DIE VOLKSWIRTSCHAFT DES
TALENTES.
(Fortsetzung aus den Heften 21 und 22, 23 und 24, 25 und 26,
Seite 353, bezw. 377, bezw. 401.) Wenn
ich schon davon absehe, daß der menschenunwürdige Zustand
einer großen Bevölkerungsschicht als schwerstes Kulturver'
säumnis ihrer Verantwortlichkeit zur Last fällt, wie werden
sie, muß ich fragen, dem trotz aller Widrigkeit aufstrebenden
Talent und seinem höchsten Ausdruck, nämlich der Kunst,
gerecht? Wie hat das Bürgertum seine Aufgabe der Kunst
gegenüber erfüllt? Das Bürgertum tut sein Höchstes in der
Nachäffung des Adels. Seit Molières Bourgeois Gentilhomme
ist es sein Ziel, es dem Vorbild gleichzutun. Mr. Jourdain
übte sich in Prosa, aber auch in Poesie. Der Adel hat seine
historische Kulturmission erfüllt, der Kunst von heute gegen'
über sind Hof und Adel vollkommen steril. Hof und Adel
geben höchstens in der Jagdpflege ein Vorbild, keineswegs in der
Kunstpflege. Das nachäffende Bürgertum tut es ihnen darin
gleich; die Mrs. Jourdain von heute begnügen sich mit der Prosa
allein. Das heutige Bürgertum hat seine Pflichten dem Talent
und der Kunst gegenüber total vernachlässigt; sein Vermögen
zu repräsentieren, dient das Automobil mit der höchsten Zahl
von Pferdekräften, die Größe der Brillanten, damit sie ihre
Frauen behängen, lauter Dinge, die mit der Kultur, mit der
Pflege des Talents und der Kunst in keiner Beziehung stehen.
Soll das Talent als Wertquelle erkannt, der Kultur und
Vervollkommnung dienstbar gemacht werden, dann darf die
wichtige Funktion des gesteigerten und geläuterten BedürL
nisses, die heute auf allen Linien versagt, nicht fehlen. Der
Mensch ist Anfang und Ende aller Dinge. Hervorbringen
und Verbrauchen stehen im engen Zusammenhang, eins
hat nur Sinn durch das andere. Um das andere kennen zu
lernen, führt unser Weg bergan, zu einem der nächsten
höheren Gipfelpunkte, dem der Fähigkeit des Genießens.
II. SPARSAMKEIT UND VERSCHWENDUNG.
Es ist damit allein nicht getan, daß die Spießbürger alle
üppig würden. Es kommt nicht darauf an, daß sie sich
mit allem Luxus umgeben zu dem einzigen Zwecke, daß
das Geld unter die Leute käme. Es kommt auch nicht
darauf an, durch ihren Aufwand zu zeigen, daß sie sich die
Kostspieligkeit leisten können. Denn beides, Luxus und
Kostspieligkeit, sind leicht geeignet, Schaden und Ärgernis
hervorzubringen. Sie bedeuten vielfach eine schlechte Am
wendung des Geldes, dem bloßen Schein zu liebe, und jede
schlechte Anwendung des Geldes bereitet Ärgernis und
Schaden. Dagegen kann eine gute Anwendung des Geldes
niemals kostspielig sein. Für eine gute Sache kann niemals
genug Geld angewendet werden. Denn Geld ist eine Sache,
die erst Sinn bekommt durch ihre Anwendung, eine Sache,
die, für sich allein betrachtet, tot und unfruchtbar ist, während
die menschliche Arbeit, die wieder zum Menschen spricht,
einen körperlichen oder geistigen Nährwert bildet, dessen
Zeugungskraft fortwirkt. Wie viel auch Geld angewendet
wird, es kann bei guter Anwendung niemals zum Verlust
führen. Ich verstehe unter dieser Anwendung nicht die
Sparkassa, die den höchsten Zinsfuß und die größte Sicher'
Stellung gewährt. Die beste Anwendung ist die, die das
höchste Maß von Schönheit und Vortrefflichkeit ermöglicht.
Der Hintergedanke auf einen Unternehmergewinn entscheidet
hier nicht. Für die Schönheit und Vortrefflichkeit ist kein
Preis zu hoch. Schönheit und Vortrefflichkeit in allem, was
der Mensch schafft, baut, tut, denkt, fühlt, ist das einzige
Mittel gegen Armut und Elend, die oft genug auch hinter
dem äußeren Reichtum verborgen sind. Alles Schaffen, Bauen,
Tun, Denken und Fühlen steht in unlösbarem Zusammen'
hang. Es gibt kein Schaffen, das nicht auf das Fühlen
zurückwirkt und kein Fühlen, das nicht in dem Schaffen
mitschwingt. Es gibt keinen Menschen, der, gewohnt Schönes
und Gutes hervorzubringen, innerlich schlecht wäre, und es
gibt keinen schlechten Menschen, der befähigt wäre, aus
eigener Kraft Gutes und Schönes hervorzubringen. Daher
kann auch das Gute niemals häßlich sein, aber das Häßliche
wird immer schlecht sein. In einem Lande, das in allen
Teilen wohlgepflegt und sorgfältig bebaut ist und auch in
der geringfügigsten Sache den Schönheitssinn der Bewohner
verrät, kann keine bittere Armut herrschen, so wenig als
Schlechtigkeit dort herrschen wird. Wie herrlich und voll'
kommen dort auch alles sein mag, wie kostbar die Materialien,
aus denen die Häuser, die Wohnungen, die Gewebe und
Kleider gebildet sind, auch sein mögen, es wird, wenn es
der Schönheit und der Kunst wegen geschehen ist, nicht als
Kostspieligkeit oder als Verschwendung gelten können, weil
es dazu dient, das Leben der Menschen vollkommen und
glücklich zu machen. „Menschen, die schöne Dinge hervor'
bringen, sollen an einem schönen Orte wohnen“, und es
gibt ein Stadium, wo alle nützliche Hervorbringung auch
schön wird, entweder durch die Form, die ein ebenmäßiges
Gefäß der edlen Absichten ist, oder durch die edlen Gefühle,
von denen die Verrichtung begleitet ist. Absichten und Ge'
fühle sind auf den Menschen gerichtet, der in allem das
Maß gibt; in diesem Hinblick wird Kunst Religion und
die Religion Kunst. Allerdings Religion ohne Heiligen'
Verehrung, ohne Märtyrer, ohne Devotionalien und ohne
Paramentenprunk.
Es kann, wie groß auch der Aufwand zur Hervorbringung
des Schönen und absolut Zweckdienlichen, wofern man auch
die Zweckdienlichkeit sogenannter Gefühlswerte erkennt, sein
mag, nicht nur nichts verloren, sondern es kann nur immer
gewonnen werden. Es gibt allerdings Gemütsmenschen, und
diese bilden die erdrückende Majorität, denen der Gewinn an
Menschlichkeit weniger wichtig ist als der Gewinn an Zinsen,
und die für die Kunst und alle Leistungen des Talentes nur
dann ein offenes Herz haben, wenn sich ihre Kunstliebe mit
dem Kapitalgewinn in ein nach ihrer Anschauung vorteil'
haftes Verhältnis setzen läßt.
Auch von dieser Seite ist der Sache beizukommen, obzwar
die Volkswirtschaft des Talentes mehr bedeuten soll als die
Volkswirtschaft des Kunsthändlers und mit einem anderen
Maße mißt als in den Niederungen der Händlerweisheit gang
und gäbe ist. Als Max Klingers Beethoven der Stadt Wien
zum Kaufe angetragen war, hätte sie keinen Augenblick zögern
dürfen, den höchsten Preis zu geben, um der Stadt diese Am
ziehung zu geben und ihre Kulturbedeutung zu erhöhen.
Haben die Gemeinde' und Sozialpolitiker jemals darüber nach'
gedacht, was es wirtschaftlich bedeutet, daß Beethoven,
Schubert, Waldmüller, von anderen Künstlern, insbesondere
der Gegenwart, zu schweigen, in dieser Stadt gelebt und
gewirkt haben? Was wäre z. B. München ohne die künstleri'
sehen Persönlichkeiten, die mit der Entwicklung der Stadt
unlösbar verbunden sind, geblieben? Und bedeutet für Berlin
in demselben Sinne Potsdam nicht mehr als die Millionärs'
Stadt Charlottenburg? Und wie hat sich plötzlich Darmstadt
gehoben, seit sich dank einer verständigen Kunstpolitik her'
vorragende Künstler dort vereinigen konnten, um durch ihr
Schaffen der Stadt neuen Geist und neue Schönheit zu geben?