AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
muss einem in der Entwickelung begriffenen Volke die ersten Begriffe der Symmetrie, der Anordnung, der
Anlage, und der Eintbeilung der Massen einflössen. Die Aegypter beschränkten sich in der Verzierung
grosser Oberflächen, wie es scheint, nur auf geometrische Anordnung. Strömende Linien kommen bei den
Aegyptem, verhältnissmässig, sehr selten vor, und dienen nie als Motiv der Composition, doch existirt in
ihrem Seilornament, der Keim selbst zu dieser nachherigen, in der Volutenform sich entwickelnden Ver
zierungsweise. (Tafel X., No. 10, 13-16, 18-24; und Tafel XI., 1, 2, 4, 7.) In diesen Mustern sind die
verschiedenen Seilknäuel einer symmetrischen Anordnung unterworfen, aber aus dem Entrollen dieser Seile
entstünde schon jene Form, die in manchen spätem Stylarten zur Quelle so grosser Schönheit wurde. Wir
wagen daher die Behauptung, dass der ägyptische Styl, der älteste zwar, doch zugleich in allem, was den wah
ren Kunststyl ausmacht, auch der vollkommenste ist. Die Form in der er sich offenbart, mag uns fremdartig,
eigenthümlich, förmlich und steif erscheinen, aber die Begriffe und Lehren die er uns beibringt, gehören zu
den zuverlässigsten. Indem wir mit den andern Stylarten fortfahren, werden wir finden, dass sie der Voll
kommenheit nur dann nahe kommen, wenn sie, gleich dem ägyptischen Styl, die wahren Principien befolgen,
die in jeder wachsenden Blume sich kund tliun. Wie die Blumen, die Lieblinge der Natur, so sollte auch
jedes Ornament seinen eigenen Duft haben, d. h. einen Grund für seinen Gebrauch; jedes Ornament sollte
an zierlicher Construction, an harmonischer Mannichfaltigkeit der Formen, an gehörigem Ebenmass und
untergeordneter Abstufung der Theile zu einander, mit dem Modell zu wetteifern suchen. Wenn in einem
Ornamente eines dieser Merkzeichen abgeht, so können wir mit Gewissheit annehmen, dass es einem ent
lehnten Style angehört, worin der Geist welcher das Originalwerk belebte, beim Copiren verloren ge
gangen ist.
Die Architektur der Aegypter ist durchgehends polychromatisch,—-sie bemalten alles; wir haben also in
dieser Beziehung so manches von ihnen zu lernen. Sie behandelten die Malerei in flachen Tinten, ge
brauchten weder Schattirung noch Schatten, und doch fanden sie keine Schwierigkeit, die Identität des dar
zustellenden Gegenstandes im Geiste des Beschauers anzuregen. Der Gebrauch ihrer Farben, wie der der
Form, war conventionell. Man vergleiche die Darstellung des Lotos (No. 3, Tafel IV.), mit der natürlichen
Blume (No. 1), um zu sehen wie herrlich die Kennzeichen der natürlichen Blume in der Darstellung wieder
gegeben sind! Wie richtig die äussern Blätter mittelst eines dunklern Grüns unterschieden sind, und die
innern, geschützten Blätter mittelst eines hellem Grüns; während der purpurne und gelbe Ton der innern
Blume, mittelst rother, auf gelbem Felde schwebender Blätter dargestellt ist, wodurch die schimmernde
Gluth des Originals auf’s vollkommenste hervortritt. So finden wir Kunst mit Natur vereint, und erfreuen
uns eines verdoppelten Genusses beim Gewahrwerden der Geistesanstrengung, die diesen glücklichen
Verein zu Stande gebracht hat.
Die am meisten von den Aegyptern gebrauchten Farben waren Both, Blau und Gelb, nebst der ge
legentlichen Anwendung von Schwarz und Weiss um die verschiedenen Farben zu begrenzen und ihnen die
nöthige Deutlichkeit zu verleihen; und Grün gewöhnlich, obwohl nicht immer, als Localfarbe, wie in den
grünen Lotosblättem. Doch waren diese Blätter eben so oft blau als grün gefärbt: blau in den ältesten
Zeiten, und grün während der ptolomäischen Periode, ja, in dieser letztem Zeit wurde auch Purpur und
Braun hinzugefügt, welches jedoch den Effect verringerte. Auch das Both, welches man an Gräbern und
Mumienkasten der griechischen oder römischen Periode findet, ist von matterem Tone als das der alten
Zeiten; und es kann, wie es scheint, als allgemeine Begel gelten, dass in den archäischen Perioden der
Kunst die Grundfarben, Blau, Both und Gelb die vorherrschendsten waren, und zugleich mit der grössten
Harmonie und dem glücklichsten Erfolg angewendet wurden. In den Perioden aber, wo die Kunst als ein
Ergebniss der Ueberlieferung, nicht instinktmässig ausgeübt w'ird, stellt die Tendenz sich ein, die secun-
dären F’arben und Tinten, nebst Schattirungen jeder Varietät zu gebrauchen, doch geschieht das selten mit
gleichem Erfolg. Wir werden oft Gelegenheit haben in den folgenden Capiteln darauf hinzuweisen.