ALTWIENER HAUSTORE.
L 'habitude tue l'imagination, sagt J. J. Rousseau. Wir beachten
* heute kaum mehr, wie viel Schönheit in unseren alten
Strassen zu finden ist. So gewohnt sind wir sie. Oder sind
wir unempfänglich geworden? Die Kunstwanderungen haben
die Blicke wieder auf manche einsame Schönheit gelenkt, die
darum einsam ist, weil die Sinne fehlen, sie zu bewundern.
Denn sie lebt von der Bewunderung und darbt ohne sie. Eine
solche darbende Schönheit sind die alten Haustore an den noch
erhaltenen Profanbauten der Wiener Barockzeit. Eine Festlich
keit ist an ihnen, die niemand teilt. Mit ihrer verwitterten
Heiterkeit stehen sie wirklich einsam im Alltag da. Wahre
Triumphpforten sind sie, an denen sich der repräsentative Cha
rakter des ganzen Hauses zum stärksten Ausdruck verdichtete,
zu einem Jubelschrei, der den Nahenden begrüsst und sein Ge
fühl emporriss, dass er hochgestimmt in das Haus einzog. □
Mächtige Säulen flankieren das Portal, wuchtige Atlanten tragen
den Torbogen mit dem michel-angelesk gebrochenen Giebel,
dazwischen Wappenkartuschen angebracht sind, allerliebst un
gebärdige Putti, freundliche Genien und Musen oder auch
Kriegstrophäen, Waffenembleme, Blumenguirlanden und Urnen.
Die ganze Herrlichkeit sieht ziemlich gestrig aus. Verwildert
und verwüstet, wie ein Festsaal nach dem Schmaus. Ein wenig
katzenjämmerlich. Die Lebensform ist abgestorben, eine leere
Hülle blieb. Das alte, sieggewohnte Lächeln ist an dem Antlitz
solcher Bauten stehen geblieben, obzwar längst die Seele ent
flohen ist, von der es einst ausstrahlte. Das Kleinbürgertum ist
in die verlassenen Wohnstätten der alten Geschlechter einge
zogen und hat seine mehr oder weniger geschmacklosen Schilder
an die festlichen Tore gehängt. Es will keine Feste im Alltag,
und die bewegten Formen sind ihm zuwider. Hühneraugen
operateure, Niederlagen feuerfester Kassen, Strumpfwirker und
Handschuhmacher, das zünftige Kunterbunt von Handwerks
und Gewerbebanden kündigt sich an Tafeln an, die in Kreuz
und Quer an den Portalen befestigt sind und keine Pietät für
die grosse Vergangenheit bekunden, die sich an den Toren
offenbart. Die Grösse ist entschwunden, ein kleines Leben ist
in die verlassenen Stätten eingezogen und hat sich dort auf
seine Art breit gemacht. Und zwar mit Recht, mit jenem grossen,
unbestreitbaren Recht, das die Überlebenden besitzen. Nur eine
unbillige Sentimentalität kann verlangen, dass dieses neue Leben
zugunsten einer ausgestorbenen Herrlichkeit, die nur mehr ein
lapidares Dasein führt, auf seine Existenzansprüche, die es in
den Schildern VERKÜNDET, verzichte. Ein starker Kontrast
besteht zwischen dem, was die Mauern einst VERKÜNDETEN
und was nun in ihrem Schatten lebt. Der Kontrast zweier
Zeitalter, der hocharistokratischen, vom Glanz der wahrhaft
kaiserlichen Hofhaltung und der leuchtende Kriegsruhm der
Prinz Eugen-Zeit, und der bescheidenen kleinbürgerlichen Epoche
des unmittelberen Vor- und Nachmärz. In diesem Kontrast
liegt ein pikanter Reiz, den nur die alten, muffeligen Häuser
mit ihren Prachttoren aufzuweisen haben. Die Grösse und Klein
heit, die Ruhmredigkeit und das Philistertum, die sich an diesen
Toren bekämpfen, streiten mit wechselndem Glück. Bald ge
winnt das eine die Oberhand, bald das andere. Einmal scheint es,
als ob das ganze erbärmliche Schilderwesen die architektonische
Macht erdrücken wollte, dann aber, zu gewissen Stunden, tritt
diese mit solcher Gewalt hervor, dass man, wie von einer plötz
lichen Entdeckung befangen, überrascht und ergriffen das leib
hafte Gesicht einer abgestorbenen Zeit lebendig werden fühlt. Das
vergangene Leben ist in den Torwinkeln solcher Häuser noch
immer mächtig. Und in solchen Augenblicken bekommt alles
gleich ein anderes Ansehen. Vertiefte, geheimnisvolle Züge. □
Das Hotel Klomser in der Herrengasse erscheint gar nicht
hotelmässig. In dem wappengekrönten Portal mit dem in den Tor
bogen gezwängten Balkonfenster, dem Rüstzeug und den Vasen,
sowie den Reliefs an den Vasensockeln lebt das Andenken der
fürstlich Batthyänyschen Familie fort, welche einst dieses Haus
bewohnt, und die ursprüngliche Schönheit des Einganges kann
selbst durch die neuere Verunstaltung der Fassade nicht ganz
umgebracht werden. □
An den meisten der bedeutsamen Tore rankt eine alte Legende
fort. An dem Portal des Trattnerhofes, wo das alte Wiener
Gasthaus „zur Tabakspfeife“ sein Schild hat, dürfte die etwas
unartige Stellung des rechten Atlanten aufgefallen sein. Der
ungewaschene Volksmund will wissen, dass der reichgewordene
Bauherr sich an einer Gegenüberwohnenden rächen wollte,
welche die Bewerbungen des armen Jünglings schnöde abwies und
später nach dem zu Wohlstand Gekommenen ihre Netze auswarf.
Die Singerstrasse enthält manche schöne Tore. Der schönsten
eines ist das Portal des Palais Breuner. Ein Stadthauptmann,
der zugleich Architekt war, hatte sich den Palast erbaut. Gleich
stellt sich die Frage ein: Wie kommt ein Stadthauptmann zu
so fürstlichen Mitteln, um den Palast zu unterhalten ? Die
Chronik weiss keine Antwort darauf, denn von dem inneren
Leben der Stadt vor zweihundert Jahren ist uns wenig über
liefert. Die einzige Quelle ist das Bauwerk selbst, und es sagt
von der Prachtliebe nicht nur der Adeligen, sondern auch der
Bürgerlichen der damaligen Zeit nicht wenig aus. □
Dass die ehrsamen, in Gott ruhenden Handwerker, Kauf
leute, Weinbauern etc. an ihrem eigenen Hause die
Kunst nicht vermisssen wollten, beweist neben vielen
Beispielen auch das Haus in der Langengasse, dessen Tor
als figural-plastische Dekoration eine Darstellung der Trinität
zeigt und darauf hinweist, dass der Hausherr in jener frommen
Zeit wahrscheinlich Mitglied der Dreifaltigkeits-Bruderschaft war.
Kunstgeschichtlich ist es ein artiges Beispiel des Stils von Gio
vanni Giuliani (des Lehrers von Raphael Donner), der als
Laienbruder in Heiligenkreuz 1744 starb. □
Manch anderes Privathaus zeigt den grossen Stil der besten
Meister der damaligen Zeit, so dass man oft glaubt, es mit dem
Palast eines Fürsten zu tun zu haben. Den Toren verdankten
die Strassen ihren besten und schönsten Schmuck. Architektur
und Plastik sehen wir nur an ihnen zu schönem Bunde ver
mählt. Eine feine Lehre für den Künstler liegt darin. Heute
sehen wir an den neuen Bauten wertlosen plastischen Zierrat
die ganze Fassade empor; drei, vier Stockwerke hoch Figuren,
Reliefs, Masken, dem Auge entrückt und eigentlich niemandem
zur Freude. Die alten Bauten geben weniger und mehr. Sie
bewahren an ihren Fassaden grosse architektonische Strenge,
aber an gut sichtbarer und bedeutsamer Stelle gestatten sie sich
den Luxus einer edlen Plastik, in welchem der Sinn des Hauses
und seiner Bewohner zu einem verdichteten und einem fast
überwältigenden Ausdruck kommt. Die ganze Kunstfreude der
Vorfahren lebt darin. □
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