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Internationale Sammler-Zeifung.
Rümmer 14.
Gpoche eingeschlossen sein, ein Helm oder eine Klinge
oermag uns oom Heroismus einer Ration Bericht zu geben.
Aus den Uranfängen des Kulturlebens ist uns nichts anderes
erhalten geblieben, als Bruchstücke oon primitioen und in
ihrer form roh gehaltenen Dingen, der Torso eines Kruges,
Steinhammers, oder einer Tafel mit rätselhafter Schrift,
und sie reichen hin, uns die fernste Vergangenheit der
ITlenschheit zu lehren.
Zu den feinsten und raffiniertesten Genießern gehört
der Giebhaber des Antiquarischen und das Sammeln im
hohem Sinne ist eine der großen Ceidenschaften, die
schöpferischen Fähigkeiten entspringen. Welches Glück
fassen in sich die stillen Stunden, da der Sammler, sich
ganz und seiner Reigung überlassen, die roie in einem
Abenteuer erroarbenen und dem ITlitbemerber abgerungenen
Schäle Dar sich ausbreitet und in ihre Schönheit, ihre
form oder in ihre oerlorene Bedeutung sich oersenkt.
Zu all dem gehört Grziehung, gehört eine oorhandene
allgemeine Kultur. Streben Sie mit Ihrem Organ darnach,
daß diese noch so seltene ideale (Erscheinung des Sammlers
sich oermehre. Gs gibt auf dem Gebiete dieser Ciebhaberei
noch zu oiel Dilettantismus, zu oiel Proßentum und zu
roenig Berufene.
Dr. Ifloriß Hecker (Wien).
Gerne folge ich Ihrer freundlichen Ginladung, mich
über die Sammelliebhaberei zu äußern, da Sie damit ein
mir sehr sympathisches Thema berühren.
Der moderne Großsfadtmensch, der nicht begütert ist»
gerät in mancher Beziehung in einen Zustand, der ihn coeit
hinter die Zeiten der Zioilisation zurückstellt. Diese beginnt
bekanntlich damit, dafj sich mit der Pietät für die Ahnen
der Sinn für Geschichte zu regen beginnt. Der ITomade
hat diesen Sinn noch nicht. ITlit dem Wechsel des Stand
ortes oerlischt auch die Grinnerung an die Gltern und ihr
Schaffen. Grst der ansäfjige Ackerbauer hegt diese Gr
innerung in Ciebe, pflegt ein familiengefühl, schafft eine
Stammestradition, ein Rationalberoußfsein, und damit erst
bereitet er die echte Humanität oor. Wir armen Groß-
städter, die in ITlietroohnungen geboren roerden, leben und
sterben, haben die flüchtigkeit des Standortes mit den
Homaden gemein, uns fällt es sogar schaler, eine familien-
tradition festzuhalten und auszubilden, denn die hängt
auch an all den tausend Kleinigkeiten des täglichen Gebens,
am Hausrat, den unsere Gltern und Voreltern schon besessen
haben, und den zu bewahren uns modernen Romaden
einfach die coirtschaftliche Kläglichkeit fehlt. Wie glücklich
fühlen roir uns, in eine Wohnung zu treten, roo noch die
Bilder der Grofjeltern an den Wänden hängen, da ein
Rähtischchen, dort ein Schreibtisch aus alter Zeit steht.
Gine wohlige Wärme umfängt uns. Gs ist, als roenn roir
auf festeren Boden als sonstroo träten. Klan fühlt sich
daheim, indes man in oiel «eicher, aber neu eingerichteten
Wahnungen roohl zur Berounderung, nicht aber zu solcher
Wärme gelangen kann. Aus diesem Gefühl heraus kam
ich beispielsweise dazu, mir aus einem Rachlaß einen alten,
schon recht brüchigen Schreibtisch gar nicht billig zu kaufen,
dessen Herrichtung mich zweimal sooiel gekostet hat, als
ich für ihn zahlte, denn just solch einen Schreibtisch habe
ich bei meinem Grafjoater gesehen. Ich silje jetjt daran
und bilde mir ein, dafj ich darauf besser als anderswo
schreibe — fleißiger hat er mich gewiß gemacht. Das
alte lllöbel zieht mich an ... .
Rlöbel oder Bilder oder auch nur Bücher zu sammeln,
ist einem Großstädter schlechtweg unmöglich, roenn schon
aus keinem anderen Grunde, so aus dem des teuren Hliet-
zinses der Wohnungen. Gine Bibliothek zu erwerben ist
eine Geldfrage, noch mehr aber sie zu erhalten . . . .
Ich kann mich nur schwer oon einem Buche trennen, das
ich gelesen habe, es ist mir roie ein Teil oon mir selbst
geworden, ich liebe es und traure sehr, roenn ich oon Zeit
zu Zeit meine Bücherbretter abräumen muß, um Plaß für
neu hinzugekommene Bücher zu schaffen ....
Von Briefen trenne ich mich fast gar nicht. Jeden
irgendwie, sei es roegen seines Schreibers oder roegen seines
Inhalts roertoollen Brief hebe ich auf und habe mir eigene
Kartons, alphabetisch geordnet, dafür angeschafft. Solche
Sammlung läfjt sich noch immerhin ohne Geldmittel durch
führen. Dieser Eiebe oerdanke ich bei meinem Beruf
manchen edlen Gewinn, Ich hafte das Glück, mit dem
einen oder anderen heroarragenden Dichter in kürzere oder
längere Korrespondenz zu treten. Jedes Postkärfchen oon
einem Theodor fonfane oder ferdinand oon Saar mar
mir selbstoerständlich heilig, und als die Zeit dafür reif
geworden war, oeröffentlichte ich die für die Eiteratur
roertoollen Partien daraus und erlebte dabei manche freudige
Überraschung. Denn erst bei dieser späten Gekfiire der
Briefreihen im Zusammenhang wurde mir ihr Wert ganz
klar. Gs stellte sich beispielsweise bei den Briefen oon
Saar heraus, daß er so inhaltsreiche Briefe an keinen
anderen seiner Korrespondenten geschrieben hatte. Ich
besafj, ohne es zu wissen, die roertoollste Quelle zur
Kenntnis seiner literarischen Kleinungen, Sein Biograph
hat denn auch nach Kräften diese Quelle oerwertet, die
ich in meiner Sammlerfreude unbewußt geschaffen hatte.
Solche Grfahrungen mögen Andere in der gleichen Pietät
bestärken.
Ginen Sammler ersten Ranges habe ich in Alexander
Posonyi kennen gelernt, der oor mehr als zehn Jahren
gestorben ist und eine Autographensammlung oon außer
ordentlichem Werfe hinterlassen hat. Gr betrieb das
Sammeln schon nicht mehr als Eiebhaberei, sondern als
Beruf und hatte in der Tat eine merkwürdige Begabung
dazu, werioolles ausfindig zu machen. Sein ganzes Sinnen
war eben auf die eine Richtung eingestellt. Gines Tages
geht er an einem Trödlerladen oorbei und sieht in der
Auslage den schmalen, rotledernen Rücken eines dünnen
foliobandes. Das Ornament auf dem edlen Ginband deutet
auf die Gmpirezeit und zieht ihn an. Gr tritt in den Gaden,
kauft die alte Scharteke, die für den Trödler gerade nur
den Pappendeckelroert hat, um einen Gulden, und was
enthält sie? Das Rechnungsbuch des Gsterhazy'schen
Hausorchesters, das Haydn dirigierte.
Posonyi besaß in seinen Autographen fast ohne
Tücken oertreten die ganze deutsche Citeraturgeschichte oon
Klopstock bis Heine. Oft saß ich bei ihm und hielt
die Originalhandschrift oon Goethes „Ergo bibamus!"
oder die Handschrift Schopenhauers andächtig in der
Hand. Posonyi prahlte mit Skizzenblätfern oon Beet
hooen, mit Blättern oon Rio zart und Schubert, mit
den handschriftlichen Korrekturen Richard Wagners zum
ersten Bürstenabzug seines „Cohengrin“; Stöße oon Gönners
Walzern in dessen eigener Handschrift lagen aufeinander usro.
Posanyis Sammlung war ein IRuseum, füllte mehrere
große Räume und war auch demgemäß sehr säuberlich
in Schränken geordnet. Gin großes Vermögen stak darin,
unfruchtbar oergraben, denn er trieb keinen Handel mit
seinen Schaßen. Ursprünglich Kunsthändler, wurde er im
Tauf der Zeit Giebhaber und zwar oon einer solchen Geiden-
schaft, daß er buchstäblich Tränen oergießen konnte, roenn
man ihm zumufete, sich oon einem roertoollen Blatte zu
trennen. Gr machte weife Reisen, um neue Stücke zu
erwerben. Bei Versteigerungen trieb er mitunter gegen
sein eigenes Interesse die Preise in die Höhe, weil er den
Wert des Objektes höher als der Ausrufer und die JTlit-
lizitierenden einschäßte. Und war steinunglücklich, wenn
er ein gewünschtes Autograph dennoch nicht erwerben
konnte. Der Sammeleifer war in ihm schon zur Krankheit