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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

Plänen zu erbauen, in welche die Bevölkerung aus den alten, 
fcbmutjigen Städten mit folcher Selbftverftändlidbkeit und - dank 
der fpäter anzuwendenden Macbtbefugniffe - folcher Leicbtig= 
keit überfiedelt, wie aus einer alten, verfallenen Wohnung in 
ein neues, behagliches Heim. Weite Strecken Landes müffen 
erworben werden, um folcbe Städte bauen zu können. Hier 
und da mögen wohl mit einem oder mehreren Grundbefitjern 
gütliche Abmachungen getroffen werden können, aber wenn die 
Bewegung in einigermaßen metbodifcber Art und Weife um fich 
greifen foll, fo bandelt es fich um den Erwerb weit größerer 
Länderftrecken, als für das erfte Experiment erforderlich waren. 
Denn gerade wie die erfte kurze Eifenbahn, die der Keim des 
ganzen Eifenbabnwefens war, nur in wenigen Menfcben ein 
Bild eines fich über das ganze Land verzweigenden Eifenbabm 
netjes erwecken konnte, fo kann der Lefer aus meiner Befcbrei* 
bung und meinen Ausführungen keine Vorftellung von der Ent= 
Wicklung gewonnen haben, die dem erften Experiment folgen 
und das Planen und die Erbauung ganzer Gruppen von Städten 
zeitigen muß, in denen jede einzelne Stadt eine beftimmte Eigen 
art bat, die fich aber doch alle einem großen, wobldurcbdacbten 
Plane einfügen. □ 
Ich möchte hier ein Diagramm (Seite 120) einfügen, das nach 
meiner Anfcbauung ein Bild von dem einzig richtigen Prinzip gibt, 
nach dem alle Städte fich entwickeln müßten. Nehmen wir an, daß 
die Gartenftadt die erhoffte Entwicklung genommen und die in 
Ausficbt genommene Einwohnerzahl von 32 000 Bewohnern er 
reicht bat. In welcher Weife foll fie nun weiter wachfen? Wie 
foll fie den Bedürfniffen derer entfprecben, die durch ihre zahl 
reichen Vorzüge angezogen werden? Soll fie etwa den Gürtel 
der fie umfcbließenden Ländereien bebauen und auf diefe Weife 
für immer das Recht auf ihren Namen »Gartenftadt« verlieren? 
Sicherlich nicht. Diefes beklagenswerte Refultat wäre allerdings 
unausbleiblich, wenn diefer Gürtel, wie es in den beftebenden 
Städten der Fall ift, fich in den Händen von Privateigentümern 
befände, die ängftlicb darauf bedacht find, Nu^en daraus zu 
ziehen. Denn dann würde das Land, mit dem Augenblick, wo 
das Stadtgebiet bebaut wäre, »baureif«, und mit der Schönheit 
und Gefundbeit der Stadt wäre es dann fchnell vorbei. Aber 
glücklicherweife befindet fich das Land, das die Stadt umgibt, 
nicht in den Händen von Privateigentümern, fondern in denen 
der Gefamtbeit der Stadtbevölkerung, und wird nicht für die 
vermeintlichen Intereffen jener wenigen, fondern im wirklichen 
Intereffe des ganzen Gemeinwefens verwaltet. Auch gibt es 
wenig Dinge, über die das Volk fo eiferfüchtig wacht, wie über 
feine Parks und freien Plä^e. Ich glaube, man darf überzeugt 
fein, daß die Bewohner der Gartenftadt es nicht einen Augenblick 
dulden würden, daß die Schönheit der Stadt unter ihrem Wachs 
tum litte. Aber eine andere Frage könnte dann am Platze 
fein: Werden die Bewohner der Gartenftadt nicht in hohem 
Grade felbftfüchtig fein, wenn fie fich dem Wachstum der Stadt 
entgegenftellen und dadurch viele andere von dem Genuß der 
Vorteile, die fie bietet, ausfcbließen? Gewiß nicht. Denn es 
bietet fich eine glänzende, bisher aber immer überfebene Alter 
native. Die Stadt wird weiter wachfen; aber fie wird nach einem 
neuen Prinzip wachfen, fodaß das Wachstum der Stadt nicht 
eine Verminderung und Zerftörung, fondern vielmehr eine 
Steigerung ihres gefelligen Lebens, ihrer Schönheit und ihres 
Komforts bedingt. Der Lefer betrachte einen Augenblick das 
Beifpiel einer Stadt in Auftralien, die in gewiffem Grade das 
von mir vertretene Prinzip illuftriert. Die Stadt Adelaide ift, 
wie aus der anliegenden Skizze bervorgebt, rings von Park 
gelände umgeben. Das Stadtgelände ift völlig bebaut. Wie foll 
die Stadt weiter wachfen? Sie wäcbft, indem fie das Parkgelände 
überfpringt, und ein Nord-Adelaide wird begründet. Dies ift 
auch das Prinzip, welches in der Gartenftadt befolgt und ver 
vollkommnet werden foll. □ 
Unter Diagramm wird nun verftändlicb fein. Das Stadtgebiet 
der Gartenftadt ift vollftändig bebaut; ihre Bevölkerung bat die 
Zahl von 32000 Köpfen erreicht. Wie wird fie weiterhin wacbfen? 
Sie wird wachfen, indem fie - vorausficbtlicb unter Anwendung 
ftaatlicb verliehener Enteignungsbefugniffe - eine andere Stadt 
in einiger Entfernung jenfeits ihres eigenen Landbezirkes er 
richtet, fodaß die neue Stadt gleichfalls ihren eigenen befondern 
ländlichen Bezirk bat. Ich habe von der Errichtung einer neuen 
Stadt gefprochen, und was die Verwaltung anbetrifft, würde es 
fich tatfächlich um zwei felbftändige Städte bandeln. Die Be 
wohner der beiden Städte könnten einander aber in wenigen 
Minuten erreichen, denn man würde für fcbnelle Verkehrsmittel 
befondere Sorge tragen, und auf diefe Weife würden anderer- 
feits die Bewohner beider Städte in Wirklichkeit ein Gemein- 
wefen bilden. □ 
Wenn diefes Prinzip des Wachstums, das unteren Städten 
immer einen landwirtfchaftlichen Gürtel zu erhalten beftrebt ift, 
ftets befolgt würde, fo würden ficb im Laufe der Zeit Gruppen 
von Städten bilden. Diefe brauchten natürlich nicht in der ftreng 
geometrifchen Form meines Diagramms angelegt zu fein. Jeden 
falls aber müßten fie ein Gebilde von Zentralftadt mit Neben- 
ftädten darftellen, fodaß jeder Bewohner einer ganzen Gruppe 
in gewiffem Sinne in einer mittelgroßen Stadt wohnt, zu gleicher 
Zeit aber auch in einer großen, ungewöhnlich fcbönen Stadt 
lebt und alle ihre Vorzüge genießt. Und dabei brauchte er nicht 
auf die etfrifcbenden Freuden des Landlebens zu verzichten — 
Felder, Hecken und Wälder, nicht bloße Zierparks und Gärten 
find in wenigen Minuten zu erreichen. Und aus dem Grunde, 
weil die Bevölkerung in ihrer Gefamtbeit Eigentümerin des 
Grund und Bodens ift, auf dem diefe Gruppe fcböner Städte er 
baut ift, werden die öffentlichen Gebäude, die Kirchen, Schulen 
und Univerfitäten, die Bibliotheken, Bildergalerien und Theater 
von einer folcben Pracht fein, wie keine Stadt der Welt, deren 
getarnter Grund und Boden ftets an Privatperfonen verpfändet 
ift, fie aufweifen kann. □ 
Ich habe fcbon erwähnt, daß fcbnelle Eifenbabnverbindungen 
von den Einwohnern diefer fcbönen Stadt oder diefer Städte 
gruppen gefchaffen werden würden. Ein Blick auf das Diagramm 
zeigt die Hauptlinien diefes Eifenbabnfyftems. Da ift zunäcbft 
eine Ringbahn, die alle Städte des äußeren Ringes - 20 englifcbe 
Meilen im Umkreis — miteinander verbindet. Um von einer 
diefer Städte zu der am weiteften entfernt gelegenen Scbwefter- 
ftadt zu gelangen, find unter diefen Umftänden nur zehn eng» 
lifche Meilen zurückzulegen, was in etwa zwölf Minuten mög 
lich wäre. Zwifchen den Städten find keine Halteftellen vor- 
gefeben, da jede Stadt mit der näcbftgelegenen durch eine direkte 
Linie verbunden ift. Der Verkehr auf der Strecke zwifchen 
zwei benachbarten Städten wird durch elektrifche Straßenbahnen 
vermittelt, welche die großen Landftraßen benutjen, von denen, 
wie man fiebt, eine ganze Anzahl vorhanden find. □ 
Außerdem ift noch ein Eifenbabnfyftem vorhanden, welches 
jede Außenftadt direkt mit der Zentralftadt verbindet. Die Ent 
fernung zwifchen jeder Außenftadt und dem Hetzen der Zentral 
ftadt beträgt nur 3 l U engl. Meilen, und diefe könnten mit Leichtig 
keit in fünf Minuten zurückgelegt werden. □ 
Diejenigen, die erfahren haben, wie fchwierig es ift, aus einer 
Vorftadt Londons in eine andere zu gelangen, werden fofort 
einfeben, welchen Vorzug die Bewohner einer folcben Städte 
gruppe wie die unfrige genießen, und zwar aus dem Grunde, weil 
ein Eifenbabn - S y ft e m und nicht ein Eifenbabn -Chaos vorhanden 
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