MAK

Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

TOTE ARCHITEKTUR. 
ZUM AUSBAU DER WIENER HOFBURG. 
Über den Ausbau der Hofburg scheint das gleiche Schicksal 
verhängt wie über den neuen Berliner Dom: DASS DAS 
WERK VERALTET, EHE ES VOLLENDET IST. Es liegt 
nicht an dem langsamen Bauen, das den künstlerischen Urheber 
und den Wandel der Kunstanschauungen am eigenen Körper 
erlebt; es liegt, beim Burgbau wenigstens, daran, DASS ES 
SEIT ZEHN JAHREN IM STILLSTAND VERHARRT, 
dass es nichts von dem Wandel der Kunstanschauungen, nichts 
von dem neuen künstlerischen Geschlecht, das sich durchge 
rungen, empfangen hat. Das Werk ist tote Architektur, weil 
es keine Spur von dem Leben verkörpert, das ausserhalb seiner 
Mauern flutet, tote Architektur, weil es nicht die künstlerischen 
Kräfte assimiliert, die den Ausdruck dieses Lebens verdichten 
und die der Aufgaben harren, tote Architektur, weil es in seiner 
Durchführung nicht unsere Zeit ausdrückt, nicht das Können 
und Wollen der neuen bildnerischen Kräfte wie einen verjün 
genden Lebensstrom in seinem Organismus wirken lässt, und 
die Aufgaben oder, was wichtiger ist, die AUFTRÄGE versagt, 
die die Kunst zu ihrer Entfaltung und Entwicklung braucht. 
Im allgemeinen ist es bedauernswert, dass durch Flick- und 
Stückwerk viel Geld vertan wird und nichts vom Fleck geht. 
Viel beklagenswerter aber ist, dass die grossen Aufgaben, die 
keine Wiederholung erleben, vorübergehen, ohne dass die künst 
lerische Entwicklung an ihnen erstarken konnte. Die heutigen 
Erbauer, die das Erbe der künstlerischen Urheber angetreten 
haben, geben vor, es im Geiste des Urhebers fortzuführen und 
vollenden zu wollen. Sie geben also vor, ein Bauwerk, das vor 
zwanzig Jahren begonnen wurde, so herzustellen, als ob es vor 
Zwanzig Jahren vollendet worden wäre. Sie tun darin etwas, 
was sie eigentlich nicht können und was dem Geiste des Ur 
hebers durchaus zuwider ist. Dieser Urheber würde sich als 
Künstler, wenn er noch am Werke sein könnte, dem verän 
derten künstlerischen Zeitgeist gar nicht verschlossen haben, 
WEIL DAS WESEN DER LEBENDIGEN BAUKUNST 
DARIN BESTEHT, DIE ANDEREN LEBENDIGEN 
KÜNSTE AUF DAS BESTE ANZUWENDEN. Die heutigen 
Erbauer wenden nicht die lebendigen künstlerischen Kräfte an; 
sie nageln die Ausführung auf den Standpunkt der Künste des 
Jahres 1886, in dem der Bau begonnen wurde, fest; das Werk 
ist aus diesem Grunde TOTE ARCHITEKTUR, die in dem 
Masse für die Kunstentwicklung unfruchtbar ist, als LEBEN 
DIGE BAUKUNST fruchtbar ist. Unsere Stadt hat Beispiele 
eines viel langsameren Bauens; der Stephansdom umfasst die 
künstlerische Arbeit der Geschlechter während vieler Jahrhun 
derte von der romanischen Bauweise bis zum Barock ver 
körpert das Werk den Niederschlag des wechselnden Lebens 
und der veränderten Kunstweisen, echt historisch, das heisst, 
„der eigenen Zeit gemäss“ und dem Volke verständlich, also 
volkstümlich wie jede lebendige Baukunst, die das edelste Er 
zeugnis des Volkes, die Blüte des künstlerischen Neuschaffens, 
anwendet. Dagegen ist tote Architektur niemals volks 
tümlich. O 
Man muss die Stunde wählen, um an dieser toten Architektur 
die lebensvollen Züge zu ergreifen, die das Bauwerk dem künst 
lerischen Urheber GOTTFRIED SEMPER verdankt. Nach 
Sempers Projekt soll ein gleiches Gebäude gegenüber dem 
neuen Burgbau entstehen; diese beiden Hemicyklen, die alte 
Burg, zwei grosse Triumphbögen, die die Ringstrasse überspannen, 
die anschliessenden Hofmuseen und als Abschluss an der 
Lastenstrasse die Hofsattelkammer sollen die Wandungen eines 
gewaltigen Platzgebildes darstellen, das zu den herrlichsten 
Schöpfungen neuer Monumentalarchitektur gehören könnte. In 
der Dämmerung erst, wenn die kleinlichen ornamentalen Formen 
der Fassade von der Dunkelheit verhüllt oder schier ausgewischt 
sind und die einfachen Umrisslinien der Baumasse geschlossen 
und daher machtvoll hervortreten, wird die Grösse des Bau 
gedankens lebendig. Hasenauer, der, mit der Ausführung des 
Semperschen Projektes beauftragt, die Hofmuseen baute und 
den neuen Burgbau 1886 begann, verfügte über die Kunst, die 
in den achtziger Jahren möglich war. Die Schwächen, die 
namentlich bei den Hofmuseen empfindlich hervortreten als das 
äusserliche Streben, einer inhaltlosen Feierlichkeit alles zum 
Opfer zu bringen, sind längst erkannt. Selbst Hasenauer würde, 
wenn er noch am Schaffen wäre, an den eigenen Fehlern 
gelernt haben. Sicherlich würde er heute nicht mehr auf dem 
Niveau der achtziger Jahre zurückgeblieben sein. Was könnte 
denn nun im Wege stehen, die festen Umrisse des ursprüng 
lichen Projektes mit jener Blüte von Kunst zu erfüllen, die 
heute lebendig und wirklich möglich ist ? □ 
Was nun im Wege steht, ist der BUREAUKRATISMUS, der 
der eigentliche Bauleiter geworden ist. Der künstlerische Geist 
ist gewichen und der Geist der FETTEN PFRÜNDE hat 
sich in dem halbvollendeten Gemäuer eingenistet. Eng ver- 
schwistert mit diesem Geist ist die falsche knickerische Spar 
samkeit, die in der Regel nur der andere Ausdruck einer uner 
laubten Verschwendung ist. Unfruchtbare Anwendung von 
Mitteln ist immer Verschwendung, ebenso wie jene Unrechte 
Sparsamkeit, die Fruchtbarkeit verhindert. Der Bureaukratismus 
arbeitet eigentlich nur für sich. Seine Unentbehrlichkeit sucht 
er zu beweisen, indem er sich an die Vorschrift klammert, die 
beim Burgbau in Gestalt der Projekte vom Standpunkt der 
achtziger Jahre vorliegt. Jede persönliche künstlerische Initiative 
eines Architekten, der heute an die Aufgabe herantritt, geht an 
diesem Bureaukratismus, der den Künstler an die Wand drückt, 
zugrunde. Das ist der Grund, warum seit zehn Jahren Stillstand 
herrscht und im Laufe der Zeit langsam ein toter Architektur 
körper abgelagert wird. Langsam, denn alle künstlerischen Säfte 
stocken hier. Der Bureaukratismus, die unpersönliche Kom 
mission, hat keine künstlerischen Bedürfnisse, keinen grosszü 
gigen, auf das Monumentale gerichteten Sinn, kein Organ, um 
die Mission eines solchen Bauwerkes für die lebendige Kunst 
und für die Zukunft zu erfassen. Sie hat nur den Instinkt der 
niedrigsten Lebewesen, den gemeinen Selbsterhaltungstrieb. □ 
Die unpersönliche Kommission ist auch nicht befähigt, die 
Mängel einer Stilarchitektur der achtziger Jahre zu erkennen 
oder sie zu verbessern, weil sie selbst noch von denselben ver 
jährten architektonischen Anschauungen befangen ist. Eine Ar 
chitektur, die, wie bei den Hofmuseen, in einer imposanten 
Stiegenanlage den künstlerischen Zielpunkt sucht und diesem 
falschen Pathos jede sachliche und persönliche Rücksicht opfert, 
konnte bestenfalls dem protzigen Parvenügeschmack vor zwanzig 
bis dreissig Jahren genügen; es ist dem Kaiser nicht zu ver 
denken, dass er die vornehme Zurückhaltung der alten Burg 
213
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.