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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

mit der aufdringlichen und künstlerisch wenig gehaltvollen Ar 
chitekturmacherei der neuen Anlage nicht vertauschen will. 
Diese stillschweigende Ablehnung des Kaisers ist in der Tat 
die empfindlichste und gerechteste Verurteilung einer bomba 
stischen Stilmacherei, die gleichsam aus der Schublade, wo die 
palladianischen Architekturkopien liegen, herausgezeichnet wird 
und deren Anwendung heute als ein unfehlbares Merkmal 
künstlerischer Unfruchtbarkeit und Mangel eigenen schöpfe 
rischen Empfindens anzusehen ist. Heute, da jeder König vom 
Schottenring sich ein ebenso effektvolles Haus wie der Kaiser 
von Österreich bauen lassen kann und bauen lässt, ist das Ar 
chitekturideal der siebziger und achtziger Jahre kein Ziel mehr. 
Dass der Kaiser als der eigentliche Bauherr sein Interesse an 
dem Neubau aus begreiflichen Gründen versagt, ist der tiefere 
Grund, der dem lähmenden Bureaukratismus Gelegenheit gibt, 
sich wie ein Schimmelpilz reichlich auszuleben und das Wachstum 
namentlich in künstlerischer Hinsicht zu hemmen. Die Eunu- 
chenhaftigkeit, die immer die Äusserlichkeit eines vergangenen 
Stils nachzuäffen sucht, für Staats und Hofgebäude die Formen 
des Renaissancepalastes oder des Barockschlosses als Abglanz 
absolutistischer Selbstherrlichkeit, vergisst völlig, dass sich eine 
solche, heute bereits lächerlich gewordene Architekturkomödie 
jeder Börseaner leistet und dass die edle und gehaltvolle Ein 
fachheit mancher Räume der alten Burg ungleich kaiserlicher 
erscheint und den puritanischen Lebensgewohnheiten des Bau 
herrn durchaus angemessen ist. Es gibt mehr als ein Beispiel, 
welches zeigt, dass die zurückhaltende Einfachheit, wenn sie 
mit durchaus erlesener Kunst erfüllt ist, an das Kunstvermögen 
die höchsten Aufgaben stellt und zu ungeahnten Wirkungen 
gesteigert werden kann, denen wahrscheinlich nicht die Teil 
nahme des kaiserlichen Bauherrn und gewiss nicht die des 
Volkes und der fähigen Künstlerschaft, sicherlich aber die des 
ganz unfähigen Bureaukratismus versagt bliebe. □ 
Man kann auch die Frage anders stellen und mit Recht be 
haupten, dass der Kaiser hier nicht privater Bauherr ist, sondern 
dass der Staatsgedanke entscheide und dass das Bauwerk daher 
in erster Linie von volkskünstlerischen und auch von volks 
wirtschaftlichen Interessen geleitet sei. Es ist klar, dass im 
Grunde der Erörterung diese Auffassung liegen muss. Wenn 
die kunstliebende, voraussehende und fördernde Persönlichkeit 
des Bauherrn, der künstlerische Bedürfnisse hat, fehlt, dann 
können die leitenden Interessen nicht aus dem Bureaukratismus, 
sondern nur aus der Blüte der Künstlerschaft hervorgehen, die 
fähig ist, neue Aufgaben zu erkennen und zu lösen. Nur sie 
kann aus der toten Architektur lebendige Baukunst machen. 
Das in seinen zahlreichen weitverästelten Zweigen neu belebte 
und befruchtete Kunstgewerbe harrt eines grossen, weithin sicht 
baren Beispieles, das als Bekräftigung und Sicherung des noch 
ungewissen Besitzes dient, einer Aufgabe, an der es sich unter 
seinen führenden Künstlern entwickelt, einer fruchtbaren Betä 
tigung, zu der dieser Bau mehr als einen hinreichenden äusseren 
Grund gibt, der dadurch eine höhere erziehliche Bedeutung 
gewänne als alle Museen, Fachschulen, Gewerbeförderungen, 
Almosengebereien, die Bedeutung einer ausstrahlenden KÜNST 
LERISCHEN TAT. Die Belebung, die von hier ausstrahlt, 
ist ein wirtschaftlicher Gewinn nicht allein im Hinblick auf den 
unmittelbaren Bedarf am Bauwerk, sondern vor allem im Hin 
blick auf die Erhöhung und Belebung der künstlerischen Lei 
stungsfähigkeit, der Qualität und des Geschmacks, die auch 
den Fernstehenden zuteil wird und im allgemeinen eine Kraft 
erhöhung bedeutet. Aber ausser dem Kunstgewerbe, mit allem, 
was drum und dran hängt, käme es wieder darauf an, den 
Zusammenhang der Plastik und der Malerei mit der Archi 
tektur, das reine und abstrakte Wesen echter Baukunst, die 
Grundzüge der Gartenkunst, des Denkmalwesens an diesem 
grossen Burgbauprojekt nach Sempers Plan zu zeigen, Gedanken, 
deren Träger heute wenige Künstler sind, die aber immerhin 
da sind, um auf allen diesen furchtbar verrotteten Gebieten 
neue, im Wesen natürlich uralte und ewige Kunstziele sichtbar 
zu machen und Vorbilder aufzustellen. Solche Beispiele sind 
ungeheuer notwendig in einer Zeit wie heute, da der grosse 
Bedarf an Denkmälern, Plastiken, Architekturen, Gartenan 
lagen etc. in einer unverständigen, für die Bildung in geistiger 
und künstlerischer Hinsicht gänzlich wertlosen Weise befriedigt 
wird, die einmal dazuführen muss, dass man sich all dieser 
„Verschönerungen'' als des Ausflusses einer innerlich ganz ver 
wahrlosten Zeit schämen und die Kosten bedauern wird 
müssen, die so unfruchtbar angelegt worden sind. Die Künstler, 
die Höheres und Vorbildliches zu schaffen vermögen, Archi 
tekten, Bildhauer, Maler, sind vorhanden; sie sind natürlich 
nicht an dem Burgbau tätig, sonst wäre dieser ohnehin glänzend 
und mit fieberhaftem Eifer geführte lebendige Baukunst. □ 
Der Staat hätte die Pflicht die Qualitäten zu kennen und sie 
zu berufen. Aber es ist mit dem Burgbau nicht viel anders 
wie mit den meisten Hof-, Staats- und Kommunalbauten. Sie 
sind tote Architektur. Man muss immer wieder fragen: Wozu 
erzieht der Staat Künstler, wozu hat er sie? Wozu gibt es denn 
überhaupt eine staatliche Kunstpflege? Die äusserlich verwahr 
losten Bureaus der Kunstreferenten im Unterrichtsministerium 
sind charakteristisch für das Verhältnis des Kunstamtes zur 
Kunst. Wenn Minister und Beamte in diesem Ressort nicht 
die Auffassung teilen, dass vor allem die höchste künstlerische 
Qualität eine volkswirtschaftliche Funktion hat und dass sie 
an diesen grossen Werken der Gegenwart zum Ausdruck kommen 
muss, dass die staatliche Kunstförderung keinen anderen Sinn 
haben kann als dies zu erwirken oder zu erstreiten, dann muss 
ich sagen, dass niemals Menschen ihre Aufgabe weniger ver 
standen und ihre Pflicht schlechter erfüllt haben. □ 
Es ist möglich, dass unter der Herrschaft der unpersönlichen 
Kommissionen die Initiative, den umfassenden Entwurf Sempers 
auszuführen, gänzlich versiegt ist. Es wäre im Gedanken an 
die tote Architektur kaum zu beklagen, und es wäre tief zu 
beklagen, wenn man die Entfaltungen bedenkt, die mit Hilfe 
der vorhandenen neuen Begabungen möglich wären. Mit dieser 
Rücksicht muss alles darangesetzt werden, der vorhandenen 
und kommenden künstlerischen Kraft das Glück einer schöpfe 
rischen Arbeit zu gewähren, in der das lebende Geschlecht sein 
Eigenstes und Höchstes versucht. Nur im Hinblick auf die 
Besten ist zu erwarten, dass aus dieser toten Architektur im 
weiteren Arbeitsgange eine lebendige Baukunst ersteht. □ 
KUNST IST NICHT NACHAHMUNG DER WELT, 
SONDERN WIEDERGEBURT DER WELT. □ 
□ OUCKAMA KNOOP. 
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