Internationale
gammler-^ßifunf!
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
4. Jahrgang. Wien, 1. Juli 1912. Nr. 13.
Ein interessantes Madonnenbild.
Von Angelo Eisner von Eisenhof (Wien).
Ein angenehmer Zufall vermittelte uns die Bekannt
schaft eines ebenso seltenen wie merkwürdigen
Madonnenbildes, über das wir einige Mitteilungen
machen möchten.
Vorerst ein Wort über
die Besitzerin. Es ist dies
Baronin Sylvia L e m p-
r u c h-B i e n e r t h in Wien,
eine Schwester des Statt
halters in Niederösterreich,
Dr. Richard Freiherrn von
B i e n e r t h. Das Bild wurde
vom verstorbenen Gatten
der Baronin, dem Hofrate
Freiherrn v. Lempruch,
bei einem Tischlermeister in
Steinach am Brenner
entdeckt und auch dort er
worben. Der frühere Be
sitzer gab an, daß das Bild
ein Erbstück sei und »seit
vielen hundert Jahren« m
seiner Familie sich befinde.
Die Behauptung wird aber
durch einen Blick auf die
dargestellten Persönlich
keiten widerlegt, in denen
man unschwer die Kaiserin
Maria Theresia und
ihren erstgeborenen Sohn,
den nachmaligen Kaiser
Josef II., erkennen wird.
Die Porträttreue der Kaiserin
ist kaum zu übertreffen.
Steht nun für uns fest,
daß Maria Theresia der
Madonna ihre edlen Züge geliehen, so fällt die Behaup
tung des Vorbesitzers zusammen, wonach das Werk
sich seit Jahrhunderten in seiner Familie fortgeerbt. Wir
glauben auch nicht, daß das Bild aus Tirol stamme:
vielmehr scheint uns alles dafür zu sprechen, daß wir cs
hier mit dem Werke eines ungarischen Künstlers
zu tun haben, dem die Begeisterung für die junge,
schöne Königin die Hand geführt hat.
Die Entstehung des Madonnenbildes dürfte in die
ersten Regierungsjahrc Maria Theresias fallen, da Josef
noch ein Kind war. Etwa in das Jahr 1744. Nach der
Art der Ausführung dürfte es sich um ein Votiv
bild handeln, da auf dem
Gewände und den Händen
unzählige goldene und
silberne Votivgeschenke und
Schmuckgegenstände, ähn
lich wie man sie auf Hei
ligenbildern in den Kirchen
sieht, abgebildet sind. Der
Umstand, daß die Madonna
am Halse das ungari
sche Kreuz trägt, läßt uns
auch auf den ungarischen
Ursprung schließen. Viel
leicht hat die allbekannte
Frömmigkeit und die einzig
dastehende Familienliebe
der großen Kaiserin den
Maler veranlaßt, Maria
Theresia zum Gegenstände
eines Madonnenbildes zu
machen.
Wer der Maler des Bildes
gewesen sein mag, konnte,
da weder ein äußeres
Zeichen noch eine Signatur
zu finden war, nicht eruiert
werden. Auch der gute
Tischlermeister, der sich
sehr schwer entschloß, das
Erbstück zu verkaufen,
konnte keinerlei Aufschluß
über den Ursprung des
Bildes geben. Das Madonnenbild ist gut erhalten, doch
von ziemlich starkem Firnis, wahrscheinlich mit viel
Schmutz und Rauch gemischt, bedeckt. Wenn es ge
reinigt würde, könnte vielleicht eine Inschrift oder sonst
eine Angabe, die zur Ermittlung des Malers führen
würde, zutage gefördert werden.
Wir geben hier eine photographische Abbildung
dieses höchst interessanten Kunstwerkes wieder (Fig. 1).
Fig. 1.