Zentralblatt für Sammler, Ciebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: ITorbert Ehrlich und 3. Hans Prosl.
2. Jahrgang.
Wien, 1. Oktober 1910.
Hummer 19.
Aus meiner ßüchersammlung.
Vom Professor Dr. Ittoritj Gr ölig (Wien).
8 5in Wiener Antiquar, dem die geschäftliche Erfahrung I
eines ITlenschenalters zur Seite steht, sagte vor
einiger Zeit zu mir: „3a, gute Bibliotheken sind
selten.“ Er meinte natürlich Priuatbibliotheken.
_ Diese Tatsache roird den fachkundigen nicht
überraschen. Es märe denn, da^ man sich auf
den Standpunkt jenes Großindustriellen stellte,
der eines Tages in einen Buchladen trat und
den Buchhändler so anredete: „Wissens, ich hob
dos Gut I . . . gekauft, über aner Zimmertür
im dortigen Schloß steht: „Bibliothek“: ober es
is nix drin, ols a poor leere Kästen. Segns — und er
zog eine Spagatschnur, in der drei Knoten mären, aus
der Tasche und hielt sie dem Buchhändler unter die Rase
— segns, so hoch, so breit und so tief sein die Kästen;
also stell ns mir holt mos nein.“ — Der Buchhändler tat,
mie verlangt und die „Schloßbibliothek“ mar fertig. Aus
dem Vorhandensein solcher „Bibliophilen“ erklären sich
dann auch so seltsame Büchergesuche, mie etma folgende:
„Rite Bücher in Schweinsleder oder in Pergament, nur mit
Schließen, Inhalt gleichgiltig.“ Oder: „Rusrangierte Bücher,
alt oder neu, kaufepro Doppelzentner mit 7 mark.“ Oder: „für
einen Sammler suchen mir ältere Werke in allen Sprachen;
Hauptsache ehrmürdiges Äußere und oiele Illustrationen.“
Oder: „Gesucht 50 bis 100 alte Papp- oder Halbleder
bände, Inhalt gleichgiltig, möglichst gleiche Größe, billig, zur
Ausfüllung non Regalen.“ — Dürfte man es einem Bücher
kenner verübeln, menn er angesichts solcher Sammler aus
riefe: „Herr, ich danke dir, daß ich nicht so bin, mie diese!“
Um eine Büchersammlung von irgend einem erheb
lichen Werte zustande zu bringen, ist eine langjährige
Geduld, viele und unausgeseßte Arbeit, erhebliche Citeratur-
kenntnis und — Glück erforderlich; Glück im finden und
Erhaschen. Seif zehn Jahren fahnde ich nach einem Plantin-
Druck, und obwohl ich jährlich bei 2000 europäische und
außereuropäische Anfiquariatskataloge durcharbeite, konnte
ich ihn noch nirgends entdecken. Und ein angesehener Pariser
Antiquar, den ich vor einem Jahre zu Hilfe rief, schrieb mir
nach Verlauf von einigen Illonaten: „ Impossi bleä rencontrer.“ i
Und selbst menn man einen so seltenen fisch roo schroimmen
sieht und sich beeilt, die Angel nach ihm auszuroerfen, erhält
man sehr häufig, besonders aus dem Auslande statt des
erroarteten Kleinods die kurze trockene Antroort: „Yendn“.
Am meisten Glück hat man noch bei der Jagd auf
solche Bücher, die meit abseits von der breiten Heerstraße
liegen, auf der der Schmarrn moderner Bibliophilen einher
zieht. Wer von diesen kennt z. B. heute den lTamen
de Potter? 1 Als „das erotische Element in der Karikatur“
von Eduard fuchs, das in Deutschland längere Zeit ver
boten mar, anfangs April 1906 wieder frei gegeben wurde,
stürzten sich in der Zeit vom 12. April 1906 bis 21. Juni
1907 nicht weniger als 98 Sucher auf das heiß begehrte
Buch los, obzwar die Antiquare, die es besaßen, 75, 80,
90, 100 bis 120 AJark dafür verlangten. Von de Potters Werken
wurde in den leßten zehn Jahren nur eins; Die „Histoire
du christianisme“ von je einem Buchhändler in Pondon,
in Teipzig und in Turin gesucht. Und noch bemerkens
werter ist, daß in Paris, diesem Weltmarkt für Bücher von
de Potters Schriften seit zehn Jahren außer der „Via de
Ricci“ und der „Histoire du christianisme“ sonst kein
Buch de Potters zum Vorschein gekommen ist. Ich verfolge
die in Paris auf den IlTarkt kommende Citerafur an der
Hand der Kataloge von 87 Pariser Antiquaren. Die Samm
lung de Pofterscher Werke, die ich besiße, stammt aus
Tomen, Genf, Aiort, Bologna, Rom und Tleapel. Flur die
deutsche Llberseßung der „Vie de Ricci“ fand ich in Wien.
Das Exemplar mar einst im Besiße des ehemaligen Biirger-
1 fluch die landläufigen Schriftsteller-Bexica, mie z. B. das
oon Bornmüller, kennen seinen Hamen nicht. Budroig Jos. flnton
de Potter, geb. 26. April 1786 zu Brügge, mährend der belgischen
Reuolution 1850 ITUtglied der prouisorischen Regierung bis 13. llo-
uember 1830, gesf. 22. Juli 1850 zu Brügge und begraben am 25.
Juli zu Brüssel, schrieb: L’esprit de 1 ; eglise ou consideialions
philosophiques et politiques sur 1’ histoire des conciles et des papes
depuis Charlemagne jusquo ä nos Jours. 8 Bde. Paris 1821. —
Vie de Scipion Ricci etc. Brüssel 1825. 3 Bde.; 2 flufl. Brüssel
1826. Bass, französischer verstümmelter Hochdruck. Paris 1826.
4 Bde, Deutsche Übersetzung: Das Beben und die ITlemoiren des
Scipio o. Ricci. Stuttg. 1826. 4 Bde. Dritte französische Orig.-Aus
gabe, unigearb. in I Bd. Brüssel 1857. Englisch: Memoirs of Scipio
de Rieod edited by Tbom. Roscoe. Bondon 1850. Saint Napoleon
au Paradiset en exil. Paris 1825; 2. flufl. Brüssel 1827. — Lettres
de St. Pie V. sur les affaires religieuses de son temps en France.
Paris 1826; 2. flufl. Brüssel 1827; 3. flufl. unf. d. Titel Systeme
catholique. Brüssel 1862. Considerations sur T histoire des princi-
paux conciles. Bruxelles 1816. 2 Bde. Dass, unrechtmäßiger Pariser
Hochdruck. Paris 1818. 2 Bde. — Histoire philosophique, politique
et critique du christianisme et des eglises chretiennes depuis Jesus
jusque an XIXe siede, Paris IS56 -57. 8 Bde, — Souvenirs perso
nelles. Brüssel 1858. 2. flufl. ebd. 1839. 2 Bde. Ins Holländische
übers. Dordrecht 1839 40 2 Bde. — Dictionnaire rationelle.
Brüssel 1859. — Souvenirs intimes uon 1786—1859, hrggb. uon
seinem Sohne flgathon. Brüssel 1900 Zahlreiche kleinere Schriften
politischen und oolkroirtschaftlichen Inhalts. — Überdas Beben und die
Schriften de Patferss. „Unsere Zeit“. 3. Bd. Bpzg. 5.'fl. Brdckhaus
135 c . S. 637 648. -JusteTheod. Louis de Potter. niembre dugou-
veinement provisoire. D’apres des documents inedits. Bruxelles 1874.