Wenn das heutige Bürgertum wirklich befähigt wäre, ge
bildete Ansprüche an die Produktion zu erheben, dann gäbe
es plötzlich eine Fülle von Aufgaben in der Welt, daran
sich Kräfte und Fähigkeit erproben und entwickeln könnten,
und ein gutes Gegengewicht für den Pauperismus wäre
geschaffen, wenngleich hinzugefügt werden muß, daß dadurch
die Lösung des Problems nur umgangen, das Übel hinaus
geschoben, aber nicht behoben wäre. Trotzdem ist die Fest
stellung wichtig, daß die Unfähigkeit der begüterten Klassen
den Grundsatz von billig und schlecht zur Norm erhoben,
daß sie die einzige und wahre Wertquelle, die ich schon
des öfteren bezeichnet habe, getrübt und verunreinigt und
durch diese Brunnenvergiftung jene wirtschaftliche Pestilenz
hervorgerufen, von der oben die Rede war. Diese anerzogene
und, ob arm, ob reich, verallgemeinerte Unfähigkeit, zu
unterscheiden zwischen gut und schlecht, Original und Nach
ahmung, Sein und Schein, die unsere gesamte heutige Kultur
bestimmt, ist verhängnisvoll als das Wahrzeichen einer
gänzlichen Verkennung der werterzeugenden Kraft des
Talentes und einer allgemeinen Geringschätzung der schöpfe
rischen Fähigkeit im Menschen, die infolgedessen erheblich
zurückgegangen und an ihrer Stelle Einseitigkeit, Unfrucht
barkeit, Genußunfähigkeit, äußere und innere Verarmung
ungeachtet vielfach großer Vermögensstände hervorgerufen hat.
Statt der hunderttausend Beispiele, die sich zum Beweise
erbringen lassen, will ich nur eines anführen, das wie ein
kleiner, aber scharfer Spiegel die allgemeine Mißlichkeit über
schauen läßt; ich will zum Beweise von einer kleinen,
schönen Stadt erzählen, die ich ziemlich genau kennen ge
lernt habe. In dieser schönen, kleinen Stadt lebte von altersher
ein hochentwickelter Stand von Handwerkern, davon einige,
die bis an die Künstlerschaft heranreichten und durch das
Beispiel ihrer besonderen Geschicklichkeit und Kunst nicht
nur einen allgemein verteilten ohlstand schufen, sondern
auch einen fördernden Einfluß auf jegliche Arbeit, die in
der Stadt geschah, ausübten, davon noch die anmutig und
gut gebauten Häuser als Wahrzeichen eines alten gediegenen
Kunstfleißes stehen.
Da die Haupttätigkeit des Ortes in der kunstvollen Be
arbeitung des Eisens bestand, so konnte es geschehen, daß
sich dort eine riesige Fabrik bildete, die sich auf Herstellung
von Waffen verlegte und immer, wenn eine kriegführende
Macht Zerstörungswerke brauchte, in eine großartige Tätig
keit gesetzt wurde, Tausende von Menschen beschäftigte,
die sie aus allen Gegenden anlockte. Die Arbeiter verließen
ihr Kunsthandwerk, die Bauern Haus und Hof, von fernher
kamen Menschenzüge, weil hier schneller und verhältnis
mäßig leichter Gewinn bei der Maschine winkte. Weil viel
verdient wurde, wurde viel ausgegeben, die Wirte und Krämer
sahen gute Zeiten.
Sobald aber die Waffen gelietert waren und keine andere
kriegführende Macht zufällig mit neuem Bedarf anklopfte,
so kam es zu häufigem Stillstand oder erheblichem Rück
gang des Betriebes, was ganz erklärlich ist, weil nicht fort
während Kriege geführt und nicht fortwährend ^C^affen in
solcher Massenhaftigkeit gebraucht werden. Durch solche
Stillstände wurden aber die Tausenden von Menschen plötz
lich arbeitslos, die weder die Möglichkeit noch die Fähigkeit
besaßen, zum Pflug oder zur verlassenen Kunsttätigkeit
zurückzukehren. Durch solche Umstände war auch nach
und nach der Kunstfleiß und die schöpferische Kraft in der
Stadt erloschen, und die Gemeinde hatte sich daran gewöhnt,
ihre ^Wirtschaftspolitik ganz auf den Zufall des Fabriks
erfolges zu begründen, d. h. sie hörte aut, eine andere Tätigkeit
zu fördern, als die, welche mit einem solchen mächtigen
Betriebe irgendwie zusammenhing. Das wäre immerhin gut
zuheißen, wenn es nur mit richtiger Erkenntnis der Pflichten
und Notwendigkeiten geschehen wäre. Durch die wieder
holten Schwankungen von zeitweiliger Arbeitslosigkeit und
Arbeitsüberhäufung wechselten im gleichen Tempo Geld
überfluß und allgemeine Notlage. Wenn es große Arbeit
gab, dann zogen Tausende von Menschen in die Stadt, es
war ein Trinken und Spielen und grobes Genießen, als
wollte man sich für die Entbehrung doppelt und dreifach
entschädigen. Da die Stadt selbst nichts mehr an gediegener
Arbeit hervorbrachte, so wurde alles, was das Leben an
Gebrauchsdingen nötig hatte, von auswärts bezogen, Massen
ware und Massenschund, nach dem bekannten Grundsatz
von billig und schlecht, mit dem nun auch der Bürger ver
lieb nahm. Er hatte in den Zeiten grobsinnlicher Genüsse
längst verlernt, einen Unterschied zu machen, und so blieben
von der alten Herrlichkeit nur noch die massiv gebauten
schönen alten Häuser stehen, die auf den tiefen Verfall,
der sich unter dem scheinbaren Aufschwung vollzog, nieder
sahen. Der gute, gediegene Hausrat war in den alten Ge
bäuden verschwunden und an seiner Stelle der effektvollere
Schund eingezogen; die Erzeugnisse der einstigen schöpferi
schen Volkskraft lagen als Museumsgut im Schlosse und
mit Ausnahme von ein paar tüchtigen Kennern, die sich
von dem Treiben erbittert abgewendet hatten, vermochte
kein Mensch einzusehen, daß es außer der allgemeinen
Schlemmerei noch irgend ein Erstrebenswertes gäbe. Wenn
die Arbeit einmal wieder abbrach, dann freuten sich Wirte,
Krämer und Händler der gemachten Profite, hielten die
Taschen zu und warteten ruhig, bis wieder der reiche Fischzug
käme. Niemand fragte nach den Tausenden, die durch solche
Stillstände arbeitslos geworden und dahin und dorthin und
auf alle Fälle ins Elend gingen. Und doch ist die Frage
sehr wichtig, ob nicht grundsätzlich dafür gesorgt werden
müßte, daß diese Menschen zu einer dauernden Nützlichkeit
ihren Fähigkeiten gemäß gebracht werden, die sie vor dem
Elend ebensogut wie vor der unsinnigen Schlemmerei
schützt? Diese Frage, die die gesamte Menschheit angeht,
kann von der kleinen Stadt allerdings nur insofern einer
Lösung nähergebracht werden, als sie für die in der Stadt
ansässigen, von den Krisen schwer betroffenen Bevölkerungs
schichten das Erziehungswerk unternimmt, deren persönliche
Schaffenskraft entwickelt und auf eigene Füße stellt, wie es
in den früheren Generationen der Fall war, da sich die Stadt mit
allem,was siebrauchte, aus eigener Tüchtigkeit erhalten konnte.
Mit dieser Frage kam ich zum Bürgermeister. Der würdige
Mann versicherte, daß er als Chef der politischen Behörde
nur über die pünktliche Einhaltung der bestehenden Ver
ordnungen zu wachen habe und darin seine Aufgabe erfüllt
sähe. Das andere müsse er anderen überlassen.
Derselbe Bürgermeister aber hatte einige Tage vorher die
Zeichnungen eines jungen Künstlers für einen in dieser
Stadt anzubringenden öffentlichen Wandbrunnen verworfen
und eine gemeine gußeiserne Schale als öffentlichen V^and-
brunnen in dieser von einer reichen künstlerischen Ver
gangenheit verschönerten Stadt anbringen lassen, was um so
bezeichnender ist, als der Bürgermeister seine ausgebreitete
Kunstliebe zu versichern für nötig hielt. So unbedeutend
die Sache mit dem Wandbrunnen erscheint, so ist doch der
Ausdruck ein tief tragisches Verhängnis, an dem die Stadt
und nicht nur diese zu gründe geht, und das an der absoluten
Verkennung des ertes einer tüchtigen und schönen Arbeit
liegt. Eine solche Arbeit hätte der Wandbrunnen darstellen
müssen, und die Frage, die ich dem Bürgermeister stellte,
hätte ihn dann nie in Verlegenheit setzen können. Der
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