das finnische Volk beim ersten Landtag vom Kaiser Ale--
xander I., laut dessen eigenen Worten, „zur Anzahl der
Nationen emporgehoben wurde“. Ebensowenig erzählt uns
das Kunstwerk, daß der Nationaldichter JOHANN LUDWIG
RUNEBERG in Borgä lebte und starb, daß er dort seine
unsterblichen Gesänge dichtete über das Volk, „das fror und
hungerte und dennoch siegte“.
Nichts von alle diesem offenbarte sich dem Uneingeweihten.
Nur dem Sohne des Landes enthüllte sich der reiche Ge^
dankeninhalt seiner Kunst. Aber auch ihn berührten die
verschiedenen Bilder nicht mit gleicher Macht. Denn in Finnv
land leben Seite an Seite zwei verschiedene Nationalitäten
mit verschiedener Gemütsart: der schwedische Finnländer
und der eigentliche Finne, beide Eingeborene des Landes.
Zu welcher Zeit die verschiedenen Volkselemente einge^
wandert sind, ist wissenschaftlich noch nicht ins reine ge
bracht worden. Eines steht fest, nämlich daß beide zusammen
ein Volk mit einem gemeinsamen Vaterland ausmachen.
Die schwedischen Finnländer leben an der Küste und die
Finnen im Innern des Landes. Die Küstenbevölkerung hat
den leichten offenen Sinn, den das Meer gestaltet. Der Be
wohner des Inlandes dagegen ist träge und träumerisch. Das
schwedische Volkslied klingt lebensfroh und keck, das fin
nische ist melancholisch und klagend. Sagt doch auch ein
finnisches Sprichwort: „Zum Fliegen ist das Vöglein da,
doch der Traurige zum Singen.“
Die gemeinen Finnen, wie bekannt, mit den Ungarn ver
wandt, sind ein poetisches Volk. Ihre wohlklingende Sprache,
die besonders im Gesang an die italienische erinnert, ist be
merkenswert reich an Ausdrücken und subtilen Nuancen.
Es ist eine der interessantesten unter den finnisch-ugrischen
Sprachen und im Besitz einer bedeutenden Volkspoesie
sowie eines verblüffenden Reichtums an Sprichwörtern, die
häufig in der Umgangssprache angebracht werden. Die alten
mythologischen Legenden, vom unermüdlichen Ausbilder
der finnischen Sprache, ELIAS LONNROT,. zu einem zu
sammenhängenden Ganzen vereinigt im Nationalepos KA
LEVALA, leben noch teilweise in mündlicher Tradition
oder werden von der Bevölkerung auswendig gelernt. Man
hört noch bisweilen, besonders im östlichen Teile des Landes,
den von seiner Arbeit heimkehrenden Landmann die Kale
vala skandieren. Die wahren Runensänger werden immer
seltener. Ausnahmsweise kann man noch die alten Runen
von Greisen vorgetragen zu hören kriegen, die sich dazu
auf der „Kantele“ begleiten, „dem Werkzeug des Gesanges
und der Freude“. Die Kantele, welche wohl am ehesten einer
kleinen Harfe gleicht, mit ursprünglich nur fünf, später aber
bis sechzehn Saiten, war in alten Zeiten das einzige Instru
ment der Finnen. Auf demselben spielten sie ihre melan
cholischen Melodien sowie auch ihre Tänze, als solche in
Gebrauch kamen. Laut der Kalevala wurde die erste Kantele
von WÄINÄMÖINEN verfertigt, der bedeutendsten mytho
logischen Persönlichkeit der Finnen, einem großen Dichter
und Sänger. Die fünf Saiten machte er sich aus den Haaren
eines jungen Mädchens, das in ihrer Einsamkeit ihr Sehnen
nach dem Geliebten in Lieder ergoß und ihr langes Haar
der Kantele darbrachte. Wenn dann der alte Sängergott
spielte, so eilten alle Gottheiten der Luft, des Meeres und
des Waldes herbei, um zu lauschen und alle lebenden Wesen
wurden zu Tränen gerührt.
Gleichwie ihre älteste Gottheit kein Krieger, sondern ein
Dichter war, so haben die Finnen auch immer Neigung
empfunden für friedliche ideelle Gewerbe. Es scheint, als ob
sie auch jetzt noch, mit dem Untergange vor den Augen, in
ihre poetischen Träumereien versunken, die Befreiung vom
Joch durch den bezaubernden Gesang eines neuen Wäinä-
möinen abwarten.
Die abendländische Kultur, die über das Meer aus Schweden
nach Finnland eingeführt wurde, ist bis zu den jüngsten
Tagen durch das schwedische Volkselement vertreten und
erhalten worden. Sie hat aber auch allmählich das ganze
Land befruchtet und sich dem rein finnischen Elemente mit
geteilt, welches seit einem halben Jahrhundert sich dieselbe
vermittelst ihres eigenen Sprachidioms angeeignet hat. In
folgedessen ist durch die Berührung der Finnen mit dem
Abendlande eine besondere nationale finnische Kultur auf
der Basis einer eigenartigen Weltanschauung entstanden.
Einen Einblick in diese Kultur, so wie sie gegenwärtig in
ihren verschiedenen Phasen und Lebensäußerungen dasteht,
will ich den Lesern der „HOHEN WARTE“ künftig zu
geben versuchen.
„DAS PUBLIKUM VERLANGT ES SO “
AUS „KUNST UND KULTUR“ VON HER
MANN MUTHESIUS.
H ier wäre ein Gebiet, wo die stets nach Neueroberungen
auslugende Industrie einspringen könnte. Warum
bringt sie keine künstlerisch guten Sachen als Massen
artikel hervor? Warum ist heute das Einfache teuer
und das Überladene billig? Warum ist kein einfacher und
billiger Stuhl zu haben? Warum diese Schmutzfarben oder
diese schreienden farbigen Kontraste an den Stoffen?
Legt man diese Fragen dem Fabrikanten vor, so folgt die
feststehende Antwort: das Publikum verlangt es so. Der
Fabrikant muß es wissen, denn die Reisenden erzählen ihm
ja genügend von ihren Erfahrungen mit der Kundschaft.
Allerdings besteht diese Kundschaft des Fabrikanten zunächst
aus Händlern, aber diese berichten gewiß auch ihrerseits nur
ihre Erfahrungen mit dem Publikum.
Diese für unser Kunstniveau traurigen Erfahrungen mit dem
Publikum haben ja den Anschein der Richtigkeit. Zum Teil
sind sie jedoch unzweifelhaft unzutreffend oder mindestens
verzerrt wiedergegeben. Haben unsere Durchschnittsgeschäfte
etwa schon das Bestreben bekundet, dem Publikum künst
lerisch Gutes besonders zu empfehlen? Sind sie hierzu auch
nur in der Lage? Man beobachte einmal den geschwätzigen
Verkäufer hinter seinem Ladentisch. Er empfiehlt den größten
Schund als besonders schön, als das Neueste, als das Modernste
und damit Beste. Sein Ehrgeiz liegt gewiß nicht auf dem
Gebiete des guten Geschmackes, selbst wenn er solchen hätte.
Das Neueste will er haben, und er verlangt bei jedem Be
suche des Fabriksreisenden wieder etwas Neueres, damit er
dem Publikum nach vier Wochen bereits wieder das Aller
neueste bieten kann. Dieser neuerungssüchtige Mann hinter
dem Ladentische ist es, der den Volksgeschmack bestimmt,
nicht das Publikum. Das Publikum benimmt sich dabei nur
unglaublich töricht und läßt sich von diesem diktatorischen
Vermittler zwischen Hersteller und Verkäufer in der unerhör
testen Weise hinters Licht führen. Wer hätte nicht schon sein
mitleidiges Lächeln bemerkt, wenn jemand nach etwas fragt, was
vor einem Vierteljahr das Neueste und Schönste war, heute
aber seiner Meinung nach überholt ist? Und hat nicht schon jeder
einmal erfahren, mit welcher Überlegenheit ein solcher Laden
besitzer selbst einem geschmacklich selbständigen Käufer
gegenüber seine Ästhetik zu diktieren unternimmt? Der
Mann ist eben gewohnt, sein Publikum in Geschmacksfragen
unangezweifelt zu beherrschen“.
Anm. d. R.
Diese trefflichen Worte stehen in „Kunst und Kultur“ von
Hermann Muthesius (verlegt bei Eugen Diederichs). Wir
empfehlen das kleine Werk aufs wärmste. Es behandelt in
schöner, sachlicher Form alle Fragen des heutigen Kultur
lebens, und zeigt den richtigen Standpunkt auf, den der Ge
bildete diesen wichtigen Zeit- und Streitfragen gegenüber ein
nehmen soll. Es enthält durchwegs ausgezeichnete Wahrheiten,
von denen manche vielleicht behaupten, daß sie nichts Neues
wären. Wo aber finden wir sie wirksam im heutigen
Leben? Darauf gibt es schwerlich eine befriedigende Ant
wort. Darum können solche Wahrheiten nicht oft genug
wiederholt werden.