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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

Gartenftadtland Hellerau 
PLflNlDER MUSIKALISCHEN ORGANISATION IN DER 
GARTENSTADT »HELLERAU« 
Die muiikalifcbe Organifation der Gemeinde wird zu erftreben 
haben: 1. die mufikliebenden und mufiktreibenden Elemente zu« 
fammenzufaffen; 2. für tüchtigen muükalifchen Nachwuchs zu 
forgen. Die muükalifchen Agenden der Gemeinde beforgt ein 
»Muükverein«, der die öffentliche Mufikpflege und den muüka 
lifchen Unterricht in Händen hat. Der erfte Mufikunterricht be 
ginnt mit dem fechften Jahre, und zwar in finngemäßer Anpaf« 
fung der Methode Jacques Dalcroze an die deutfchen Verhältniffe. 
Diefe Methode lehrt die Grundbegriffe der Mufik in engfter Ver 
bindung mit der Gymnaftik, mit Reigen und Bewegungsfpielen 
in freier Luft, befreit den muükalifchen Elementarunterricht von 
der Schulbank und vom Inftrument. Im achten Jahre wird der 
Gefang gepflegt (Atemübungen) und es beginnen Übungen zur 
Verfeinerung des Gehörs. Nach zwei Jahren müffen die Kinder 
mit den fchönften Liedern und Spielen des deutfchen Kinder- 
liederfchatjes vertraut fein. Mit dem zehnten Jahre wird ans 
Inftrument gegangen. Die einfeitige Bevorzugung von Klavier 
oder Geige ift zu meiden. Die Erlernung von Cello, Gitarre, 
Harmonium fowie von Blasinftrumenten ift zu erftreben, und wo 
fich Luft dazu zeigt, ift diefe zu fördern (Prämien!). Als das 
Ziel erfcheint die Bildung von inftrumentalen Enfembles und 
eines kleinen Orchefters feitens der jungen Leute. Talentierte 
Schüler werden auf Koften des Mufikvereins fortgebildet, wenn 
ihnen dazu die Mittel fehlen (Stipendien, Preife). □ 
Mit vollendetem 18. Jahre wird man ordentliches Mitglied des 
Mufikvereins und fchreibt fich in die Klaffe der Mitwirkenden 
oder in jene der Genießenden ein. Letjtere zahlen einen höheren 
Betrag und genießen dafür den freien Zutritt zu den Mufik« 
abenden. Die mitwirkenden Mitglieder betätigen fich entweder 
in der Chor- oder in der Orchefterabteilung oder in beiden. 
Das künftlerifche Ziel bilden nicht öffentliche Produktionen, fon- 
dern interne Mufikabende für die Vereinsmitglieder. Das Mufi- 
zieren foll nicht ein Konzertieren für ein Publikum fein, fondern 
vor allem ein Vergnügen für die, fo es ausüben. Hierin liegt 
der prinzipielle Unterfchied zwifchen diefem und den herkömm 
lichen Mufikvereinen. Neben den Mufikabenden gibt es foge- 
nannte Gefellfchaftsabende, worin die Mufik geradezu ein Mittel 
beziebungsweife eine Form des gefelligen Vergnügens bildet. 
Während in den Mufikabenden vor allem die volkstümliche 
Kunftmufik gepflegt wird, follen in den Gefellfcbaftsabenden 
Volkslied und Volkstanz den breiteften Spielraum einnebmen. 
Der Mufikverein wird einigemal im Jahre auch Konzerte geben, 
mit Berufung von Berufskünftlern, damit die Gemeinde auch 
diefen Zweig der Tonkunft kennen lerne. Desgleichen follen 
ein bis zwei Vorträge über mufikalifcbe Fragen gehalten wer 
den. Vielleicht auch jährlich ein Debattenabend, wo in zwang- 
lofer Ausfprache Vorzüge und Mängel der gehörten Werke zu 
erörtern find. Hauptfacbe erfcheint mir, daß Mufik- und Gefell 
fchaftsabende nicht nur gefunde geiftige Nahrung bieten, fondern 
auch fo angelegt werden, daß fie über fich binausweifen und die 
Mufikpflege im Haufe kräftig anregen. Das ift natürlich nur im 
Rahmen einfacher, gefunder Tonkoft möglich. Um aber auch 
den Fortgefchrittenen etwas zu bieten, die Kräfte anzufpannen 
und anzufpornen, müßte jährlich oder alle zwei Jahre auch eine 
größere oder fcbwierigere Kompofition eingeübt werden. Aber 
dann immer mit ausdrücklicher Betonung, daß nicht in der 
Kompliziertheit oder Schwierigkeit einer Kompofition ihr Wert 
liege, fondern in ihrem Ausdrucksgehalt, daß die Länge und 
Schwierigkeit fich nur rechtfertige durch die Fülle und Mannig 
faltigkeit des Inhalts. □ 
Neben der Pflege der Kunftmufik im gefcbloffenen Raum fällt 
dem Mufikverein der Gemeinde auch die Überwachung und 
Durchführung der volksmäßigen und öffentlichen Mufik zu. 
Berufs- und Standeslieder, welche die Freude am Beruf und 
damit die Lebensfreude beben, find zu fammeln und mit den 
Berufsvertretern einzuüben, ab und zu auch an den Gefellfcbafts 
abenden vom Vereinschor zu fingen, um gute Vorbilder für die 
Laien binzuftellen. Wo fich rbytbmifch geregelte Arbeit mit ge» 
meinfamem Gefang vereinen läßt, ift das einzurichten. □ 
Wichtig ift, daß bei öffentlichen, d. h. im Freien ftattfindenden 
Feften gute Mufik nicht fehle und das Gefühl des gemeinfamen 
Strebens oder gemeinfamer Freude, Erhebung, Trauer im Ge 
fang des ganzen anwefenden Volkes geweckt und kundgetan 
werde. Frühling und Herbft werden mit Volksfeften gefeiert, 
bei deren mufikalifcben Bräuchen und Spielen (Kampf des 
Sommers mit dem Winter) die Mufik nicht fehlen darf. Es ift 
wichtig, die einzelnen wiederkehrenden, irgendwie ausgezeich 
neten Jahrestage aud-) mufikalifch cbarakteriftifch zu kennzeichnen. 
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