DIE MIETSWOHNUNG
L.: GRUNDSÄTZE FÜR DIE GESTALTUNG
DES WOHNRHUMES
IV.
DIE ENTWICKLUNG DER MÖBELFORMEN
olz ift der echt germanifche Bildftoff! Kein Volk kann lieh
rühmen, den Holzftil in konftruktiver, tecbnifdier und künft=
lerifeber Hinficbt zu folcher Reinheit entwickelt zu haben,
wie die germanifchen Völkerfchaften. Sie waren fchon im fUtertum
durch ihre Holzkunft hochberühmt. Cäfar lobte ihre Konftruktion,
Vitruv und Tacitus weifen auf die Gefchicklicbkeit im Facbwerk,
auf die reich verzierte und farbige Holzarchitektur der Deutfchen
bin. Die merowingifeben Könige bevorzugen diefe den Franken
eigentümlichen Kunftformen, und die nordifeben Sagen find er=
füllt von rühmlichen Schilderungen folcher Holzwerke, »deren
Scbnitjerei feböner als Tapetenftickerei«, ein Gleichnis, das, ab*
gefehen von der Stilverwandtfchaft zwifchen Scbnitjerei und
Stickerei, beweift, daß die Polycbromie an dem Holzwerk nicht
gefehlt bat. Die Holzzimmerei ift die ältefte Grundlage der Haus*
architektur des Nordens. Wenn wir von den verfchiedenen Hrten
des Holzwerkes abfeben, dem Reiswerk, dem Blockverband und
den namentlich in Deutfchland, Holland und England zur hoben
kunftformellen Ausbildung gelangten Facbwerk, fo ergibt fich,
daß die Stilgrundfätje der Holzzimmerei bis beute am konfe*
quenteften im Hausrat zur Anwendung gekommen find. Er ift
das eigentliche Gebiet diefer Kunft. Zwar finden wir bei den
alten Kulturvölkern den Hausrat auf einer hoben Stufe der Ent*
Wicklung, allein die febr gefcbickten Hausgeräte, wie Seffel,
Stühle, Tifcbe der Ägypter oder der edlen grecoitalifcben Kon*
ftruktionen entlehnen ihre Stilgrundfätje zum Teil allzuerfichtlich
der Metallotecbnik und können fich mit dem alten Holzftil des
germanifchen Nordens trotj ihrer zierlichen Eleganz nicht meffen.
Die Entwicklung des Hausrates gebt auf wenige Elemente zurück,
die auf den technifcben Bedingungen des Materials beruhen. Das
Holz, gleidbfam als Urftoff für die Stabkonftruktion, konnte zu*
näcbft nur in diefer Form zur Anwendung kommen, wie im
Fachwerk oder als Rabmenftück mit Zwifcbenverbänden (Ge*
febränk). Die ältefte Form des germanifchen Stuhles ift ein vier*
kantiges Holzgerüft aus Ständern mit Querhölzern, zum Teil mit
reichem Scbnitjwerk verleben. Von diefer Stabkonftruktion und
dem Rabmenwerk mit Füllungen oder dem Getäfel geben die
älteften Formen aus, die im nordifeben Bau, im Wohnhaus und
in der Kirche noch eine fefte Einheit mit der Architektur bilden.
Die Sparfamkeit des Hausrates in folcben Räumen erregt unfere
Verwunderung, und doch haben wir das Gefühl beim Betreten
folcher Räume, daß nichts fehlt, um fich behaglich zu fühlen.
Noch berrfebt in der Renaiffance die Überlieferung fort, wonach
die Innenräume getäfelt find und fämtlicbe Schränke als fefter
Architekturbeftandteil von der Holzverkleidung, dem Getäfel ge*
bildet werden. Nur die Bank läuft, wie in den älteften Formen
des nordifeben Haufes, an den Wänden bin. Stuhl und Truhe
find die älteften Formen des beweglichen Hausrates, letztere ur»
fprünglich ein vernageltes Brettgezimmer, durch Befchläge und
Leiften gehalten und durch Scbnitjwerk und Polycbromie künft*
lerifcb behandelt. Auch an den Rahmen und Füllungen tritt die
Farbe und die Scbnitjkunft in ihr Recht, jedoch fo, daß der Rah*
men als ftruktiver Teil das einfaffende Element bleibt und die
Füllung als Träger des dekorativen Motivs auftritt. Oder es
tritt das gegenfeitige Motiv auf, die dekorative Belebung der
Strukturteile, deren Ornament aus der handwerklichen Hand*
babung bervorgebt. Immerhin ift in dekorativer Beziehung eine
ftrenge Unterfcbeidung unter den nicht dynamifcb tätigen Zwifchen»
feldern, die Ruheplätze bilden und ihrem Gegenteil, den ftü^en*
den, tragenden oder getragenen Teilen des Holzgezimmers, deren
Dekoration ftruktive Tätigkeit fymbolifieren darf. Es würde für
jedermann nützlich fein, die guten alten Werke, die auch in ihrer
vollkommenen Entbaltfamkeit febön find, mit neuzeitlidiem Haus*
rat und feiner widerfinnigen, dem Holzcharakter und der Kon*
ftruktion widerftrebenden formalen und dekorativen Behandlung
zu vergleichen. »Es gibt kein balbzivilifiertes oder wildes Volk
der alten und neuen Zeit, das in feinem einfachen Hausrat nicht
richtigen Takt, Stilfinn und felbft Gefcbmack offenbart, aber wir
- Meifter der Natur! - find dabin gelangt, Sparmetboden und
Mafcbinen zu erfinden, um Vorbilder alter Kunftperioden, deren
Ausführung damals die liebevollfte Sorgfalt des Einzelnen in
Anfpruch nahm und fein Werk war, engros und nur äußerlich
naebzuabmen.« Diefen Verirrungen gegenüber, mit denen wir
alle Mietswobnungen heutigen Tages erfüllt feben, kann es keine
beffere Zuflucht als die Anknüpfung an die natürlichen und
primitiven Formen des Holzftiles geben. Es ift, wie getagt, das
Brettgezimmer, die Truhe, eine kiftenförmige Form und in Ver*
bindung damit die Stabkonftruktion. Aus diefen Grundformen
haben fich allerdings in gegenfeitiger formaler Abhängigkeit von*
einander Bank, Stuhl und Tifcb entwickelt und nach der Los*
löfung des Gefchränkes aus dem feften Beftand der Holzarcbitek*
tur des Haufes, die Scbrankformen, die allen möglichen Zwecken
unterworfen und nach diefen abgewandelt wurden. Die Auf*
löfung des alten Holzarcbitekturftils brachte größere Beweglich*
keit in den Hausrat. Bis auf Tifcb und Stuhl und das von einer
umlaufenden Bank eängefchloffene bübnenartige, mit erlefener
Kunft gefchmückte Bett, war in der Blüte der Holzarchitektur
alles eingebaut. Zum Unterfchied von der heutigen Mietswobnung,
wo alles beweglich ift, wie in den älteften Zeiten, da die Ur*
formen entftanden. a
Wie im Anfang der Entwicklung, ift auch in der heutigen
Mietswobnung alles auf die nomadenhafte Beweglichkeit geftellt.
In der Wobnbausarcbitektur kommt der Unterfchied zwifchen
diefer Freizügigkeit und der Seßhaftigkeit deutlich zum Aus*
druck. Im Einzelwobnbaus ift alles immobil. Wie in den nor*
difchen Höfen der Vorzeit, im niederdeutfehen Bauernhaus und
im gotifeben Einzelwobnbaus ift alles eingebaut, Schränke,
Sitzmöbel und zum Teil die Betten. In einem guten Hausbau
diefer Art ift außer Tifcb und Stuhl faft nichts beweglich. □
Es ift nur ein Zeichen fchlechter künftlerifcher Unterfcbeidung,
wenn den Mietsmöbeln die Merkmale fefter Arcbitekturbeftand*
teile gegeben werden, wie es bei fogenannten eingebauten Sofas,
riefiger Dimenfion, den Divans mit einem an Vertäfelungen er*
innernden Gefimsoberbau und ähnlichen Verirrungen der Fall ift.
Mit dem beweglichen Möbel der Vorzeit verglichen, erfcheint
das Durcbfchnittsmöbel der Mietswobnung trotz zahlreicher
moderner Verbefferungsverfuche nodi immer als eine Ausgeburt
vollftändiger Ratlofigkeit und als Kennzeichen der üblen Ver*
faffung, in der fich das Kunftempfinden des Volkes und feiner
Werkleute befindet. Kein barbarifches Volk, das mit gefunden
Inftinkten begabt ift, würde fich den Unrat unterer durchfchnitt*
lieben Hausmöbel gefallen laffen. Bei einem Vergleich mit den
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