Alt'Wiener Gärten.
groß erscheinen, eine grüne Einsamkeit bilden, die irgend
ein Kunstwerk wie ein Juwel umfaßt und mitten im Groß'
stadtlärm das Gefühl der Entrücktheit gewähren kann. Aber
wo ist in unseren öffentlichen Gärten die Laubwand oder
die geschnittene Hecke zu finden, wo das heimatliche Garten'
motiv, die gemütliche Laube?
Das Mißverständnis des englischen Gartens war im XIX. Jahr'
hundert herrschend geworden. Die öffentlichen Stadtgärten,
ob groß, ob klein, die bürgerlichen Hausgärten im winzigsten
Ausmaß verraten den Ehrgeiz, einen Hydepark im kleinen
darzustellen. Gewundene Wege werden im ebenen Felde
eingezeichnet, unregelmäßige Teiche künstlich angelegt, in
weiten oder engen Rasenflächen malerische Baumgruppen
gezogen und darunter — welch ein Geschmack! — blühende
Solitärpflanzen gestellt. Die Stadtparks bieten in allen Städten
das annähernd gleiche Bild.
Der Wiener Stadtpark, zwischen Parkring und Wienflußbett
gelegen, ist nach dem Fall der Stadtmauern auf einem Teil
des ehemaligen Glacis entstanden. Sein Beispiel ist für die
übrigen Wiener Stadtanlagen bestimmend gewesen, vor allem
für den Rathauspark und die Anlagen am Schillerplatz, die
geradezu dadurch auf fallen, daß sie jede architektonische
Beziehung zu den umliegenden Bauwerken verschmähen
und um jeden Preis freie Landschaft sein wollen.
Der Garten, vom natürlichen Wachstum abhängig, ist natur'
gemäß an eine langsame Entwicklung gebunden. Ein Haus
wird in einem halben Jahr bis zu einem, in seltenen Fällen
in höchstens zwei Jahren vollendet. Ein Garten, um sich zu
vollenden, braucht die zwanzigfache Zeit. Schon diese Rück'
sicht muß ihn kostbar erscheinen lassen. Und doch wird
nichts so leicht der Spekulation oder irgend einem banalen
Zweck geopfert wie das unersetzliche Gut eines Gartens.
Eine alberne Ausrede auf ein eingebildetes Verkehrsbedürfnis
und schöne Bäume, die Menschenalter zu ihrer Entwicklung
gebraucht haben, werden unbedenklich gefällt. Es ist wie
ein Mord. Die Stadt braucht Vegetation. Die Bevölkerung
hat ein Recht darauf. Und doch geschehen solche Verbrechen
am lichten Tage, ohne daß sich eine Hand erhebt.
Die Familienmoral der alten Geschlechter hat die Gärten mit
großem Aufwand gepflegt für die Nachkommen. Nun haben
die Geschlechter ihre historische Mission erfüllt. Das demo'
kratische Zeitalter, egoistisch und kurzsichtig, will rasch leben
und rasch verzehren, als käme nach ihm die Sündflut. Aber
an Stelle der weitsichtigen Familienmoral abgedankter Ge'
(Nach Stichen von Sal. Kleiner.)
schlechter ist die noch weiter ausschauende Moral der
Interessengemeinschaft des Volkes getreten, die ein starkes
Anliegen an der Gartenpflege im großen Stil haben muß.
Mit Gemeindemitteln ist diese Kulturangelegenheit heute
noch rationeller zu betreiben, als es früher dem einzelnen
Fürsten möglich war. Wie kommt es nun, daß die alten
Schöpfungen den heutigen unendlich überlegen sind? Der
Fürst der damaligen Zeit war ein Herr, der wußte, was er
wollte. Er hatte Kultur. Die heutigen unpersönlichen Kom'
missionen, Ausschüsse, Baubeamten, Inspektoren haben keine
Kultur. Und der Künstler, der den Kulturträger bilden sollte,
steht abseits.
Ein Bild Canalettos, der Schloßhof von Schönbrunn, Mitte
des XVIII. Jahrhunderts gemalt, ist in dieser Beziehung um
gemein lehrreich. Der weite Schloßhof, monumental zwar, aber
als Schauvorbereitung gegen die Pracht des Hauptschlosses und
des dahinterliegenden Gartens gebührlich zurückhaltend, ist
von buntem Leben erfüllt; courbettierende Reiter, vielspännige
Galawagen, Läufer, Edelleute zu Pferd und Fuß, Diener'
schäften, Bürger, alles vereint. Das eine ist bedeutsam:
Architektur, Garten, Interieurs, die Menschen mit ihren
Kostümen, die Wagen, alle Requisiten bilden eine voll'
kommene künstlerische Einheit.
Man vergegenwärtige sich das Heutige: das Rathaus ist gotisch,
das Parlament griechisch, die neue Gartenanlage im Geiste
Rousseaus freie Landschaft, romantisch unberührt; und die
Menschen? Ihrem Schneider zu Dank scheinen sie Kinder
der Gegenwart. Wann werden sie dafür sorgen, daß ihr Salon
zu ihrem Salonanzug paßt, ihre äußere Umgebung, das Haus,
die Stadt, die Gärten mit ihren Kleidern in Übereinstimmung
ist? Die historisch überlieferte Kunst, wenn sie echt ist, soll
unberührt gehütet bleiben; sie enthält das zu wenig beachtete
Gesetz, daß das Neue seiner Bestimmung gemäß sei. Alte
Kunst lehrt nicht Nachahmen, sondern Anwenden.
Die Frage ist also, wann wird der einzelne wieder Kultur
bekommen? Wenn alle einzelnen wieder Kultur haben,
dann wird sie auch wieder die Allgemeinheit haben, die
Gemeinde. Und dann erst werden die Dinge und auch die
Gärten wieder gut geraten.
Es wäre unbillig zu vergessen, daß im einzelnen wieder die
architektonische Wirkung bei Gartenanlagen, die mehr oder
weniger geschickte Verwendung des Blumenbeetes beobachtet
wird und daß in dem Annex zum Stadtpark, die Wienufer
entlang, der Rasen als Architekturelement hervortritt.
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