Allgemeine Bewaffnung und Artilleriewefen.
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In rafcher Folge erlebten wir die wiehtigften Neuerungen und gediehen
diefelben unter den gefchulten Händen erfahrungsreicher Fachmänner binnen
Kurzem zur Reife. Theorie und Praxis gingen dabei Hand in Hand, und kamen fo
über manches Hindernifs hinweg, das vor wenig Jahren noch unüberlteigbar
fchien. Den Beweis hiefür liefern jene Syfteme, welche in den verfchiedenen
Staaten zur Heeresbewaffnung eingeführt worden find. Wenngleich noch nicht alle
derfelben ihre Kriegstüchtigkeit auf dem Schlachtfelde bewiefen haben, fo darf
man fie dennoch mit Rückficht auf die ftrengen Proben, denen fie unterworfen
wurden, durchgehends als feldtauglich anerkennen.
Die Technik finnt übrigens ungeachtet fo fchöner Erfolge noch immer auf
Verbefferungen oder Neugeftaltungen, ein Zeichen, dafs der Höhenpunkt der Ver
vollkommnung des Waffenwefens noch keineswegs als erreicht zu bezeichnen ift.
Dafs das Streben nach Vervollkommnung der Handfeuerwaffen allfeits ein
reges fei, wurde durch die Ausftellung dargethan. Diefelbe war zunächft mit allen,
in den grofsen continentalen und überfeeifchen civilifirten Staaten eingeführten,
derlei Waffen befchickt, aufserdem aber waren nicht nur mehr oder weniger glück
liche Modificationen diefer Syfteme, fondern in mehreren Ländern auch Verfuche
neuer Conftrudlionen ausgeftellt. Letzteres bezieht fich insbefondere aufRevolver,
bei denen in den Details fehr finnreiche und zweck’entfprechende Verbefferungen
zu fehen waren.
Da über das Wefen der Ordonnanzwaffen, fowie über deren balliftifche
und fonltige Eigenfchaften bereits eine weiterverbreitete und eingehende Fach
literatur Aufklärung gibt,* fo werden wir von denfelben im Einzelnen hier abfehen
und uns nur mit den unter den exponirten Militärgewehren befindlichen, weniger
bekannten Syftemen und Projekten und mit den wichtigeren Abänderungen an
bereits beftehenden Syflemen befchäftigen.
Oefterreich war im Fache der Kriegs-Handfeuer-Waffen auf der Aus-
flellung durch die Waffenfabriks-Actiengefellfchaft in Steyer und
durch die Wiener Firma Leopold Gaffer in würdiger Weife vertreten.
Die Waffenfabrik** hatte öfterreichifche Infanteriegewehre und
Karabiner mit W e rn d 1 - V e rfc h 1 u fs, welche bereits die neueften V e r-
b e ffe r unge n am Verfchlufsmechanismus, Abzüge, an der Schäftung
u. f. w. aufwiefen, wovon wir fpäter die Details mittheilen, ferner Gendarmerie
gewehre nach dem R ep e t i r fy fl eme Fruhwirth exhibirt.
Die aufserdem noch ausgeftellt gewefenen Privatgewehre WerndPfchen
Syftems mit den verfchiedenen Bellimmungen für Jagd, Bewaffnung von Bürger
corps und dergl. mit ihren demzufolge an Kaliber und Schäftung einigermafsen
geänderten Einrichtungen übergehen wir als der Tendenz diefes Berichtes ferne
liegend. Was nun die früher erwähnten, das Princip des WerndPfchen Verfchluffes***
berührenden Modificationen, fowie die Aenderungen an der Schäftung etc., anb"'-
* Zu den feit der Parifer Auskeilung in den gröfseren Staaten angenommenen Gewehr-
fykernen, welche zufolge der über fie bekehenden Literatur dem Fachmanne nicht fremd
geblieben fein können, gehören: Werndl (Oekerreich), H e n r y - M a r t i n i (England), Beau
mont (Niederlande), Vetterli (Einlader- und Repetirwaffe, Schweiz, modificirt Italien),
B erd an (Rufsland), Werder (Baiern).
Preufsen hat in letzter Zeit das Sykem Maufer (einen für Metallpatronen eingerich
teten, dem Chaffepot und Beaumont verwandten Selbkfpanner kleinen Kalibers) acceptirt,
behandelt jedoch dasfelbe bis jetzt noch mit folcher Zurückhaltung, dafs hierüber verläfsliche
Publicationen dermalen nicht zur Verfügung kehen.
** Die Waffenfabrik in Steyer bekeht feit dem Jahre 1830 und ik feit dem Jahre 1869
im Befitze einer Actiengefellfchaft. Sie gehört zu den gröfsten Etabliffements für Handfeuer-
waften-Fabrication auf dem Continente, und befchäftigt bei vollem Betriebe 3000 Arbeiter. Eine
Filiale derfelben mit einer jährlichen Produdtionsfahigkeit von 60.000 Stück Gewehren befindet
fich in Pek. Die Werke in Steyer find im Stande, wöchentlich 5000 Gewehre jeden Sykems
fertig zu keilen. Der Confum an Material betrug im Jahre 1872 : 24.996 Wiener Centner Stahl,
3460 Wiener Centner Eifen, 1143 Wiener Centner Mafchinen-Gufstheile, 1069 Wiener Centner
Oel, i4'454 Wiener Centner Mineralkohle und 81.000 Wiener Metzen Holzkohle.
*** Modell 1867.