macht sich große Sorge, ob es ihr auch gelingen wird,
meinen Geschmack zu treffen, selbst nachdem ich mehr als
genug für zwei Personen gegessen habe, und erschöpft sich
in Entschuldigungen, mir nicht mehr bieten zu können.
„Fische gibt es heute keine,“ sagte sie, „denn heute ist der
erste Tag des Bonku, des Festes der Toten, der auf den
13. Tag des Monats fällt. Am 13., 14. und 15. des Monats
darf niemand Fische essen, aber am Morgen des 16. Tages
gehen die Fischer auf Fang aus; und jeder, dem beide Eltern
noch am Leben sind, darf davon essen. Aber wer Vater
oder Mutter verloren hat, darf selbst am 16. Tag keinen
Fisch essen.“ Während die gute Seele so plaudert, schlägt
ein seltsamer Schall aus der Ferne an mein Ohr — ein
Schall, den ich von den Tänzen in den Tropen her kenne,
ein regelmäßiges, abgemessenes Händeklatschen. — Aber
das Händeklatschen ist sehr sanft und ertönt in langen
Intervallen — und in noch längeren Intervallen hallt zu uns
ein dumpfes, wuchtiges Dröhnen, — die Schläge einer großen
Trommel, einer Tempeltrommel.
„O! Wir müssen hingehen, es ansehen,“ ruft Akira, „das
ist das Bomodori, der Tanz des Festes der Toten. Und Sie
werden das Bomodori hier tanzen sehen, wie man es sonst
in den Städten nirgends sehen und hören kann, das Born
odori der uralten Zeiten, denn hier ist alles so geblieben,
wie es war; aber in der Stadt ist alles anders geworden.“
So mache ich mich eilends auf den Weg, bekleidet mit nur
einem jener leichten, weitärmeligen Sommergewänder —
Yukata — die alle japanischen Hotels den männlichen
Gästen zur Verfügung stellen. Aber die Luft ist so warm,
daß ich selbst in diesen, so dünnen Kleidern leicht transpiriere.
Doch die Nacht ist göttlich — ruhevoller, klarer, tiefer als
europäische Nächte, mit einem großen, weißen Mond, der
wunderliche Schatten zugespitzter Dachtraufen, sichelförmiger
Giebel und wundersame Silhouetten festlich gekleideter
Japaner zeichnet. Ein kleiner Knabe, der Enkel unseres
Wirtes, geht mit einer scharlachroten Laterne voran, wir
folgen; und das sonore Echo der Getas, das Koro'koro der
Holzpantinen erfüllt die ganze Straße, denn gar viele kommen
denselben Weg wie wir, um den Tanz zu sehen.
Eine kurze Strecke geht es durch die Hauptstraße; dann
einen kleinen engen Durchlaß zwischen zwei Häusern
passierend, gelangen wir auf einen weiten, offenen, vom
Mondlicht umfluteten Platz. Das ist der Tanzplatz; aber der
Tanz ist für eine Weile unterbrochen worden. Ich blicke um
mich und sehe, daß wir uns in dem Hofe eines uralten
Buddhatempels befinden. Das Tempelgebäude selbst, ein
niederer, langgestreckter Bau, ist zu der Veranstaltung nicht
herangezogen worden. Verödet, dunkel und leblos streckt es
seine lange, niedere, spitze Silhouette zum Sternenlicht empor
— es ist jetzt zu einer Schule umgewandelt, sagt man mir.
Die Priester sind weg, die große Glocke ist fort, die Buddhas
und die Bodhisattvas sind verschwunden, alle bis auf einen —
einen Jizö aus Stein, der mit abgebrochener Hand und ge
schlossenen Lidern im Mondschein lächelt.
In der Mitte des Hofes steht ein Bambusgestell, auf dem
eine große Trommel ruht; und ringsherum hat man Bänke
aufgestellt, Bänke aus dem Schulhaus, auf denen Landleute
sitzen. Man hört ein Stimmengesurr, Stimmen von Menschen,
die in gedämpftem Tone sprechen, wie in Erwartung von
etwas Feierlichem — und ab und zu Kindergeschrei und
leises Mädchenlachen. Und weit hinter dem Hof über einer
niedrigen Hecke dunkler, immergrüner Sträucher sehe ich
milde, weiche, weiße Lichter und eine Schar großer, grauer
Formen, die lange Schatten werfen. Und ich weiß, daß die
Lichter die weißen Laternen der Toten sind, wie sie nur in
Friedhöfen hängen, und daß die grauen Formen Silhouetten
von Gräbern sind.
Plötzlich erhebt sich ein Mädchen von seinem Sitz und schlägt
auf die große Trommel. Das ist das Signal für den Tanz
der Seelen.
Aus dem Schatten des Tempels gleitet ein Zug Tanzender
in das Mondlicht und macht plötzlich halt — lauter junge
Frauen und Mädchen in ihren erlesensten Gewändern: die
Größte führt den Zug an, ihre Genossinnen folgen, nach der
Größe geordnet, und kleine Mädchen von zehn und zwölf
Jahren beschließen die Prozession. Gestalten, leicht beschwingt
wie Vögel — Gestalten, die einem unwillkürlich die traum
haft schwebenden Figuren auf antiken Vasen in Erinnerung
rufen; wären nicht die weiten, phantastisch wallenden Ärmel
und die wundersamen, breiten Gürtel, man wäre versucht,
jene entzückenden japanischen, sich dicht an die Knie
schmiegenden Gewänder für Nachahmungen der Zeichnungen
griechischer und etruskischer Künstler zu halten. Und nach
einem zweiten Trommelschlag beginnt ein Schauspiel, das
Worte unmöglich wiedergeben können, etwas Unsagbares —
ein Tanz, eine Phantasmagorie, eine Offenbarung.
Wie auf ein gegebenes Zeichen gleiten alle zusammen mit
dem rechten Fuß einen Schritt vorwärts, ohne die Sandalen
vom Boden zu heben, und alle strecken beide Hände nach
rechts mit einer seltsam fließenden Wellenbewegung und
einer lächelnden geheimnisvollen Verbeugung. Dann wird
der rechte Fuß zurückgezogen, mit einem abermaligen Hände
winken und geheimnisvollen Neigen. Dann treten alle mit
dem linken Fuß vor und wiederholen die früheren Bewegungen
mit einer halben Wendung nach links. Dann machen alle
zwei Schritt nach vorn, mit einem einzigen leichten Hände
klatschen und hierauf werden die früheren Gesten abwechselnd
nach rechts und links wiederholt; alle sandalenbegleiteten
Füße gleiten zusammen, alle die biegsamen Körper, alle die
weichen Hände winken zusammen, neigen und wiegen sich
zusammen. Und so geheimnisvoll, langsam schließt sich die
wallende Prozessionsbewegung zu einer großen Runde, die
den mondbeglänzten Hof und die Zuschauermenge umkreist.
Und immer winken die weißen Hände gleichzeitig, wie ge
heimnisvolle Zauber webend, bald innerhalb und bald außer
halb des Kreises, bald mit erhobenen, bald mit gesenkten
Armen, und alle die elfenhaften Ärmel huschen durchein
ander wie große Fittiche. Und die gleichzeitige Bewegung
all der kleinen Füßchen vereinigt sich zu einem solchen
Rhythmus, daß wenn man darauf sieht, man sich gleichsam
hypnotisiert fühlt, als mühte man sich, ein fließendes,
schimmerndes Wasser mit den Blicken festzuhalten.
Und diese magische Betäubung wird noch gesteigert durch
die lautlose Stille ringsum; niemand spricht, auch keiner der
Zuschauer. Und in den langen Pausen zwischen dem langen
Händeklatschen hört man das Zirpen der Grillen in den
Bäumen und das Shu-shu der den Staub leicht aufwirbelnden
Sandalen. Womit, frage ich mich innerlich, kann diese ver
glichen werden? Mit nichts. Aber es suggeriert einen som
nambulen Zustand — Träumer, die zu fliegen träumen,
wachend träumen.
Und mich überkommt der Gedanke, daß ich hier etwas un
erdenklich Altes vor mir sehe, etwas, das den Uranfängen
des orientalischen Lebens angehört, vielleicht dem dämmer
haften Kamiyo selbst, dem magischen Zeitalter der Götter;
einen Somnambulismus der Bewegung, dessen Bedeutung seit
zahllosen Jahren der Vergangenheit anheimgefallen ist. Und
immer unwirklicher wird das Schauspiel mit seinem stummen
Lächeln, seinem schweigenden, geheimnisvollen Neigen, wie
das Grüßen unsichtbarer Beobachter — und ich frage mich.
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