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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

und Drängen zu stillen, das den 'schwellenden Busen der Mädchen, 
das klopfende Herz der Jünglinge mehr und mehr hebt und be 
wegt. Nicht entgeht dies dem schlauen Blick des jovialen Graukopfs, 
der hoch auf der Tribüne mit brummendem Basse die Har 
monie lenkt und leitet, die heute solchen Zauber allenthalben 
verbreitet. Er ist sich seiner Wichtigkeit und Macht sehr wohl 
bewusst und wohl erfahren, wie sie Freuden spendet. Ein 
Wink von ihm bewirkt ein plötzliches Wunder. Drei neue 
Kernstriche auf seinem Bass von eigner Art und mit veränder 
tem, gebietend begleitendem Tritte wandeln blitzschnell die 
Szene. Nicht halten mehr können sich die zärtlichen, durch 
einanderschwebenden Paare in zwar lieblicher, doch immer 
scheinender Ferne. Gesamt, wie durch ein Feenwort, stürzt 
jedes Mädchen in die Arme des Geliebten, und innig ver 
schlungen beginnt alles den wonnigsten, den deutschen Freuden 
tanz. In verschmolzener, von der Kunst geheiligter, durch kein 
steifes, feindseliges Gebot mehr gehinderter Berührung drehen 
sich mit schwindelnder Lust in paradiesischen Kreisen die 
liebenden Paare. Im deutschen Zirkeltanze nur weht ewig 
neu belebende, stets sich wieder gebärende, nie versiegende 
Wonne. □ 
Wie der durch einen Kieselwurf in einem stillen, klaren See 
gebildete Kreis sich immer mehr und mehr erweitert, so pflanzt 
sich durch alle Salons und Gezelte des hinreissenden Tanzes 
verbreitende Kraft fort. Zu enge wird der Raum, zu gross die 
Zahl der Tänzer. Unwillig sieht sich die immer wachsende 
Menge ausgeschlossen von der Freuden Genüsse, der die 
früher Gekommenen beseligt und den sie fröhlich behaupten. 
Kurz währt jedoch der Schmerz, und bald wird er gehoben. 
Lächelnd, verstohlen blickt die heitere Sonne durch das 
schattige Laub auf den grünenden Rasenteppich herab, und 
schnell wird die liebliche Weisung erkannt und befolgt. Zum 
Tanzsaal wandelt sich der Wiesengrund, jedoch der Ort bedarf 
der Musik auch; die Stimmen der heimischen Tänzer sind 
nicht geeignet für das Bedürfnis der Menschen. Sylphen und 
Gnomen beginnen wohl nach der zirpenden Grille lustigem 
Takte im duftenden Haine, nach dem summenden Wonnechor 
der Biene in dem Blütenorchester der Linde und nach der 
Grasmücke wechselnd lyrischem Spiele im säuselnden Gebüsch 
den fröhlichen Reigen; doch diese Töne verhallen in des irdi 
schen Menschen gröberem Organe. So erwünscht bevor Wirte 
erschienen für die ungewöhnlich zahlreichen Gäste, so erfreulich 
erscheinen auch Musiker für die tanzbegierige, strömend sich 
häufende Menge. Denn zur Verherrlichung des heutigen 
Festes nach ihren Kräften beizutragen, haben bereits den Tag 
bevor sämtliche jene Virtuosen, die sonst in der Stadt sich 
pflichtig dingten, durch ihre Künste an allen Orten der allge 
meinen Freude die Lust zu regen und zu erheben einen Bund 
geschlossen. Es ist der einzige Tag ihres gesamten Triumphes, 
denn heute muss die böse Kritik verstummen. Harmonisch 
klingen die verunglücktesten Läufe auf den verstimmtesten 
Geigen, Harfen und Hackbrettchen, verwundert blicken sich ob 
dem bis jetzt nie vermiedenen Tadel verwöhnter Ohren die 
Künstler stolz und selbstgefällig an. Süsse Täuschung! Sie ge 
wahren den Beistand des Gottes nicht, der ihr Ungeschick birgt und 
entkräftet, seiner olympischen Freundin, der Muse des Tanzes, 
zuliebe, die heute ihr Ehrenfest feiert. Aeolus Gegenwart 
ahnen die Kurzsichtigen nicht! □ 
In kurzem ist des Tanzes süsse Freude allenthalben verbreitet, 
und in den mannigfaltigsten Formen, in hundertfachen Abstu 
fungen, von der höchsten Virtuosität bis zu dem untersten 
Elementarsprunge herab, wird die wonnige Kunst geübt und 
genossen. Hier wird es deutlich, das schwere Problem t die Er 
findung des Tanzes. Ihn erfand kein Mann, kein Olympier, 
noch Sterblicher; ihn erfand ein Weib, und gerecht hat die 
Erfinderin Griechenland zur Göttin erhoben und in die holde 
Gemeinschaft der Musenschwestern versetzt. Denn an den 
schimmerlosesten Plätzen, in der beschränktesten Umgebung, 
von den ungelehrtesten Paaren versucht und geübt, erscheint 
überall der weibliche Teil entschieden und überwiegend immer 
Meister im Tanz. Überall wie dort unter dem schimmernden 
Gezelte und in den bekränzten Salons, so hier auf dem grünen 
Tanzteppich der Wiese, wird der Mann von seiner schöneren 
Hälfte zurechtgewiesen und durch ihr Genie dem kunstlosen 
Ausbruch seiner tanzbegierigen Laune gesteuert. □ 
Nach und nach entwickeln sich hie und da aus den kräuseln 
den Sphären einzelne Paare; die dort in wonnigem Taumel 
geschlossenen süssen Bündnisse wollen ruhiger empfunden, 
bleibender erhalten werden. Auch dafür ist gesorgt. Holde Ein 
samkeit öffnet nachbarlich ihr bergendes Gebiet. Hinab vom 
Jägerhäuschen, an dem links flutenden Arme des Stromes führt 
rechts an lenkender Umzäunung ein Pfad auf den von zarten 
Weidengebüschen umfangenen Dammweg. Hier breitet sich 
eine Umgebung aus für die stummen Gefühle der Liebe. 
Rauschend ergiesst ihre Wogen die herrliche Donau in das 
mächtig gebildete Bett; einladend winken zur heimischen Labung 
die Häuschen des lieblichen Dörfchens am Rande des Stromes; 
heiter blickt, wie ein seliger Greis, der Kahlenberg herab auf 
die lebendige Flur und das Menschengeschlecht, das, durch 
Liebe beglückt und erhalten, an seinem Fusse so oft schon sich 
wechselnd erneute. Bergen kann sich auch hier verhaltene Liebe 
nicht länger. □ 
Der strahlende Zeuge seligen Bundes ist still indes und unbe 
merkt geschieden. Die Sonne ist untergegangen und dunkel 
breitet sich immer umfassender der Mantel der Nacht aus. Die 
glücklichen Paare kehren zurück zu den vorigen rauschenden 
Freuden. □ 
Dort ist indes ein neuer Tag entstanden. Unzählige Lampen- 
steme suchen vereinigt den Glanz der entschwundenen Königin 
des Lichtes zu ersetzen und ihre verlorene Gegenwart minder 
schmerzlich zu machen. Ganz für die bleibende Herrlichkeit 
der heutigen Feier geeignet ist ihr dämmernder Schimmer. Denn 
mit Absicht ist die helle Sonne gewichen; ihre strahlende Be 
leuchtung wäre zu gross für die Vollendung des Festes. Denn 
manche Schöne verlor durch die Freuden des Tanzes, der Liebe 
und des Mahles die Frische des ersten zarten Farbenschmuckes 
und bedarf zur längern, gleich lieblichen Dauer einer matteren 
Beleuchtung. Im milden Schein der olympischen und irdischen 
Sterne, unter Lunas mit Helios wechselnder Herrschaft erscheint 
jedoch die vorige Anmut herrlicher noch. □ 
Besorgt für die Glückseligkeit der geliebten Sterblichen und um 
ihnen heimlich die heutigen Freuden neu wiederholt noch 
morgen zu spenden, giesst lächelnd Morpheus des Mohns stets 
körnerreiches Haupt herab auf die duftenden Fluren. Der holde 
Schlaf neigt sich mit sanftem Kuss auf alle Augenlider. Ge 
endet ist das Fest der Sonntagsweihe. □ 
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