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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

Wenn das heutige Bürgertum wirklich befähigt wäre, ge 
bildete Ansprüche an die Produktion zu erheben, dann gäbe 
es plötzlich eine Fülle von Aufgaben in der Welt, daran 
sich Kräfte und Fähigkeit erproben und entwickeln könnten, 
und ein gutes Gegengewicht für den Pauperismus wäre 
geschaffen, wenngleich hinzugefügt werden muß, daß dadurch 
die Lösung des Problems nur umgangen, das Übel hinaus 
geschoben, aber nicht behoben wäre. Trotzdem ist die Fest 
stellung wichtig, daß die Unfähigkeit der begüterten Klassen 
den Grundsatz von billig und schlecht zur Norm erhoben, 
daß sie die einzige und wahre Wertquelle, die ich schon 
des öfteren bezeichnet habe, getrübt und verunreinigt und 
durch diese Brunnenvergiftung jene wirtschaftliche Pestilenz 
hervorgerufen, von der oben die Rede war. Diese anerzogene 
und, ob arm, ob reich, verallgemeinerte Unfähigkeit, zu 
unterscheiden zwischen gut und schlecht, Original und Nach 
ahmung, Sein und Schein, die unsere gesamte heutige Kultur 
bestimmt, ist verhängnisvoll als das Wahrzeichen einer 
gänzlichen Verkennung der werterzeugenden Kraft des 
Talentes und einer allgemeinen Geringschätzung der schöpfe 
rischen Fähigkeit im Menschen, die infolgedessen erheblich 
zurückgegangen und an ihrer Stelle Einseitigkeit, Unfrucht 
barkeit, Genußunfähigkeit, äußere und innere Verarmung 
ungeachtet vielfach großer Vermögensstände hervorgerufen hat. 
Statt der hunderttausend Beispiele, die sich zum Beweise 
erbringen lassen, will ich nur eines anführen, das wie ein 
kleiner, aber scharfer Spiegel die allgemeine Mißlichkeit über 
schauen läßt; ich will zum Beweise von einer kleinen, 
schönen Stadt erzählen, die ich ziemlich genau kennen ge 
lernt habe. In dieser schönen, kleinen Stadt lebte von altersher 
ein hochentwickelter Stand von Handwerkern, davon einige, 
die bis an die Künstlerschaft heranreichten und durch das 
Beispiel ihrer besonderen Geschicklichkeit und Kunst nicht 
nur einen allgemein verteilten ohlstand schufen, sondern 
auch einen fördernden Einfluß auf jegliche Arbeit, die in 
der Stadt geschah, ausübten, davon noch die anmutig und 
gut gebauten Häuser als Wahrzeichen eines alten gediegenen 
Kunstfleißes stehen. 
Da die Haupttätigkeit des Ortes in der kunstvollen Be 
arbeitung des Eisens bestand, so konnte es geschehen, daß 
sich dort eine riesige Fabrik bildete, die sich auf Herstellung 
von Waffen verlegte und immer, wenn eine kriegführende 
Macht Zerstörungswerke brauchte, in eine großartige Tätig 
keit gesetzt wurde, Tausende von Menschen beschäftigte, 
die sie aus allen Gegenden anlockte. Die Arbeiter verließen 
ihr Kunsthandwerk, die Bauern Haus und Hof, von fernher 
kamen Menschenzüge, weil hier schneller und verhältnis 
mäßig leichter Gewinn bei der Maschine winkte. Weil viel 
verdient wurde, wurde viel ausgegeben, die Wirte und Krämer 
sahen gute Zeiten. 
Sobald aber die Waffen gelietert waren und keine andere 
kriegführende Macht zufällig mit neuem Bedarf anklopfte, 
so kam es zu häufigem Stillstand oder erheblichem Rück 
gang des Betriebes, was ganz erklärlich ist, weil nicht fort 
während Kriege geführt und nicht fortwährend ^C^affen in 
solcher Massenhaftigkeit gebraucht werden. Durch solche 
Stillstände wurden aber die Tausenden von Menschen plötz 
lich arbeitslos, die weder die Möglichkeit noch die Fähigkeit 
besaßen, zum Pflug oder zur verlassenen Kunsttätigkeit 
zurückzukehren. Durch solche Umstände war auch nach 
und nach der Kunstfleiß und die schöpferische Kraft in der 
Stadt erloschen, und die Gemeinde hatte sich daran gewöhnt, 
ihre ^Wirtschaftspolitik ganz auf den Zufall des Fabriks 
erfolges zu begründen, d. h. sie hörte aut, eine andere Tätigkeit 
zu fördern, als die, welche mit einem solchen mächtigen 
Betriebe irgendwie zusammenhing. Das wäre immerhin gut 
zuheißen, wenn es nur mit richtiger Erkenntnis der Pflichten 
und Notwendigkeiten geschehen wäre. Durch die wieder 
holten Schwankungen von zeitweiliger Arbeitslosigkeit und 
Arbeitsüberhäufung wechselten im gleichen Tempo Geld 
überfluß und allgemeine Notlage. Wenn es große Arbeit 
gab, dann zogen Tausende von Menschen in die Stadt, es 
war ein Trinken und Spielen und grobes Genießen, als 
wollte man sich für die Entbehrung doppelt und dreifach 
entschädigen. Da die Stadt selbst nichts mehr an gediegener 
Arbeit hervorbrachte, so wurde alles, was das Leben an 
Gebrauchsdingen nötig hatte, von auswärts bezogen, Massen 
ware und Massenschund, nach dem bekannten Grundsatz 
von billig und schlecht, mit dem nun auch der Bürger ver 
lieb nahm. Er hatte in den Zeiten grobsinnlicher Genüsse 
längst verlernt, einen Unterschied zu machen, und so blieben 
von der alten Herrlichkeit nur noch die massiv gebauten 
schönen alten Häuser stehen, die auf den tiefen Verfall, 
der sich unter dem scheinbaren Aufschwung vollzog, nieder 
sahen. Der gute, gediegene Hausrat war in den alten Ge 
bäuden verschwunden und an seiner Stelle der effektvollere 
Schund eingezogen; die Erzeugnisse der einstigen schöpferi 
schen Volkskraft lagen als Museumsgut im Schlosse und 
mit Ausnahme von ein paar tüchtigen Kennern, die sich 
von dem Treiben erbittert abgewendet hatten, vermochte 
kein Mensch einzusehen, daß es außer der allgemeinen 
Schlemmerei noch irgend ein Erstrebenswertes gäbe. Wenn 
die Arbeit einmal wieder abbrach, dann freuten sich Wirte, 
Krämer und Händler der gemachten Profite, hielten die 
Taschen zu und warteten ruhig, bis wieder der reiche Fischzug 
käme. Niemand fragte nach den Tausenden, die durch solche 
Stillstände arbeitslos geworden und dahin und dorthin und 
auf alle Fälle ins Elend gingen. Und doch ist die Frage 
sehr wichtig, ob nicht grundsätzlich dafür gesorgt werden 
müßte, daß diese Menschen zu einer dauernden Nützlichkeit 
ihren Fähigkeiten gemäß gebracht werden, die sie vor dem 
Elend ebensogut wie vor der unsinnigen Schlemmerei 
schützt? Diese Frage, die die gesamte Menschheit angeht, 
kann von der kleinen Stadt allerdings nur insofern einer 
Lösung nähergebracht werden, als sie für die in der Stadt 
ansässigen, von den Krisen schwer betroffenen Bevölkerungs 
schichten das Erziehungswerk unternimmt, deren persönliche 
Schaffenskraft entwickelt und auf eigene Füße stellt, wie es 
in den früheren Generationen der Fall war, da sich die Stadt mit 
allem,was siebrauchte, aus eigener Tüchtigkeit erhalten konnte. 
Mit dieser Frage kam ich zum Bürgermeister. Der würdige 
Mann versicherte, daß er als Chef der politischen Behörde 
nur über die pünktliche Einhaltung der bestehenden Ver 
ordnungen zu wachen habe und darin seine Aufgabe erfüllt 
sähe. Das andere müsse er anderen überlassen. 
Derselbe Bürgermeister aber hatte einige Tage vorher die 
Zeichnungen eines jungen Künstlers für einen in dieser 
Stadt anzubringenden öffentlichen Wandbrunnen verworfen 
und eine gemeine gußeiserne Schale als öffentlichen V^and- 
brunnen in dieser von einer reichen künstlerischen Ver 
gangenheit verschönerten Stadt anbringen lassen, was um so 
bezeichnender ist, als der Bürgermeister seine ausgebreitete 
Kunstliebe zu versichern für nötig hielt. So unbedeutend 
die Sache mit dem Wandbrunnen erscheint, so ist doch der 
Ausdruck ein tief tragisches Verhängnis, an dem die Stadt 
und nicht nur diese zu gründe geht, und das an der absoluten 
Verkennung des ertes einer tüchtigen und schönen Arbeit 
liegt. Eine solche Arbeit hätte der Wandbrunnen darstellen 
müssen, und die Frage, die ich dem Bürgermeister stellte, 
hätte ihn dann nie in Verlegenheit setzen können. Der 
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