um die hölzernen Pfeiler ihrer primitiven Tempel zu winden; als aber nachher ihre 
Kunst einen bleibendem Charakter erhielt, nahm auch dieser Gebrauch eine festere Gestalt auf ihren 
Steindenkmälern an. Nachdem diese Formen einmal die Weihe der Heiligkeit erhalten hatten, konnten 
sie, nach den ägyptischen Beligionsgesetzen, nicht mehr abgeändert werden, doch glaube man ja nicht, dass 
die Besitznahme einer einzigen Hauptidee, Einförmigkeit zur Folge gehabt habe; ein Blick auf die Tafeln 
VI. und VI*. wird uns vom Gegentheil überzeugen. Der Lotos und der Papyrus bilden die Typen der 
fünfzehn zu unserer Illustration gewählten Kapitale; und doch, welche sinnreiche Mannichfaltigkeit wir 
darin sehen, welche gute Lehren, die wir uns zu Nutze machen können! Seit der Periode der Griechen bis ■ 
zu unserer Zeit hat sich die Welt, zur Bildung aller Säulenkapitäle der sogenannten classischen Architektur, 
mit dem um den Korb des Kapitals angebrachten Acanthusblatt begnügt, ohne fernem Unterschied als in 
der mehr oder minder vollkommenen Modellirung der Blätter, in den zierlichen oder unzierlichen Verhält 
nissen des Korbes, während an die Modifikation des Planes nur in höchst seltenen Fällen gedacht wurde; 
und doch war es diese Modifikation, die bei den Aegyptern die mannichfaltigste Entwickelung ihres Kapitals 
erzeugte: sie fingen mit dem Zirkel an, den sie mit vier, acht, ja bis sechzehn Zirkeln umschlossen. Der 
Versuch einer ähnlichen Abänderung im korinthischen Kapital, würde unfehlbar eine ganz neue Ordnung 
von Ideen erzeugen, obgleich die Hauptidee, das Acanthusblatt auf der Oberfläche des glockenförmigen 
Korbes anzubringen, noch immer beibehalten würde. 
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