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J. Steiger-Meyer in Herisau.
Reflexionen,
a) Allgemeiner Eindruck der Weltausstellung in Wien.
Die Ansichten Aber den practischen Nutzen der Weltausstellungen-
für den einzelnen Industriellen mögen sehr verschieden sein, allein da
rin sind wohl alle einig, dass dieselben die grossartigste Schöpfung sind,
welche der menschliche Geist je geschaffen hat.
Wenn wir sehen wie bis in die allerneueste Zeit die Völker bis
an die Zähne bewaffnet einander gegenüber stehen; wenn wir betrach
ten wie die Kriegslasten den Einzelnen drücken, die allgemeine Ent
wicklung der Bildung und die Hebung des menschlichen Geistes hemmen,
so kann man mit Recht fragen: «Dürfen wir uns wirklich des Fort
schrittes in der Civilisation rühmen? Gab es bei den Alten grössern
Völkerhass als in der Neuzeit? Haben wir den wilden Völkerschaften,
welche sich fortwährend bekriegen, viel voraus?
Solchen demüthigenden Fragen gegenüber sind die Weltausstel
lungen ein erhabenes Zeugniss, dass die Völker nach ihrem freien Wil
len nicht den Krieg, sondern den Frieden wollen, dass trotz der Bajo
nette die Verbrüderung aller Nationen fortschreitet.
Auch nicht ein einziges culturfähiges Volk hat sich geweigert an
dem ungeheuren Bau des Friedens Theil zu nehmen. Derselbe beher
bergte die Erzeugnisse von 35,000 Industriellen! Wie viele Hände mö
gen an deren Erstellung gearbeitet haben? Ist eine Million zu hoch
gegriffen? Welcher Fleiss wurde daran verwendet, wie viele Millionen
Stunden daran gearbeitet!
Die Egypter, Syrier, Griechen und Römer mögen grössere Bauten
erstellt haben als die Neuzeit sie kennt, aber zu einem Werke wie die
Weltausstellung in Wien, woran alle Völker der Erde in friedlichem
Wetteifer arbeiteten, wo die sämmtlichen Erzeugnisse der menschlichen
Gultur zu einem Gänzen zusammengestellt wurden, waren sie nicht be
fähigt.
Die Betheiligung der Völker des Westens war bedeutend schwä
cher als früher; namentlich England schien der Ausstellungen müde zu
sein; ganze Distriete sandten fast nichts; auch America ermangelte, uns
einen richtigen Begriff von seiner Industrie zu geben.
Im grossen Ganzen bot die europäische Abtheilung überhaupt
wenig Neues; man hatte den Eindruck, dass seit 1867 die Spannkraft
für neue Erfindungen ermattet und eine stark fühlbare Stagnation
eingetreten sei.
Dagegen waren die Völker des Ostens viel grossartiger vertreten
als je vorher, und gestatteten uns einen tiefen Einblick in die Mannig
faltigkeit ihrer tausendjährigen Industrien.