Gartenftadtland Hellerau
PLflNlDER MUSIKALISCHEN ORGANISATION IN DER
GARTENSTADT »HELLERAU«
Die muiikalifcbe Organifation der Gemeinde wird zu erftreben
haben: 1. die mufikliebenden und mufiktreibenden Elemente zu«
fammenzufaffen; 2. für tüchtigen muükalifchen Nachwuchs zu
forgen. Die muükalifchen Agenden der Gemeinde beforgt ein
»Muükverein«, der die öffentliche Mufikpflege und den muüka
lifchen Unterricht in Händen hat. Der erfte Mufikunterricht be
ginnt mit dem fechften Jahre, und zwar in finngemäßer Anpaf«
fung der Methode Jacques Dalcroze an die deutfchen Verhältniffe.
Diefe Methode lehrt die Grundbegriffe der Mufik in engfter Ver
bindung mit der Gymnaftik, mit Reigen und Bewegungsfpielen
in freier Luft, befreit den muükalifchen Elementarunterricht von
der Schulbank und vom Inftrument. Im achten Jahre wird der
Gefang gepflegt (Atemübungen) und es beginnen Übungen zur
Verfeinerung des Gehörs. Nach zwei Jahren müffen die Kinder
mit den fchönften Liedern und Spielen des deutfchen Kinder-
liederfchatjes vertraut fein. Mit dem zehnten Jahre wird ans
Inftrument gegangen. Die einfeitige Bevorzugung von Klavier
oder Geige ift zu meiden. Die Erlernung von Cello, Gitarre,
Harmonium fowie von Blasinftrumenten ift zu erftreben, und wo
fich Luft dazu zeigt, ift diefe zu fördern (Prämien!). Als das
Ziel erfcheint die Bildung von inftrumentalen Enfembles und
eines kleinen Orchefters feitens der jungen Leute. Talentierte
Schüler werden auf Koften des Mufikvereins fortgebildet, wenn
ihnen dazu die Mittel fehlen (Stipendien, Preife). □
Mit vollendetem 18. Jahre wird man ordentliches Mitglied des
Mufikvereins und fchreibt fich in die Klaffe der Mitwirkenden
oder in jene der Genießenden ein. Letjtere zahlen einen höheren
Betrag und genießen dafür den freien Zutritt zu den Mufik«
abenden. Die mitwirkenden Mitglieder betätigen fich entweder
in der Chor- oder in der Orchefterabteilung oder in beiden.
Das künftlerifche Ziel bilden nicht öffentliche Produktionen, fon-
dern interne Mufikabende für die Vereinsmitglieder. Das Mufi-
zieren foll nicht ein Konzertieren für ein Publikum fein, fondern
vor allem ein Vergnügen für die, fo es ausüben. Hierin liegt
der prinzipielle Unterfchied zwifchen diefem und den herkömm
lichen Mufikvereinen. Neben den Mufikabenden gibt es foge-
nannte Gefellfchaftsabende, worin die Mufik geradezu ein Mittel
beziebungsweife eine Form des gefelligen Vergnügens bildet.
Während in den Mufikabenden vor allem die volkstümliche
Kunftmufik gepflegt wird, follen in den Gefellfcbaftsabenden
Volkslied und Volkstanz den breiteften Spielraum einnebmen.
Der Mufikverein wird einigemal im Jahre auch Konzerte geben,
mit Berufung von Berufskünftlern, damit die Gemeinde auch
diefen Zweig der Tonkunft kennen lerne. Desgleichen follen
ein bis zwei Vorträge über mufikalifcbe Fragen gehalten wer
den. Vielleicht auch jährlich ein Debattenabend, wo in zwang-
lofer Ausfprache Vorzüge und Mängel der gehörten Werke zu
erörtern find. Hauptfacbe erfcheint mir, daß Mufik- und Gefell
fchaftsabende nicht nur gefunde geiftige Nahrung bieten, fondern
auch fo angelegt werden, daß fie über fich binausweifen und die
Mufikpflege im Haufe kräftig anregen. Das ift natürlich nur im
Rahmen einfacher, gefunder Tonkoft möglich. Um aber auch
den Fortgefchrittenen etwas zu bieten, die Kräfte anzufpannen
und anzufpornen, müßte jährlich oder alle zwei Jahre auch eine
größere oder fcbwierigere Kompofition eingeübt werden. Aber
dann immer mit ausdrücklicher Betonung, daß nicht in der
Kompliziertheit oder Schwierigkeit einer Kompofition ihr Wert
liege, fondern in ihrem Ausdrucksgehalt, daß die Länge und
Schwierigkeit fich nur rechtfertige durch die Fülle und Mannig
faltigkeit des Inhalts. □
Neben der Pflege der Kunftmufik im gefcbloffenen Raum fällt
dem Mufikverein der Gemeinde auch die Überwachung und
Durchführung der volksmäßigen und öffentlichen Mufik zu.
Berufs- und Standeslieder, welche die Freude am Beruf und
damit die Lebensfreude beben, find zu fammeln und mit den
Berufsvertretern einzuüben, ab und zu auch an den Gefellfcbafts
abenden vom Vereinschor zu fingen, um gute Vorbilder für die
Laien binzuftellen. Wo fich rbytbmifch geregelte Arbeit mit ge»
meinfamem Gefang vereinen läßt, ift das einzurichten. □
Wichtig ift, daß bei öffentlichen, d. h. im Freien ftattfindenden
Feften gute Mufik nicht fehle und das Gefühl des gemeinfamen
Strebens oder gemeinfamer Freude, Erhebung, Trauer im Ge
fang des ganzen anwefenden Volkes geweckt und kundgetan
werde. Frühling und Herbft werden mit Volksfeften gefeiert,
bei deren mufikalifcben Bräuchen und Spielen (Kampf des
Sommers mit dem Winter) die Mufik nicht fehlen darf. Es ift
wichtig, die einzelnen wiederkehrenden, irgendwie ausgezeich
neten Jahrestage aud-) mufikalifch cbarakteriftifch zu kennzeichnen.
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