durchgebildeten Volkskultur, die auch im geringsten Er^
Zeugnis den Stempel der vollkommensten sachgerechten und
überlegenen Arbeitsleistung bot. Wenn man bedenkt, daß
selbst die bedeutendsten Städte dieser Art nicht mehr als
lo.ooo bis höchstens 20.000 Einwohner hatten, so bekommt
man eine Ahnung von dem Anteil und Eifer, den jeder
einzelne an diesen Schöpfungen hatte, von der hohen Geltung
der menschlichen Begabungen und ihrer Leistungsfähigkeit
und von dem Reichtum der Lebensführung, die ganz auf
das werterzeugende Talent aufgebaut war. Standes^ und
Klassenvorurteile hatten in der alten gotischen Wirtschafts-
und Erziehungsordnung nicht Platz, nur Unterschiede des
Könnens und der Tüchtigkeit mochten für das Fortkommen
geltend sein. Eine Konkurrenz, die im Sinne von billig und
schlecht zu überbieten sucht, war undenkbar, weil aller
Wettbewerb auf die Überbietung in der Meisterlichkeit der
Leistung ruhte und jede Leistung dem prüfenden Blick der
Sachkenner und Könner standzuhalten hatte. Jene kauf-
männische Ehre, die dem Käufer eine Billigkeit gewährt,
die nur noch von der Schlechtigkeit des Produktes und der
noch größeren Bedrückung des Arbeiters überboten wird
und die einen zweifachen Betrug, einmal an dem bedrückten
Hersteller und das andere Mal an dem unwissenden und
irregeführten Käufer darstellt, würde mit schimpflichem
Pranger bestraft worden sein, zum Unterschiede von der
heutigen Wirtschaftsordnung, die eine solche gaunernde
Findigkeit mit hohen Titeln und Orden auszuzeichnen pflegt.
Die sprichwörtliche Tatsache, daß „wer billig kauft, teuer kauft“,
hat die Betrogenen zu keiner Auflehnung gegen den durch
Billigkeit schlechtverhehlten mehrfachen Betrug zu bringen
vermocht. In ihrer Sprichwörtlichkeit liegt bloß die stumpf'
sinnige und stillschweigende Anerkennung eines notwendigen
Übels, gegen die sich auch die Reizbarkeit der zünftigen
Göttin Gerechtigkeit vollkommen teilnahmslos verhält.
Denn, so wird man jetzt mit triumphierender Eckensteher'
Weisheit erwidern, wer kein Geld hat, muß billig kaufen
können, und die meisten Leute haben kein Geld! Diese
gefällige Erwiderung stellt mich gleich auf das Sprungbrett
meines Anlaufes. Ich will mich nicht länger als vorüber'
gehend bei der sonderbaren Logik dieser landläufigen Er'
widerung aufhalten, daß es gerade immer die Ärmsten sein
müssen, die am meisten betrogen werden, ich will lieber
sofort das unselig verworrene Wirtschaftsproblem anspringen
und fragen, ob denn nicht auch heute noch, wie seit Anfang
der Welt, jeder einzelne Mensch mit seinen ungeheuren
entwicklungsfähigen Kräften als Wertbildner und einzige
Wertquelle, die alles, was ist, erschaffen hat, zu betrachten
ist und ob das einzelne Menschentum, richtig entwickelt,
nicht so viel und noch viel mehr hervorzubringen vermag,
als es für seinen angemessenen Unterhalt nötig hat? Ange'
messen ist der Unterhalt erst dann, wenn er zu den Kultur'
gütern einer Zeit im richtigen Verhältnis steht. Wenn in
den Wäldern und Sümpfen, die einst den Boden bedeckten,
auf dem heute Berlin steht, der einsam schweifende Jäger
mit seiner Kraft und Geschicklichkeit sein Wildbret erlegte,
das ihm den Unterhalt bot, so war dieser Unterhalt durchaus
angemessen, d. h. im richtigen Verhältnis zur Kulturhöhe
seiner Zeit und den von ihr abhängigen menschlichen Am
Sprüchen. Seither hat sich das Weltantlitz völlig verändert,
die gemeinsame Menschenarbeit hat eine unübersehbare
Fülle von Gütern hervorgebracht; wo Wälder und Sümpfe
lagen, erhebt sich eine glänzende Stadt mit herrlichen
Palästen, reichen Läden, lärmenden Vergnügungshallen und
in dieser glänzenden Stadt leben mehrere hunderttausend
Menschen in bitterster Armut angesichts des in der Stadt
ringsum angehäuften Überflusses an allen möglichen Gütern
und sie leben da entblößt von allem Notwendigsten, als ge'
nügend Nahrung, Kleidung, Behausung, geistigen Mitteln etc.;
aller Roheit und Unwissenheit, allem Laster und Verbrechen
preisgegeben, in einem Kulturzustand, der tief unter jenem
des einsam schweifenden Jägers vor nahezu zweitausend
Jahren steht. Das glaube ich einen unangemessenen Unterhalt
nennen zu dürfen. Was hat die Menschheit bei aller Her'
vorbringung ungeheurer Reichtümer gewonnen, wenn sie
am Ende wie jener mythische König, dem alles, was er berührte,
unter den Händen zu Gold wurde, darbend vor der erlesenen
Fülle unermeßlicher Gebrauchs' und Verbrauchsgüter steht und
bei vollen Schüsseln hungernd zu gründe geht? Ist dabei
nicht ein fauler Zauber im Spiel, der gebrochen werden
muß ? Ich kehre zu meiner Fragestellung zurück und nehme
als durch die ganze Menschheitsgeschichte genügend erwiesen
an, daß alle Hervorbringung, alle Fruchtbarkeit, aller Reichtum
an Gütern irgend welcher Art im Menschen beruht. Wenn
das zugegeben ist — und ich glaube, es wird keinen ernst'
haften Menschen geben, so töricht, diese einfache Wahr'
heit nicht einsehen zu wollen — dann habe ich für meine
Sache so ziemlich alles gewonnen, als deren Ausgangspunkt es
immer gilt, daß das kostbarste, wichtigste und höchste Gut, das
wir zu pflegen haben, der Mensch ist. Und wenn also das zu'
gegeben ist, muß es nicht als eine furchtbare Schmach und
Schande für die Menschheit bezeichnet werden, daß sie einen
so erheblichen Teil, es ist gewiß der größere, in Not und
Elend verkommen läßt, daß sie längst in der Hilflosigkeit
ihrer Lage verlernt haben, ihre Kräfte zur Vermehrung der
Schönheit der Erde und ihres eigenen Lebens zu verwenden
oder zu entwickeln, und daß sie, so gering ihre LeistungS'
kraft auch geworden sein mag, immer noch mehr geben
müssen als sie nehmen? Daß sie, wie wenig sie auch kaufen
und erwerben können, wenn sie billig kaufen, immer teuer
kaufen und die Hintergangenen sind? Wie roh und ab'
stoßend sie in der Hilflosigkeit ihres Elendes auch geworden
sind, so tragen sie immerhin noch die göttlichen Male als
die Märtyrer der Gesellschaft, die es dahin gebracht hat, daß
ein so erheblicher Teil, wenn nicht der größere, in einem
Zustande lebt, der im Verhältnis zu den sonstigen Kultur'
gütern der Zeit so tief reicht, daß selbst der Jäger oder
Fischer der Urzeit ihn an Kultur hoch überragt? So ab'
scheulich und widerwärtig die Laster und Verbrechen sind,
die von daher kommen, so fallen ihre blutigen Schatten auf
eine Gesellschaft zurück, die sie beschworen hat, indem sie
einen allzu leichtfertigen, egoistischen und räuberischen
Gebrauch mit dem kostbaren Menschengut getrieben und
in wirtschaftlicher Wahnverblendung überall nach dem Golde
geschürft hat, nur nicht da, wo es zutage liegt, im Menschen mit
allen seinen schöpferischen Fähigkeiten und seinen verderb'
liehen Kräften, wenn er das Opfer des Mißbrauchs geworden.
Ich lasse diese Seite der wirtschaftlichen Schäden vorläufig
stehen, um bei der Untersuchung der Ursachen und Beseiti'
gung solcher Mißstände dieses Thema wieder aufzunehmen.
Ich möchte vorher konstatieren, daß es selbst nach dieser
Seite hin noch nicht so schlimm stünde, wenn nicht jener
gewiß kleinere Teil der heutigen Menschheit, die als die
Besitzenden auf der anderen, sonnigen Seite stehen, eben'
falls dem herrschenden Grundsatz von billig und schlecht
huldigen würden. Es ist gar nicht wahr, daß die armen
Leute, die sich durch ihre Zwangslage entschuldigen können,
nach dem Grundsätze von billig und schlecht leben wollen,
es sind vielmehr gerade die wohlhabenden Leute, die auch
hierin den Ton angeben und die diesen Grundsatz einer
betrügerischen Erbärmlichkeit zur Lebensnorm erhoben haben.
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