Shintüamulett eingeklemmt und die gespaltenen Enden des
Rohres sind gerade darüber wieder zusammengefügt und
festgebunden. Aus einer kleinen Entfernung gesehen, hat
das Ganze das Aussehen eines langen, leichten, gutgefiederten
Pfeils. Der erste, den ich untersuche, trägt die Worte: „Yu^
asaki-jinja^kozen^somchu^an-zen.“ (Von dem Gotte, dessen
Schrein vor dem Dorfe des Friedens steht.) Ein anderer
trägt die Inschrift: „Miho-'jinja^shö'gwan'jü^jugO'kitö-shugo,“
was bedeutet, daß die Gottheit des Tempels Miho-jinja jeder
an sie gerichteten Bitte Gehör schenkt. Beim Weiterfahren
sehe ich überall die weißen Gebetpfeile über die grüne
Reisfläche schimmern und sie werden immer zahlreicher.
Soweit das Auge reicht, sind die Felder davon gesprenkelt,
so daß die grünende Flur wie mit weißen Blumen übersät
erscheint.
Manchmal bemerke ich auch rings um ein kleines Reisfeld
eine Art magischer Hecke, von kleinen Bambusstäben
gebildet, die ein langes Seil tragen, von dem lange Strolv
halmfransen herabhängen und dazwischen in regelmäßigen
Abständen Papierschnitzel (Goheis) die Symbole sind. Das
ist das Shimenawa, das heilige Shintöemblem. In diesen
heiligen Bannkreis findet der Reif keinen Eingang, keine
sengende Sonne dörrt die jungen Schößlinge; und wo die
weißen Pfeile schimmern, werden die Heuschrecken nicht
überhandnehmen, noch diebische Vögel Schaden anrichten.
Vor allen Unbilden ist solch ein Feld geschützt.
Aber nun blicke ich vergebens nach Buddhas aus, vorbei
ist es mit den großen Teras, man sieht keinen Shaka, keinen
Amida, keinen Daimichi'Nyorai, selbst Bosatsu haben wir
hinter uns gelassen; Kwamon und ihre heilige Sippe ist
verschwunden. Wohl ist ja Kohsin, der Herr der Wege,
noch mit uns — aber er hat seinen Namen gewechselt
und ist eine Shintügottheit geworden — er heißt jetzt Saruda^
Hiko no mikoto; und seine Gegenwart künden nur die
Statuen der drei mystischen Affen, die seine Diener sind —
Mizaru, der seine Augen mit den Händen bedeckt und
nichts Böses sieht;
Kikazaru, der seine Ohren mit den Händen bedeckt und
nichts Böses hört;
Iwazaru, der seinen Mund mit den Händen bedeckt und
nichts Böses spricht.
Doch nein! EIN Bosatsu hat sich noch in der Zauber^
atmosphäre dieses magischen Shintöismus erhalten. Noch
immer sehe ich in langen Zwischenräumen am Wegrand
das Bildnis Jizö^-Samas, des entzückenden Spielgenossen der
toten Kinder. Aber auchjizö ist ein wenig verändert; selbst
in dieser sechsfachen Darstellung, Roku-Jizö, erscheint er
nicht stehend, sondern auf seinem Lotos sitzend und ich
sehe keine Steine vor ihm aufgeschichtet wie in den öst'
liehen Provinzen.
Von der Höhe eines ungeheuren Bergabhangs senkt sich
plötzlich der Weg zu einem Gewirr hochgiebeliger Dächer
und bemooster Dachtraufen, zu einem Dörfchen, wie ein
Farbendruck aus dem Bilderbuch des alten Hiroshige —
ein Dörfchen, dessen Farben und Töne den Farben und
Tönen der Landschaft gleichen, in der es liegt. Dies ist
KamiTchi' in dem Lande Hüki.
Wir machen vor einer stillen, altersgeschwärzten kleinen
Herberge halt, deren greiser Wirt herbeieilt, um uns zu
begrüßen, während eine schweigende sanfte Menge von
Landleuten — meist Frauen und Kinder, die Kuruma unv
ringen, um den Fremden zu begucken, zu bestaunen, ja,
sogar seine Kleider mit schüchterner, lächelnder Neugier zu
betasten. Ein Blick auf das Antlitz des greisen Herbergs^
vaters bestimmte mich, bei ihm einzukehren. Ich muß hier
bis morgen bleiben: denn meine Läufer sind zu müde, um
noch heute abend die Reise fortzusetzen.
So mitgenommen von Zeit und Wetter das Häuschen von
außen scheint, so entzückend ist es im Innern. Seine polierten
Treppen und Baikone sind so makellos blank, daß sie gleich
sam wie Spiegelflächen die nackten Füße der Hotelmädchen
wiederspiegeln — die reinlichen Zimmer duften so lieblich,
als wären ihre weichen Matten eben erst ausgebreitet worden
und die Blätter der Blumen an den aus irgend einer schwarzen
kostbaren Holzart geschnitzten Säulen des Alkovens (toko)
in meinem Zimmer sind ein Wunder an Schönheit. Der
dort hängende Kakemone ist ein Idyll — Hotei, der Gott
des Glücks, gleitet in einem Boote über einen schimmernden
Strom in das Geheimnis eines purpurumwobenen Abends.
So entfernt auch dieser Weiler von jedem Kunstzentrum
ist, so sieht man in diesem Hause doch keinen einzigen
Gegenstand, der nicht den japanischen Sinn für Formen
schönheit offenbarte. Die alten goldgeblumten Lackarbeiten,
die wunderbare Büchse, in der Süßigkeiten (kwashi) auf
bewahrt werden, die durchsichtigen Porzellanweinkelche mit
der leichthingeworfenen Zeichnung einer einzigen Garneele,
die Teetassen, deren Untersätze gekräuselte Lotosblätter aus
Bronze sind, selbst der eiserne Kessel mit dem Drachen-
und Wolkenmuster und das Messing-Hibachi, dessen Henkel
buddhistische Löwenköpfe sind, entzücken das Auge und
erfreuen die Phantasie. Und wirklich, wo man heutzutage
in Japan etwas völlig Uninteressantes in Porzellan oder
Metall sieht, etwas alltäglich Banales oder Häßliches, kann
man beinahe sicher sein, daß dieses abscheuliche Etwas
unter fremdem Einfluß entstanden ist. Aber hier bin ich
noch im alten Japan und wahrscheinlich hat noch kein
europäisches Auge vor mir auf diese Dinge geblickt.
Ein herzförmiges Fenster lugt auf den Garten hinaus —
einen wunderlichen kleinen Garten mit einem winzigen
Weiher und Miniaturbrücken und Zwergbäumen — wie
die Landschaft auf einer Teetasse — natürlich sind auch
schöne Steine da und einige anmutige Steinlaternen oder
Türö, wie man sie in Tempelhöfen aufstellt. Und darüber
sehe ich Lichter durch das warme Dämmer — farbige
Lichter —, die Laternen des Bonku, die man vor allen
Häusern aufgehängt hat, als Willkommsgruß für die er
warteten lieben Geister der Abgeschiedenen. Denn nach dem
alten Kalender, nach dem man in dieser alten Provinz rechnet,
ist dies die erste Nacht des Festes der Toten.
Wie in allen anderen kleinen Dörfchen, wo ich mich unter
wegs aufgehalten, finde ich die Bewohner liebenswürdig
gegen mich, von einer Herzlichkeit und Höflichkeit, die man
sich nicht vorstellen kann, die unbeschreiblich ist und die
man in anderen Ländern gar nicht kennt, ja, die man selbst
in Japan nur im Innern des Landes findet. Ihre schlichte
Höflichkeit hat nichts Gemachtes; ihre Güte ist durchaus
unbewußte Güte — beide kommen gerade aus dem Herzen. Und
nach kaum zweistündigem Beisammensein mit diesem liebens
würdigen Völkchen ruft seine Art, mir entgegenzukommen,
im Verein mit dem Gefühl meiner gänzlichen Unfähigkeit,
solche Güte zu erwidern, einen abscheulichen Wunsch in
mir wach: Ich wünsche, diese entzückenden Menschen möchten
mir irgend ein unerwartetes Übel zufügen, etwas erstaunlich
Böses, etwas abscheulich Schlechtes, so daß ich nicht genötigt
wäre, ihnen nachzutrauern, was ich sicherlich tun werde,
sobald ich sie verlassen muß.
Während der alte Wirt mich zum Bad geleitet und darauf
besteht, mich selbst zu waschen, als wäre ich ein Kind,
bereitet seine Frau für uns ein köstliches kleines Mahl,
bestehend aus Reis, Eiern, Gemüsen und Süßigkeiten. Sie
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