MUTHESIUS „Stilarchitektur und Baukunst“ und von SCHULTZE-
NAUMBURG „Kulturarbeiten“ (Hausbau). B - z -
DER GROSSE UNBEKANNTE.
n einem Vortrage über Gewerbeförderung gab Hofrat Exner dem
nicht mehr ganz neuen Gedanken Ausdruck, daß mit der Hebung
des Produzenten nur die halbe Arbeit getan sei, wenn nicht auch für
die Geschmackserziehung des Konsumenten das Nötige geschehe. Der
Gedanke sei nicht von ihm — er eigne sich nicht die Geistesblüten
anderer an — also der Gedanke käme von einem großen Manne, den
er nicht nennen darf, weil er es ihm verboten habe.
Wir sind auf den großen Unbekannten nicht neugierig, weil seit
Lichtwark, Schultze-Naumburg, Muthesius u. a. die Kulturarbeit und
Kunsterziehung ohnedies planmäßig im Gange ist — verwunderlich
ist es nur, wie lange diese Ideen brauchen, um in die Hofratssphäre
einzudringen, so daß der besagte Gedanke dort nur unter dem Siegel
der Verschwiegenheit wie eine revolutionäre Idee weitergegeben wird.
Wir können dem Herrn Hofrat eine Reihe von Schriften nennen, die
den obigen Gedanken aufs glänzendste erledigen, und die von Männern
herrühren, die gar nicht unbekannt sind, außer vielleicht am grünen
Tisch. Vielleicht nimmt der Herr Hofrat einmal die „Hohe Warte“
zur Hand, da findet er sie hübsch beisammen und manches „Revo-
lutionäre“.
MOMME NISSENS MUMPITZ.
n dem ausgezeichneten „Kunstwart“, dessen wohlverdientes Ansehen
nicht geschmälert werden soll, lese ich einigermaßen betroffen
Momme Nissens Jongleurstückchen, literarische Taschenspielerkünste
und Equilibrierästhetik um „Die mittlere Linie“. So heißt der Artikel
von Momme Nissen, aus dem ich bezeichnende Sätze heraushebe, die
von Lichtwark handeln: „Kunst soll Volkswünsche, nicht Modewünsche
„erfüllen. Lichtwark erfaßt die ersteren nicht; die beste niedersächsische
„und beste deutsche Heimatkunst: Worpswede und Leibi fehlen im Ham
burger Museum.“ Oder: „Es scheint aber, daß seine Entferntheit von
„klassischer Lebensluft ihn hindert, die Kontinuität zwischen Klassi
schem und Heutigem genugsam zu bewerten.“ Oder: „Lichtwark ist
„ein vorzüglicher Registrator der toten, aber kein Erwecker lebendiger
„Hamburger Kunst.“ Oder: „Gleichzeitig hat er als Erster in Deutsch-
„land das künstlerische Museums- wie Erziehungswesen seiner sachlich
„gegebenen Grundlage entfremdet, indem er praktisch das Interesse
„für die moderne Kunstproduktion dem für den überlieferten klassischen
„Kunstschatz voranstellte.“ Oder: „Durch Lichtwarks Schriften zieht
„ein Hauch innerer Kälte. Fürs Volk bestimmt, haben sie doch nichts
„von Volksgeist an sich.“ Oder: „Man vermißt in ihnen, wie bei
„manchen heutigen Kunsterziehern, das eigentlich Entscheidende: den
„innigen, seelischen Kontakt mit den schaffenden Kunstkräften der
„Vergangenheit und Gegenwart.“
Ich nenne diese einander widersprechenden Sätze „bezeichnend“, nicht
für Lichtwark, sondern für Momme Nissens ästhetische Falsch
münzerei. Dieser Verfasser bezeugt dadurch, daß er Lichtwarks
Schriften nicht gelesen und keine Ahnung davon hat, daß das Beste,
was heute für die deutsche Kultur- und Kunsterziehung geschehen
ist, auf den Einfluß Lichtwarks zurückgeht. Er scheint auch nichts
von den Anstrengungen Lichtwarks zu wissen, einen „Leibi“ für das
Hamburger Museum zu gewinnen; daß nicht alles Gewollte gelungen,
ist lediglich der Ungunst der Verhältnisse zuzuschreiben. Was
kümmert's Momme Nissen? Er wollte nicht wahrhaftig, er wollte
nur „geistreich“ sein, und die Bierbank verblüffen. Der deutsche
Philister, der Lichtwark kaum dem Namen nach kennt, braucht nur
von „seiner Entferntheit von klassischer Lebensluft“ zu lesen, um
„sein“ Urteil zu haben und es registrieren zu können. Mit dem Urteilen
oder Aburteilen über schaffende und schöpferische Menschen ist es
so eine eigene Sache. Dazu gehört vor allem das Wissen und die
Bildung des Herzens, nicht aber die Leichtfertigkeit, eine „mittlere
Linie“ anzunehmen, und alles, was davon absteht, kurz und krumm
hauen zu wollen. Sonst kann es passieren, daß der Spieß umgedreht
wird. Nichts-als-geistreich langt bei weitem nicht; nichts-als-geistreich
ist auch der Mumpitz.
STAATLICHE KUNSTPFLEGE in ÖSTERREICH.
„KUNST“ IM VERSATZAMT.
er fürsorgliche Staat pflegt die Kunst auch in seinem „k. k. Versatz-,
Verwahrungs- und Versteigerungsamte“, und die Öffentlichkeit
darf darum ein Interesse haben zu wissen, wie dieser Zweig der „staat
lichen Kunstpflege“ behandelt wird. Die amtliche Einleitung des Ver
zeichnisses zu einer Bilder-Auktionsausstellung kommt solchem Inter
esse mit geschmeidiger Liebenswürdigkeit entgegen, was man aus
folgenden wörtlich zitierten Sätzen ersehen mag:
„Die Direktion des Amtes setzte sich mit den ausstellenden Künstlern
„ins Einvernehmen, und dank der tatkräftigen Unterstützung der-
„selben werden in Zukunft periodisch AUSSERORDENTLICHE Ge-
„mälde-Auktionen veranstaltet werden, außerordentlich deshalb, weil
„die Schöpfer der Werke MIT IHREN PREISEN AN DER ÄUSSERSTEN
„GRENZE ANGELANGT SIND, wo die Preislage für ein Originalwerk
„aufhört und eine Reproduktion teurer wird.
„Dem Wiener Bürgertum, nicht dem reichen Kunstmäzen, sondern
„dem Offizier, Beamten, dem Geschäfts- und Gewerbsmann soll Ge
legenheit geboten werden, mit vollster Beruhigung und um wenig
„Geld künstlerisch ausgeführte Arbeiten, für deren sachverständige
„Auswahl das Amt durch die Person seines bewährten Experten
„Sorge trägt, zu erwerben.
„Von den 68 ausgestellten Werken bewegen sich 40 Gemälde in der
„Preislage von 20 bis 50 Kronen, wahrlich ein Preis, daß man mit
„Rücksicht auf die modernen, oft teuren Rahmen unwillkürlich aus-
„ruft: »Kostet ja der Rahmen schon so viel! 1 “
Wenn ein schäbiger Rahmenhändler eine solche Sprache führt, dann
sagt man achselzuckend: schäbiger Rahmenhändler! Was soll man
nun sagen, wenn Staatsämter diese Sprache führen? Derselbe Staat,
der auf der einen Seite mit großem Aufwand Künstler erzieht, und
zugleich dem Künstler das Entscheidungsrecht in künstlerischen An
gelegenheiten absprechen möchte, gefällt sich auf der anderen Seite
darin, die Preise der Kunstwerke unter das Niveau der Reproduktions
kunst zu drücken, oder aber einen Schmarren als Kunstwerk anzu
preisen, der nicht einmal den Bettelpreis wert ist, und dem ein Werk
der Reproduktionskunst künstlerisch turmhoch überlegen ist, oder
aber, wenn nichts anderes fruchtet, sich marktschreierisch darauf zu
berufen, „daß schon der Rahmen so viel kostet“.
Das nennt man „Kunsterziehung“ von Staats wegen. Die Frivolität
eines solchen Vorganges wird durch den Umstand verschärft, daß
sich wirklich das mittlere Publikum, dem das Unterscheidungs
vermögen in solchen Dingen fehlt, in dem guten Glauben einfindet,
daß es für ein paar Kronen mit echten Originalkunstwerken versorgt
wird, und nicht die Aufklärung empfängt, daß die wohlfeilen Künstler
lithographen, Künstlerholzschnitte und sonstige Werke der Reproduk
tionskunst, nicht minder Originalwerk und vor allem aber unzweifel
haft Kunstwerke von wahrhaft bildendem Werte sind.
Wann wird die Behörde das Unmoralische eines solchen Gebarens
einsehen?
Man sieht klar, wohin es kommt, wenn der Beamtengeist in der
Kunst zu herrschen anfängt.
NOCHMALS: DAS KÜNSTLERISCHE PLAGIAT.*
in Beispiel von der künstlerischen Überlegenheit und der damit
verbundenen Vorherrschaft liefert gegenwärtig die von der Unter
richtsverwaltung wenig begünstigte Moderne an der Kunstgewerbe-
schule, wo Baron Myrbach, Professor Alfred Roller, Professor Josef
Hoffmann und Professor K. Moser einen zeitgemäßen Kunstunterricht
angebahnt haben. Nun wird von der Vorgesetzten Behörde die äußerste
Anstrengung gemacht, den neuen Geist an der Schule unmöglich zu
machen — aber es nützt nichts. An den von der Unterrichtsbehörde
veranstalteten Salzburger Ferialkursen für Fachlehrer lehren zwar
fast nur solche Kräfte, die keiner Beziehung zum zeitgemäßen Kunst
unterricht verdächtig sind, und trotzdem kommen in den Kursen nur
Nachahmungen von modernen Arbeiten aus den Abteilungen Pro
fessor Hoffmanns, Mosers etc. zu stände. Es ist zwar ohneweiters zu
begreifen, daß sich die künstlerisch schwächeren Schulen diesem
* Vgl. auch Seite 187.
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