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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

von Gartenstädten, die sich auf industrieller Grundlage entwickeln 
wollen, hervorgerufen. Sie weist der Volkswohnungspolitik aller 
Industriestaaten den rechten Weg, der zu einem sehr wünschens 
werten Ziel führt: gewerbliche und industrielle Dorf- und Stadt 
anlagen gesund und zweckmässig zu bauen und auf die Höhe 
eines Kunstwerkes zu bringen. Nach einem Worte Oskar 
WILDES IST DAS EIGENTLICHE ZIEL DER VERSUCHE 
UND AUFBAUE DER GESELLSCHAFT AUF EINER 
GRUNDLAGE, DIE DIE ARMUT UNMÖGLICH MACHT. 
Diese Bewegung auf österreichischen Boden übertragen, finden 
wir auf den teils noch jungfräulichen Land- und Stadtbezirken 
im Nordosten Wiens ein ausgezeichnetes Operationsgebiet, auf 
dem sich eine solche Anlage durchführen liesse, die, wenn sie 
im obigen Sinne künstlerisch behandelt wird, gar nicht anders 
als gesund und zweckmässig sein wird und einen Zuwachs an 
Schönheit und Reichtum für das Land bedeuten soll. □ 
Aber dem steht manches entgegen. Vor allem die städtische 
Wirtschaftspolitik selbst. Das würde uns sogar jeder Greisler 
und sonstiger Gemeindepolitiker erklären, dass die Sache gar 
nicht durchführbar ist wegen der Bodenspekulationen und der 
enormen Grundverteuerungen, die jede Cottagebildung für die 
arbeitende Bevölkerung unmöglich macht. Nun, wenn die Ver 
hältnisse schon so beschaffen sind, ist dann nicht um so ver 
mehrte Ursache, hier den Spaten einzusetzen? Die dringendste 
Aufgabe, ohne die es einen ernsten Fortschritt zu diesem nicht 
gibt, ist die Eindämmung des Spekulationsunwesens durch weit 
gehendes Enteignungsrecht, Einführung des Verkaufsrechtes der 
Gemeinde bei Zwangsverkäufen, als ein Mittel, das Gemeinde 
gut auf billige Weise soviel als möglich zu vergrössern und 
gerecht zu verteilen, ein Idealgedanke des amerikanischen 
Agrariers Henry George, um zu jenen einfachen, gesünderen 
Besitzverhältnissen zu gelangen, die schon bei den germanischen 
Vorfahren und im Mittelalter als Lehenswesen die wirtschaft 
liche und besitzrechtliche Grundlage bildeten, die in moderner 
Form im sogenannten Erbbaurecht wiederkehrt. 
Es handelt sich für uns zunächst darum, den Weg zu zeigen, 
den die Entwicklung gehen wird. Es wird dahin kommen 
müssen, dass die wahren Träger der modernen Kultur, die 
einen grossen Sinn und ein warmes Herz für unsere sozialen 
und kulturellen Interessen haben, also hervorragende Architekten, 
Künstler und Ingenieure, Sozialpolitiker, verwaltungserfahrene 
Juristen, die Aufgabe der Gemeindeverwaltung übernehmen, um 
die grosse Stadt- und Landbebauungsfrage in einer für das 
Wohl der Allgemeinheit und für die Schönheit des Landes zu 
träglichen Weise durchzuführen. Es kommt der ganzen Mensch 
heit zugute, wenn der drohenden Degeneration weiter Volks 
schichten in wirksamer Weise Einhalt geboten wird. 
WÜRDE MAN SO LEIDENSCHAFTLICH GEGEN DEN 
SOZIALISMUS WETTERN, WENN MAN SICH NICHT 
GESTEHEN MÜSSTE, DASS MAN VON IHM SCHON 
GANZ UMGARNT IST? OUCKAMA KNOOP. 
„WENN DU VOM KAHLENBERG “ 
s ist ein Unterschied, ob man als gewöhnlicher Pflastertreter 
gedankenlos über die Ringstrasse trottet oder ob man mit 
offenen Sinnen, schauend und beobachtend auf das Ungewöhn 
liche, Seltsame, Eigenartige ausgeht und den leisen Stimmen 
horcht, den Liedern, die nach Eichendorff in allen Dingen 
schlummern. Darum kehre ich von meinen Spaziergängen nie 
mals heim, ohne eine Bereicherung oder Belehrung erfahren 
oder eine Entdeckung gemacht zu haben. Vielleicht bin ich 
von einer Art romantischem Hang für alles zeitlich Ferne, für 
alles Vergangene oder Halbvergangene getrieben. Denn ich 
liebe die alten Häuser mit ihrem menschlichen Geruch, der 
von den Schweisstropfen der Angst, der Sorge, der Lebensmüh’ 
und Sterbensnot so vieler Geschlechter erzählt, ich liebe die 
stillen Vorstadtgassen, wo das Grosstadttreiben nur in ver 
worrenen Lauten fern hereintönt und die alte Kultur im Aus 
gedinge lebt, ich liebe der Urväter Hausrat, den die guten 
Alten mit zärtlicher Sorgfalt aufgehäuft und behütet haben, die 
alten, sauberen, blitzblanken Schränke, über die Gross 
mütterchens zitternde Hände täglich scheuernd hinfuhren, ich 
liebe die verblichenen Züge, den nachsommerlichen Glanz dieser 
Dinge von gestern, denn es ist so viel Geschichte, so viel 
„Seele“ in ihnen. Ich liebe die heimlichen, seltsamen Glücks 
gefühle, die solche Orte, Strassen, Häuser und Wohnungen 
gewähren. Dass man das jemandem begreiflich machen könnte! 
Ich liebe aber gar nicht unsere modernen, grosstädtischen 
Strassenzeilen mit ihren schablonenhaften, nichtssagenden 
Fassaden und trachte darum je schneller desto lieber hinauszu 
kommen in jene kleinen, verhutzelten Vororte, die neben der 
grossen Schwester zwar ein recht armseliges Aschenbrödel 
dasein führen, dafür aber noch immer von einem Schimmer 
Romantik umhaucht sind. Dort geht es zuweilen recht kunter 
bunt zu. Städtische und ländliche Kultur begegnen einander an 
der Pheripherie der Stadt, neue Häuserzeilen schieben sich in 
das Ackerland hinein und zwischen Obstgärten und Wein- 
geländen, Mietskasernen und moderne Landhäuser neben 
schlichten, alten Wohnbauten und Bauerngehöften; alles ziem 
lich regellos durcheinander, und dabei ein fortwährendes Nieder- 
reissen und Neuaufbauen. In diesen Gebieten mache ich meine 
„Entdeckungen'', von denen ich hier erzählen will. 
Vor allem habe ich hier den Hausgarten gefunden. Jene alten 
Hausgärten, Biedermeyergärten, die, mit Liebe gepflegt und ge 
pflanzt, einer blühenden und duftenden Blumenwildnis gleichen, 
mit geraden Wegen zwischen den steinumfassten Rabatten und 
den grossen Glaskugeln, die ein Stück Himmel in den Garten 
legen, Reflexe verbreiten, ein wahres Netz von Lichtstrahlen 
inmitten der Farbenpracht, so dass jeder, der durch den Haus 
flur einen Blick davon erhascht, von einer unstillbaren Haus 
gartensehnsucht ergriffen wird. ^Vas die neuen Familienhäuser, 
die Cottages, als Garten gepflanzt haben, kann mit dieser 
reizenden Hausgartenpoesie nicht verglichen werden. Diese neue 
Gärten passen zu den affektiert vornehmen Häusern. Da finden 
wir in den Villenvorstädten um jedes Haus einen winzigen 
Gartengrund nach den Grundsätzen der naturalistischen Schule 
behandelt, einer romantischen Theaterszenerie nicht unähnlich, 
mit Grotten, Springbrunnen, Felsenpartien, geometrischen 
Blumenbeeten, Gartenfiguren aus gebranntem und glasiertem 
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