Ton, Hirschen, Zwergen, Riesenpilzen und anderen ähnlichen
Geschmackswidrigkeiten. Was sind solche Gärten gegen die
trauten Altwiener Gärten ? Nichts sind sie, lieber Leser. □
Nicht immer haben die kleinen, alten Vorstadthäuser einen
ganzen Garten. Aber eine Laube haben sie. Eine weinum
sponnene Laube, darin sich's am Abend schön sitzen lässt,
während auf dem Streif Erde vor der Laube längs der Haus
wand die Rosenstöcke duften. Geranien und Nelken stehen in
den Fenstern. Dahinter wird ein Silberscheitel mit einem
weissen Häubchen sichtbar. Grüss Gott, Frau Mutter! Die
Tage sind gezählt. Und wenn ich wiederkomme, dann ist viel
leicht das Fensterbild verschwunden und vielleicht auch das
freundliche Häuschen mit dem Zaun, und an seiner Stelle
steht irgendein protziger Neubau hinter einem Stachel
drahtzaun. Was die alten Häuser so lieblich macht, das
ist die Freiheit ihrer Formen. Breit und behäbig liegen sie da,
der Ausdruck eines inneren Wohlbehagens, einer gewissen
Sorglosigkeit, und trotzdem ein ganz organisches Wachstum,
das von den Bedürfnissen bestimmt ist. Wie frei diese Fenster
angeordnet sind! Gar nicht symmetrisch. Und diese sanften,
aber ganz unregelmässigen Ausladungen der Fenster und Erker.
Das ganze Haus hat dadurch eine ungemein sprechende
Physiognomie. Es ist schier „vermenschlicht^. Und diese
reizenden Dächer und Dachfenster. Das Dach ist eine Haupt
zierde. Wie eine behäbige Haube ist es aufgestülpt und zu
gleich von der kleidsamsten Art. Wie freundliche Menschen
augen blinzeln die Dachluken herab. Aber ganz lustig anzu
sehen sind erst die Schornsteine. Das muss man den alten
Baumeistern wohl lassen, dass sie es verstanden, das Wesen
der Sache zu betonen und dabei so viel individuelle Freiheit
Zu bewahren. Die Kunstregung kann man an den alten
Schornsteinen deutlich verspüren. Der Schornstein, der den
Rauch der Herdflamme den frei ziehenden Winden überbringt,
ist gleichsam ein Gruss an die Freiheit, ein Ausdruck der ge
steigerten Lebensfreude, den sich der Erbauer erlaubt, wenn er
das Haus glücklich zur Höhe gebracht. Er ist daher immer ein
Symbol. Er verbindet das Haus mit den luftigen Elementen,
mit Wolken und Himmel. Mit seinen oft grossen Ausladungen
nach oben schiebt er sich über die Nachbarhäuser als Riesen-
haupt, als Ausschauender. So vermenschlicht ist er. Oder er
drückt durch absonderliche Bildungen seine nahe Beziehung
zum formenreichen Wolkenheim aus. Weissgetüncht und hoch
aufstrebend, fast immer monumental gebildet, scheint er sich
den lichten Wolken zu vermählen, leuchtet er auf dem tief
blauen Grund des reinen Firmaments. Die neuen Häuser haben
eine solche Schönheit nicht aufzuweisen. Nur alte Bauten
besitzen die so überaus malerische, kühne Silhouette von Dach
und Schornstein. Des letzteren jüngerer Bruder ist ein Nieder
gangstypus. Nüchtern und nichtssagend, mit trostloser Regel
mässigkeit verteilt, erscheint er nur mehr als notwendiges Übel,
mit dem der heutige Baumeister in der Regel künstlerisch
nichts anzufangen weiss. Er drückt keine Lebensfreude aus, er
ist kein Schmuck, kein Wahrzeichen, kein Symbol. Er ist ein
langweiliger, temperamentloser Geselle. Ein Kind seiner Zeit.
Auch die Tore und Torbildungen erregen vielfach Bewunde
rung. Aber der Blick, der darauf fällt, dringt schon ins
Innere, in die Höfe, und verleitet, durch den Hausflur zu
schreiten. Denn es sieht oft recht seltsam aus in den alten
Höfen. Dass die Grossväter eine feine Kultur besassen, beweist
schon der Sinn für die Ästhetik der Pflanze. Es ist kaum ein
alter Hof ohne irgendein Grünes. Einen sah ich, dessen
Wände waren von wildem Wein umwachsen, und davor
standen der Reihe nach blühende Oleanderbäume in Holz
kübeln, was einen ganz wundersamen, märchenhaften Zauber
ausübte. Ein anderer ist der Länge nach von echtem Wein
überwölbt wie eine Pergola, und darunter hängen zur Reifezeit
schwere Trauben herab. Ich gehe weiter und vergesse beinahe,
dass ich noch wirklich in unserer Stadt bin. So bäuerlich,
kleinstädtisch sieht es in jenen entlegenen Stadtgebieten am
Fusse des Kahlengebirges aus. □
Drüben hämmert ein Schmied. Verzeihe, Meister Wieland,
meine Neugierde. Städter wissen kaum, was eine echte und
rechte Schmiede ist. Die ich meine, das ist eine solche.
Nebenan ist ein Altwiener Krämerladen. Gut zweihundert
Jahre alt. Ein junges, dralles Weib, mit einem Kind am Arm,
erzählt vom Urgrossvater, der diese Einrichtung schon besessen.
Und dann eine lange Familiengeschichte. Erinnerungsreich, wie
hier alles ist. Und die Menschen selbst, die hier eingewohnt
sind, tragen ererbte Züge. Kinder und Mädchen mit staunenden,
fragenden Augen, die in die Ferne sehen. Kinder und Greise,
merkwürdig ähnlich. Und während drüben die Schmiede
hämmert, lärmt die Jugend auf der Strasse und aus einem
Hofraum tönt das Gekeife eines Weibes. Die schweren Schritte
der Weinhauer schallen auf dem Pflaster und in dem schönen,
fliesenbelegten Hofe eines sehr vornehm aussehenden Barock
hauses. Einer steht dort im Kreise mehrerer Männer und
schenkt aus einem Kruge Wein. Das Bild erinnert mich an
ausgestorbene italienische Paläste, wo nunmehr schwere Bauern
stiefel über den Estrich schreiten und Prunksäle als Getreide
magazin verwendet werden. □
Auch hier in den einstigen Patrizierhäusern spielt sich nur
mehr ein kleines, armseliges Leben ab. Das fühlt man ganz
deutlich, dass eine absterbende Kultur sich hier fortfristet. Zu
stände und Dinge, die in der Auflösung begriffen sind und
deren Untergang manche als persönliches Leid empfinden, weil
sich Kindheitserinnerungen mit diesen grossväterlichen Verhält
nissen verbinden. Ich kann dem leisen, heimlichen Drängen
nicht widerstehen, in eine solche alte Stube einzutreten. Längst
Begrabenes wird wieder lebendig; Bilder aus frühen Tagen, die
vergessen schienen. Da sind die steifen Biedermeyermöbel, der
kleine, elende Krimskrams, den ein langes Leben hier aufge
häuft hat. Jeder Gegenstand hat seine Geschichte. Und der
eine, der sie kennt und der in diesem Gemach haust, ist ein
nahezu hundertjähriger Greis. Die Haut liegt pergamentartig
um die riesigen Knochen, seine lichten Augen sehen staunend,
fragend in die Ferne, wie bei jenen Kindern. Er weiss so viel
und möchte erzählen, und immer verliert er den Faden. Wenn
er nur sagen könnte, was er gefühlt und erlebt! Hinter jeder
Hecke, hinter jedem Treppenwinkel blüht ein Roman. Ich
halte es in dem Raum nicht mehr aus, ich glaube unter
lauter Verstorbenen zu sitzen. Nein, es ist doch nichts für uns
Neuen, Heutigen. W^ie trefflich der junge Wein mundet, den
man hier im Grünen trinkt. Vom Abendhimmel zeichnet sich
in schöner Silhouette das Kahlengebirge ab; drüben glänzt die
Donau. Und ich freue mich wieder, ein Kind der Gegenwart
zu sein, an dem Heute mitzubauen und damit das Morgen
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