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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

ALTWIENER HAUSTORE. 
L 'habitude tue l'imagination, sagt J. J. Rousseau. Wir beachten 
* heute kaum mehr, wie viel Schönheit in unseren alten 
Strassen zu finden ist. So gewohnt sind wir sie. Oder sind 
wir unempfänglich geworden? Die Kunstwanderungen haben 
die Blicke wieder auf manche einsame Schönheit gelenkt, die 
darum einsam ist, weil die Sinne fehlen, sie zu bewundern. 
Denn sie lebt von der Bewunderung und darbt ohne sie. Eine 
solche darbende Schönheit sind die alten Haustore an den noch 
erhaltenen Profanbauten der Wiener Barockzeit. Eine Festlich 
keit ist an ihnen, die niemand teilt. Mit ihrer verwitterten 
Heiterkeit stehen sie wirklich einsam im Alltag da. Wahre 
Triumphpforten sind sie, an denen sich der repräsentative Cha 
rakter des ganzen Hauses zum stärksten Ausdruck verdichtete, 
zu einem Jubelschrei, der den Nahenden begrüsst und sein Ge 
fühl emporriss, dass er hochgestimmt in das Haus einzog. □ 
Mächtige Säulen flankieren das Portal, wuchtige Atlanten tragen 
den Torbogen mit dem michel-angelesk gebrochenen Giebel, 
dazwischen Wappenkartuschen angebracht sind, allerliebst un 
gebärdige Putti, freundliche Genien und Musen oder auch 
Kriegstrophäen, Waffenembleme, Blumenguirlanden und Urnen. 
Die ganze Herrlichkeit sieht ziemlich gestrig aus. Verwildert 
und verwüstet, wie ein Festsaal nach dem Schmaus. Ein wenig 
katzenjämmerlich. Die Lebensform ist abgestorben, eine leere 
Hülle blieb. Das alte, sieggewohnte Lächeln ist an dem Antlitz 
solcher Bauten stehen geblieben, obzwar längst die Seele ent 
flohen ist, von der es einst ausstrahlte. Das Kleinbürgertum ist 
in die verlassenen Wohnstätten der alten Geschlechter einge 
zogen und hat seine mehr oder weniger geschmacklosen Schilder 
an die festlichen Tore gehängt. Es will keine Feste im Alltag, 
und die bewegten Formen sind ihm zuwider. Hühneraugen 
operateure, Niederlagen feuerfester Kassen, Strumpfwirker und 
Handschuhmacher, das zünftige Kunterbunt von Handwerks 
und Gewerbebanden kündigt sich an Tafeln an, die in Kreuz 
und Quer an den Portalen befestigt sind und keine Pietät für 
die grosse Vergangenheit bekunden, die sich an den Toren 
offenbart. Die Grösse ist entschwunden, ein kleines Leben ist 
in die verlassenen Stätten eingezogen und hat sich dort auf 
seine Art breit gemacht. Und zwar mit Recht, mit jenem grossen, 
unbestreitbaren Recht, das die Überlebenden besitzen. Nur eine 
unbillige Sentimentalität kann verlangen, dass dieses neue Leben 
zugunsten einer ausgestorbenen Herrlichkeit, die nur mehr ein 
lapidares Dasein führt, auf seine Existenzansprüche, die es in 
den Schildern VERKÜNDET, verzichte. Ein starker Kontrast 
besteht zwischen dem, was die Mauern einst VERKÜNDETEN 
und was nun in ihrem Schatten lebt. Der Kontrast zweier 
Zeitalter, der hocharistokratischen, vom Glanz der wahrhaft 
kaiserlichen Hofhaltung und der leuchtende Kriegsruhm der 
Prinz Eugen-Zeit, und der bescheidenen kleinbürgerlichen Epoche 
des unmittelberen Vor- und Nachmärz. In diesem Kontrast 
liegt ein pikanter Reiz, den nur die alten, muffeligen Häuser 
mit ihren Prachttoren aufzuweisen haben. Die Grösse und Klein 
heit, die Ruhmredigkeit und das Philistertum, die sich an diesen 
Toren bekämpfen, streiten mit wechselndem Glück. Bald ge 
winnt das eine die Oberhand, bald das andere. Einmal scheint es, 
als ob das ganze erbärmliche Schilderwesen die architektonische 
Macht erdrücken wollte, dann aber, zu gewissen Stunden, tritt 
diese mit solcher Gewalt hervor, dass man, wie von einer plötz 
lichen Entdeckung befangen, überrascht und ergriffen das leib 
hafte Gesicht einer abgestorbenen Zeit lebendig werden fühlt. Das 
vergangene Leben ist in den Torwinkeln solcher Häuser noch 
immer mächtig. Und in solchen Augenblicken bekommt alles 
gleich ein anderes Ansehen. Vertiefte, geheimnisvolle Züge. □ 
Das Hotel Klomser in der Herrengasse erscheint gar nicht 
hotelmässig. In dem wappengekrönten Portal mit dem in den Tor 
bogen gezwängten Balkonfenster, dem Rüstzeug und den Vasen, 
sowie den Reliefs an den Vasensockeln lebt das Andenken der 
fürstlich Batthyänyschen Familie fort, welche einst dieses Haus 
bewohnt, und die ursprüngliche Schönheit des Einganges kann 
selbst durch die neuere Verunstaltung der Fassade nicht ganz 
umgebracht werden. □ 
An den meisten der bedeutsamen Tore rankt eine alte Legende 
fort. An dem Portal des Trattnerhofes, wo das alte Wiener 
Gasthaus „zur Tabakspfeife“ sein Schild hat, dürfte die etwas 
unartige Stellung des rechten Atlanten aufgefallen sein. Der 
ungewaschene Volksmund will wissen, dass der reichgewordene 
Bauherr sich an einer Gegenüberwohnenden rächen wollte, 
welche die Bewerbungen des armen Jünglings schnöde abwies und 
später nach dem zu Wohlstand Gekommenen ihre Netze auswarf. 
Die Singerstrasse enthält manche schöne Tore. Der schönsten 
eines ist das Portal des Palais Breuner. Ein Stadthauptmann, 
der zugleich Architekt war, hatte sich den Palast erbaut. Gleich 
stellt sich die Frage ein: Wie kommt ein Stadthauptmann zu 
so fürstlichen Mitteln, um den Palast zu unterhalten ? Die 
Chronik weiss keine Antwort darauf, denn von dem inneren 
Leben der Stadt vor zweihundert Jahren ist uns wenig über 
liefert. Die einzige Quelle ist das Bauwerk selbst, und es sagt 
von der Prachtliebe nicht nur der Adeligen, sondern auch der 
Bürgerlichen der damaligen Zeit nicht wenig aus. □ 
Dass die ehrsamen, in Gott ruhenden Handwerker, Kauf 
leute, Weinbauern etc. an ihrem eigenen Hause die 
Kunst nicht vermisssen wollten, beweist neben vielen 
Beispielen auch das Haus in der Langengasse, dessen Tor 
als figural-plastische Dekoration eine Darstellung der Trinität 
zeigt und darauf hinweist, dass der Hausherr in jener frommen 
Zeit wahrscheinlich Mitglied der Dreifaltigkeits-Bruderschaft war. 
Kunstgeschichtlich ist es ein artiges Beispiel des Stils von Gio 
vanni Giuliani (des Lehrers von Raphael Donner), der als 
Laienbruder in Heiligenkreuz 1744 starb. □ 
Manch anderes Privathaus zeigt den grossen Stil der besten 
Meister der damaligen Zeit, so dass man oft glaubt, es mit dem 
Palast eines Fürsten zu tun zu haben. Den Toren verdankten 
die Strassen ihren besten und schönsten Schmuck. Architektur 
und Plastik sehen wir nur an ihnen zu schönem Bunde ver 
mählt. Eine feine Lehre für den Künstler liegt darin. Heute 
sehen wir an den neuen Bauten wertlosen plastischen Zierrat 
die ganze Fassade empor; drei, vier Stockwerke hoch Figuren, 
Reliefs, Masken, dem Auge entrückt und eigentlich niemandem 
zur Freude. Die alten Bauten geben weniger und mehr. Sie 
bewahren an ihren Fassaden grosse architektonische Strenge, 
aber an gut sichtbarer und bedeutsamer Stelle gestatten sie sich 
den Luxus einer edlen Plastik, in welchem der Sinn des Hauses 
und seiner Bewohner zu einem verdichteten und einem fast 
überwältigenden Ausdruck kommt. Die ganze Kunstfreude der 
Vorfahren lebt darin. □ 
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