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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

Ton, Hirschen, Zwergen, Riesenpilzen und anderen ähnlichen 
Geschmackswidrigkeiten. Was sind solche Gärten gegen die 
trauten Altwiener Gärten ? Nichts sind sie, lieber Leser. □ 
Nicht immer haben die kleinen, alten Vorstadthäuser einen 
ganzen Garten. Aber eine Laube haben sie. Eine weinum 
sponnene Laube, darin sich's am Abend schön sitzen lässt, 
während auf dem Streif Erde vor der Laube längs der Haus 
wand die Rosenstöcke duften. Geranien und Nelken stehen in 
den Fenstern. Dahinter wird ein Silberscheitel mit einem 
weissen Häubchen sichtbar. Grüss Gott, Frau Mutter! Die 
Tage sind gezählt. Und wenn ich wiederkomme, dann ist viel 
leicht das Fensterbild verschwunden und vielleicht auch das 
freundliche Häuschen mit dem Zaun, und an seiner Stelle 
steht irgendein protziger Neubau hinter einem Stachel 
drahtzaun. Was die alten Häuser so lieblich macht, das 
ist die Freiheit ihrer Formen. Breit und behäbig liegen sie da, 
der Ausdruck eines inneren Wohlbehagens, einer gewissen 
Sorglosigkeit, und trotzdem ein ganz organisches Wachstum, 
das von den Bedürfnissen bestimmt ist. Wie frei diese Fenster 
angeordnet sind! Gar nicht symmetrisch. Und diese sanften, 
aber ganz unregelmässigen Ausladungen der Fenster und Erker. 
Das ganze Haus hat dadurch eine ungemein sprechende 
Physiognomie. Es ist schier „vermenschlicht^. Und diese 
reizenden Dächer und Dachfenster. Das Dach ist eine Haupt 
zierde. Wie eine behäbige Haube ist es aufgestülpt und zu 
gleich von der kleidsamsten Art. Wie freundliche Menschen 
augen blinzeln die Dachluken herab. Aber ganz lustig anzu 
sehen sind erst die Schornsteine. Das muss man den alten 
Baumeistern wohl lassen, dass sie es verstanden, das Wesen 
der Sache zu betonen und dabei so viel individuelle Freiheit 
Zu bewahren. Die Kunstregung kann man an den alten 
Schornsteinen deutlich verspüren. Der Schornstein, der den 
Rauch der Herdflamme den frei ziehenden Winden überbringt, 
ist gleichsam ein Gruss an die Freiheit, ein Ausdruck der ge 
steigerten Lebensfreude, den sich der Erbauer erlaubt, wenn er 
das Haus glücklich zur Höhe gebracht. Er ist daher immer ein 
Symbol. Er verbindet das Haus mit den luftigen Elementen, 
mit Wolken und Himmel. Mit seinen oft grossen Ausladungen 
nach oben schiebt er sich über die Nachbarhäuser als Riesen- 
haupt, als Ausschauender. So vermenschlicht ist er. Oder er 
drückt durch absonderliche Bildungen seine nahe Beziehung 
zum formenreichen Wolkenheim aus. Weissgetüncht und hoch 
aufstrebend, fast immer monumental gebildet, scheint er sich 
den lichten Wolken zu vermählen, leuchtet er auf dem tief 
blauen Grund des reinen Firmaments. Die neuen Häuser haben 
eine solche Schönheit nicht aufzuweisen. Nur alte Bauten 
besitzen die so überaus malerische, kühne Silhouette von Dach 
und Schornstein. Des letzteren jüngerer Bruder ist ein Nieder 
gangstypus. Nüchtern und nichtssagend, mit trostloser Regel 
mässigkeit verteilt, erscheint er nur mehr als notwendiges Übel, 
mit dem der heutige Baumeister in der Regel künstlerisch 
nichts anzufangen weiss. Er drückt keine Lebensfreude aus, er 
ist kein Schmuck, kein Wahrzeichen, kein Symbol. Er ist ein 
langweiliger, temperamentloser Geselle. Ein Kind seiner Zeit. 
Auch die Tore und Torbildungen erregen vielfach Bewunde 
rung. Aber der Blick, der darauf fällt, dringt schon ins 
Innere, in die Höfe, und verleitet, durch den Hausflur zu 
schreiten. Denn es sieht oft recht seltsam aus in den alten 
Höfen. Dass die Grossväter eine feine Kultur besassen, beweist 
schon der Sinn für die Ästhetik der Pflanze. Es ist kaum ein 
alter Hof ohne irgendein Grünes. Einen sah ich, dessen 
Wände waren von wildem Wein umwachsen, und davor 
standen der Reihe nach blühende Oleanderbäume in Holz 
kübeln, was einen ganz wundersamen, märchenhaften Zauber 
ausübte. Ein anderer ist der Länge nach von echtem Wein 
überwölbt wie eine Pergola, und darunter hängen zur Reifezeit 
schwere Trauben herab. Ich gehe weiter und vergesse beinahe, 
dass ich noch wirklich in unserer Stadt bin. So bäuerlich, 
kleinstädtisch sieht es in jenen entlegenen Stadtgebieten am 
Fusse des Kahlengebirges aus. □ 
Drüben hämmert ein Schmied. Verzeihe, Meister Wieland, 
meine Neugierde. Städter wissen kaum, was eine echte und 
rechte Schmiede ist. Die ich meine, das ist eine solche. 
Nebenan ist ein Altwiener Krämerladen. Gut zweihundert 
Jahre alt. Ein junges, dralles Weib, mit einem Kind am Arm, 
erzählt vom Urgrossvater, der diese Einrichtung schon besessen. 
Und dann eine lange Familiengeschichte. Erinnerungsreich, wie 
hier alles ist. Und die Menschen selbst, die hier eingewohnt 
sind, tragen ererbte Züge. Kinder und Mädchen mit staunenden, 
fragenden Augen, die in die Ferne sehen. Kinder und Greise, 
merkwürdig ähnlich. Und während drüben die Schmiede 
hämmert, lärmt die Jugend auf der Strasse und aus einem 
Hofraum tönt das Gekeife eines Weibes. Die schweren Schritte 
der Weinhauer schallen auf dem Pflaster und in dem schönen, 
fliesenbelegten Hofe eines sehr vornehm aussehenden Barock 
hauses. Einer steht dort im Kreise mehrerer Männer und 
schenkt aus einem Kruge Wein. Das Bild erinnert mich an 
ausgestorbene italienische Paläste, wo nunmehr schwere Bauern 
stiefel über den Estrich schreiten und Prunksäle als Getreide 
magazin verwendet werden. □ 
Auch hier in den einstigen Patrizierhäusern spielt sich nur 
mehr ein kleines, armseliges Leben ab. Das fühlt man ganz 
deutlich, dass eine absterbende Kultur sich hier fortfristet. Zu 
stände und Dinge, die in der Auflösung begriffen sind und 
deren Untergang manche als persönliches Leid empfinden, weil 
sich Kindheitserinnerungen mit diesen grossväterlichen Verhält 
nissen verbinden. Ich kann dem leisen, heimlichen Drängen 
nicht widerstehen, in eine solche alte Stube einzutreten. Längst 
Begrabenes wird wieder lebendig; Bilder aus frühen Tagen, die 
vergessen schienen. Da sind die steifen Biedermeyermöbel, der 
kleine, elende Krimskrams, den ein langes Leben hier aufge 
häuft hat. Jeder Gegenstand hat seine Geschichte. Und der 
eine, der sie kennt und der in diesem Gemach haust, ist ein 
nahezu hundertjähriger Greis. Die Haut liegt pergamentartig 
um die riesigen Knochen, seine lichten Augen sehen staunend, 
fragend in die Ferne, wie bei jenen Kindern. Er weiss so viel 
und möchte erzählen, und immer verliert er den Faden. Wenn 
er nur sagen könnte, was er gefühlt und erlebt! Hinter jeder 
Hecke, hinter jedem Treppenwinkel blüht ein Roman. Ich 
halte es in dem Raum nicht mehr aus, ich glaube unter 
lauter Verstorbenen zu sitzen. Nein, es ist doch nichts für uns 
Neuen, Heutigen. W^ie trefflich der junge Wein mundet, den 
man hier im Grünen trinkt. Vom Abendhimmel zeichnet sich 
in schöner Silhouette das Kahlengebirge ab; drüben glänzt die 
Donau. Und ich freue mich wieder, ein Kind der Gegenwart 
zu sein, an dem Heute mitzubauen und damit das Morgen 
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