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Volltext: Textil- und Bekleidungs-Industrie, Wiener Weltausstellung Heft 5

406 Gruppe V. Textil- und Bekleidungs-Industrie. 
dem idealen Sinne verdanken, den sich der Industrielle vermöge seiner 
Beschäftigung so lange vor allen Berufsclassen erhält, der ihn freudig 
auch auf diesem Gebiet „das Culturlebcn der Gegenwart fördern“ lässt, 
wo er sich der Aussicht auf reellen Nutzen von vornherein begiebt. 
Dieser Nutzen schwindet vornehmlich in den industriellen Gebieten, 
auf denen vermöge der ausgebreiteten Communicationsmittel der Zu 
sammenhang der Producenten mit den Consumenten durch die 
Eigenthümlichkeit ihrer Erzeugnisse ein besonders inniger geworden 
ist; unter ihnen steht obenan die Textilindustrie. Kein Gewerbszweig 
erleichtert durch die Möglichkeit, seine Producte in kleinen Abschnitten 
ohne grosse Kosten und Mühe den Interessirenden vorzulegen, die 
enge und häufige Verbindung des Fabrikanten mit seinen Abnehmern, 
wie dieser. Nirgend wie hier ziehen Reisende und Agenten in solcher 
Zahl durch alle Lande, erleichtern die billigen Postporti die Versendung 
von Mustercollectionen in die entferntesten Gegenden, aus denen der 
Käufer sich vollständig über die Qualitäten und Dessins der gewünschten 
Waaren zu orientiren im Stande ist. Fehlt hiernach dem Fabrikanten 
aus der Textilindustrie vielfach der Antrieb, seine Waaren auf die Welt 
ausstellung zu senden, so sieht er sich, falls er sich dazu entschliesst, 
noch häufig in den berechtigten Ansprüchen, die er an das Arrange 
ment der Stoffe stellen kann, getäuscht. Bei der grossen Mehrzahl 
unserer Gewebe, deren Werth nicht auf dem ins Ange fallenden 
Muster, sondern auf der Güte der Qualität beruht, wird, wenn dieselben 
wie leider so häufig, hinter Glas und Rahmen ausgestellt werden, eine 
Beurtheilung vollständig unmöglich. Das Aufhören der Verpflichtung 
der Preisangabe hat vielen für den äusseren Anblick unscheinbaren 
Stoffen die Bekanntmaclmng ihres einzigen Werthes— der Billigkeit — 
geraubt. Glücklicher sind die Artikel, welche durch reiche Dessinirung 
die Augen der Besucher auf sich ziehen, noch mehr die, bei denen sich 
das Muster mit einer Grösse verbindet, welche die leichte Versendbar- 
keit in Proben verhindert. So sahen wir vor Allem in Wien den Zweig 
der Weberei, bei dem die letzteren Eigenschaften besonders zutreffen, 
— die Teppichindustrie —, in vorzüglichster und gleichmässigster 
Weise vertreten, während sich auf allen anderen Gebieten, vornehmlich 
in den glatten billigen Stapelartikeln, eine sehr lückenhafte Betheiligung 
herausstellte. Solche Erwägungen schienen am meisten in dem prak 
tischen England maassgebend gewesen zu sein, dessen hochbedeutende 
Wollenwaareniudustrie auf der Ausstellung fast gar nicht, die Baum 
wollen- und Leinenindustrie ebenfalls in durchaus nicht dem Umfange 
entsprechender Weise vertreten waren. Es dürften sich daher aus der 
Betheiligung der Textilindustrie an der Wiener Weltausstellung die 
Sätze abstrahiren lassen: Das Interesse an den Weltausstellungen für 
bestimmte Artikel ist um so geringer, je leichter dieselben in Mustern 
oder Abschnitten, aus denen ihre Eigenthümlichkeiten vollkommen
	        
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