Großväter arbeiteten, daß fie ficb der Namen diefer Kunden,
ihres Husfehens, der Ereigniffe, die ihr Leben erfchüttert oder
beglückt haben, erinnern. Was wiffen die heute von ihrer
Kundfchaft, die die Maffe ift, von der Maffe, die ihre Kundfchaft
ift; der hiefigen Maffe, der der Nachbarländer, der der fünf
Erdteile; der Maffe, die ficb verliert, fobald man fie gewonnen
bat; die wieder unbekannt wird, fobald man fie kennt; der
Maffe, deren Zahlungsfähigkeit unlieber ift, die aber doch von
allen derart begehrt wird, daß die Nationen ficb um ihretwillen
mit Zolltarifen und auch mit Kanonen bekriegen? Der Induftrielle
empfindet diefe Erinnerungen eher mit Bitterkeit als mit Rührung.
Der Glaube ift noch zu feft in ihm eingewurzelt, daß das einzige
Heil die Billigkeit ift, und daß er nur abfebeuliebe, fchlecbt aus=
geführte Sachen, deren er ficb felbft febämt, exportieren kann.
Ja, ich möchte feftftellen, daß die Induftrie keinen Augenblick
daran denkt, ficb felbft wegen diefes traurigen Standes der
Dinge anzuklagen, und daß derjenige unter uns, der verfueben
würde, fie zur Vernunft zu bringen und fie davon zu über=
zeugen, daß das Heil auf einer ganz andern Seite als bei der
Billigkeit und dem Export liegt, Fiusfkbt hätte, von ihr als
Träumer behandelt zu werden. □
Unter den Künftlern aber gibt es Träumer diefes Schlages.
Sie haben die Hoffnung auf die Rückkehr der Schönheit noch
nicht aufgegeben, fie träumen von ihr, aber fie träumen wirklich
nur, wenn fie an fie denken. Sonft find fie wach, aufmerkfam
und gründlich; die Realitäten begeiftern fie, weil jede von ihnen
ihre Hoffnungen bebt oder fenkt, gleichwie die Welle es mit
dem Afte macht, den der Sturm ins Meer geworfen bat. □
Der Gedanke der Einführung eines neuen Stils ift befreiend.
Er wird uns von dem Druck der unaufhörlichen, raftlofen Auf»
einanderfolge der Moden befreien, durch die das Publikum das
Gefühl für guten Gefcbmack und für Schönheit verloren bat.
Sie haben den Induftriellen erhebliche Modellkoften und oft
großes Rifiko verurfacht. Hätten die Modelle, um deren Aus»
nutjung es fich für die Induftriellen handelte, den Stempel eines
anerkannten Stils getragen, fo wäre es möglich gewefen, den
Koftenaufwand zu vermeiden, oder aber man hätte ihn der
Qualität des Materials und der Ausführung der Gegenftände
zugute kommen laffen können. In der induftriellen Welt haben
diefe Koften und diefes Rifiko eine Atmofphäre der Unruhe
und Unficherbeit bervorgerufen und tiefe Verftimmung zwifeben
den Gliedern ein und derfelben Korporation. Die Induftriellen,
die über genügende Geldmittel verfügen und die fähige Künftler
befebäftigen oder ficb an bekannte Künftler wenden können,
zittern bei dem Gedanken, daß ihre Modelle kopiert werden
könnten, bevor fie fie als Neuigkeiten auf den Markt gebracht
haben, — oder aber, daß man fie nadbabme, noch ehe die Modell»
koften durch den Verkauf gedeckt find. Sie blicken verdrießlich
auf die kleinen Induftriellen, die auf der Jagd find nach allem,
was ihnen vor Augen kommt, und die Kataloge ihrer mäcbtigften
Konkurrenten erbarmungslos plündern. □
Auf fcbamlofe Art befteblen die Induftriellen einander, und
die Künftler, die im guten Glauben find, ihre Arbeit einem
Einzigen gewidmet zu haben, fehen fie, gegen ihren Willen, von
Allen ausgenutjt. □
Ihre Schöpfungen, augenblicklich von andern in Befcblag ge»
nommen, werden auf die denkbar niederträcbtigfte Weife ver»
dorben, - und die unmittelbare Folge davon ift, daß der Original»
entwurf durch die Unmenge wertlofer Nachahmungen erftickt wird,
bevor er feinen beilfamen Einfluß auf den Gefcbmack des Pu»
blikums ausüben und der Sache dienen konnte, die wohlmeinende
Künftler und Induftrielle fördern wollten. □
(Der neue Stil. Näheres über Buch und Autor im näcbften Heft.)
NEUE RUSSISCHE ARCHITEKTUR
(MIT BILDERN AUF SEITE 5-11)
E s ift neulich febon gefagt worden, daß die ruffifche Abteilung
der Clou in der heurigen Arcbitektur»Kongreß»Ausftellung,
Wien 1908, war. Diefes Heft bringt einige Illuftrationen
von den Werken der modernen Architektengruppe, die fich in
Petersburg in dem »Jahrbuch des ruffifchen Kunft» und Arcbi»
tekten=Vereins«, deffen Redaktions»Komitee in der kaiferlichen
Akademie der Künfte in St. Petersburg fungiert, einen propa»
gandiftifchen Mittelpunkt gefebaffen bat. □
Diefe neue ruffifche Architektur fteckt voll Archaismen, voll
Erinnerungen an die byzantinifcb»romanifche Heiligenkunft, voll
von nationalen volkstümlichen Überlieferungen, voll Mittelalter.
Modern an diefer Erfcbeinung ift die freie, unakademifebe, groß»
zügige Auffaffung, ein Subjektivismus, der das Überlieferte zu
neuen Erlebniffen geftaltet. Die ältere Generation bat diefelben
Mittel, diefelben Vorbilder, diefelben nationalen Grundlagen in
ftarrer, akademifcb doktrinärer Form verarbeitet; fie wirken neben
den Werken der Neuen kleinlich, ängftlicb, febematifeh und ganz
unerfreulich. Aber die moderne dekorative Behandlung in Zeich»
nung und technifcher Durchführung hat den Dingen einen neuen
Reiz gegeben und eine Selbftändigkeit, die fie felbft neben den
echten alten Originalen erträglich erfcheinen läßt. In Rußland
ift diefe Verjüngung des »nationalen Stils« künftlerifcb berechtigt,
namentlich in der kirchlichen Architektur, weil das Volk religiös
noch ganz im mittelalterlichen Bann fteckt. Es ift daher nicht
erlaubt, in bezug auf Deutfcbland eine Parallele zu ziehen. Hier
liegen die Probleme ganz anders.. .. Auch in Rußland fchwelgen
die zivilifierten Lebensfchicbten ebenfo wie in Wefteuropa in der
Wiederholung von Empire und Biedermeier, und zunäcbft ift
keine Hoffnung, daß diefer Verirrung ein Ziel gefetjt werde.. ..
L.
EIN KUNSTGEWERBLICHES MEISTERSTÜCK
(MIT BILD AUF SEITE 12)
S o verdient der Salonfchrank aus Leder mit Handftempel-
vergoldung, in der Wiener Kunftfchau ausgeftellt, genannt
zu werden. Verdient es vor allem in technifcher hand
werklicher Beziehung. Es wurde ausgefübrt von der Wiener
Werkftätte. Das Befondere daran ift die vorzügliche Arbeit,
namentlich aber die Handvergoldung, die eine Prachtleiftung
des Buchbinders und Handvergolders WILLNER ift, die befte
handwerkliche Kraft auf diefem Gebiete, die mir je untergekommen
ift. Der Entwurf, wie überhaupt der Marmorraum, darin der
Schrank ftebt, ftammt von dem jungen Wiener Architekten OTTO
PRUTSCHER. Die Ornamentation ift reich, eine ftarke, aber
immerhin gefcbmackvolle und arebitektonifeb difziplinierte Häu
fung geometrifcher Mufter von jener Art, die in der Wiener Werk
ftätte gepflegt wird. □
Das Glasfenfter ift von R. GEYLING entworfen und in tecb»
nifcb ftiliftifcher Hinficht febr bemerkenswert. Ein Glasmofaik,
durchfichtig und farbig, dekorativ und ftiliftifcb außerordentlich
gut gezeichnet. Die effektvolle Farbigkeit, die in diefem Raum
ebenfo wie die grauglänzenden Marmorwände die zarte Wirkung
des Lederfcbränkchens beeinträchtigen, gebt in der Reproduktion
ganz verloren. Meinen Glückwunfch jenem, der diefes Wunder»
fcbränkchen, diefes technifche Kunftwerk erften Ranges, befitjen
wird. LUX
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