Internationale
gammleFgeifunß
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
6. Jahrgang. Wien, 15. Jänner 1914. Nr. 2.
Der Sammler auf dem Balkan.
Eindrücke von einer Orientreise.
Von M. Müller (Wien).
(Schluß.’ 1 '')
Saloniki, das jetzt unter griechische Herrschaft
geraten ist, war früher der Hauptsammeipunkt für uie
Antiquitäten und kunstgewerblichen Arbeiten aus
Mazedonien und Albanien. Das dürfte durcli die Ver
schiebung der Grenzen aufgehört haben. Heute gibt es
noch viel Material in dieser Stadt, die bisher auch einen
lebhaften Teppichhandel hatte. In einigen Jahren dürften
Sammler in dieser Stadt nicht mehr auf ihre Kosten
kommen, denn der Epirus, der jetzt als das Hinterland
Salonikis in bezug auf Kunstgegenstände betrachtet
werden muß, kann sich darin mit Mazedonien und
Albanien nicht messen. Doch ist es möglich, daß die
bevorstehenden schweren Wirtschaftskämpfe in Saloniki
und die damit unvermeidlich verbundene Verarmung
ehemals reicher Familien viele Seltenheiten einmal auf
den Markt bringen werden.
Die klassische Vergangenheit Griechenlands
ist in dem privaten Kunstbesitz der Athener und in dem
Angebot künstlerischer Gegenstände in der Hauptstadt
der Hellenen wenig zu spüren. Es sind fast durchaus
Dinge der altslavischen und der byzantinischen Kultur,
die man zu sehen bekommt und erwerben kann. Die
größte Rolle spielen natürlich die Ausgrabungen in ver
schiedenen Teilen des Reiches, die, wenn sie nicht in
öffentliche Sammlungen übergehen, in den wenigen Anti
quitätenläden der Stadt auftauchen. Freilich müssen diese
Torsi von der Phantasie des Käufers vergoldet werden,
um ihnen die klassische Epoche, der sie entstammen,
vorzutäuschen. Es ist selbstverständlich, daß der
Fälschung dabei Tür und Tor geöffnet ist, denn ein jeder
von den zahllosen Fremden, die zur Akropolis hinauf
klettern, möchte aus dem Lande der alten Griechen
gerne ein Andenken mitbringen, und wenn cs nur ein
Stück Marmor von dem Trümmerfelde verfallener
attischer Herrlichkeit w r äre. Es ist ja bekannt, daß die
Verwaltung der Athenienser klassischen Altertümer jedes
Jahr ein paar Fuhren von Marmorstücken auf die Akro
polis hinaufführen läßt, damit der Vorrat der verfügbaren,
4 Siehe Nr. 1 der . »Internationalen Sammler-Zeitung«
vom 1. Jänner 1914.
echten Akropolisbestandteile für die Fremden nicht
ausgehe.
Von Athen führte mich mein Weg in den neuesten
der europäischen Staaten, nach Albanien, das heute
ohne Zweifel das in der Kuitur am meisten zurück
gebliebene Land des Balkans darstellt. Wer das Land
der Skipetaren bereisen will, muß mit sehr erheblichen
Strapazen und ziemlich bedeutenden Kosten rechnen,
denen wohl für den Sammler kaum die Hoffnung aut
eine große Ausbeute gegenübersteht. Einen gewissen
Kunstsinn, der hauptsächlich in dem Silber- und Bronze
schmuck der Waffen zum Ausdruck kommt, zeigen nur
die Bewohner des nördlichen Albanien, und auch dieser
Kunstzweig ist im Aussterben begriffen, seit die freund
lichen Großmächte den Albanesen anstatt der alten Stein
schloß- und Vorderladerflinten die schönsten, funkel
nagelneuen Mannlicher- und Mauser-Repetiergewehre ins
Land gebracht haben, und die alten, schönen Pistolen
durch minder dekorative, aber treffsicherere Brownings
ersetzt wurden. Vorläufig kommen noch diese alten
Waffen, darunter wirklich prachtvolle Exemplare, in
ziemlich großen Mengen aus den Städten des Kossowo
und den Bergen der Malissia und Mirdita auf den Markt
von Skutari, wo man sie für verhältnismäßig geringe
Summen erwerben kann. Denn die Schwierigkeiten in
dem eisenbahnlosen Lande, die weit voneinander
liegenden Städte zu besuchen, sind so groß, daß die
Fremden, welche doch die einzigen Kunden der Händler
mit alten Waffen sind, doch noch recht dünn gesät sind.
Es ist bezeichnend, daß in C e t i n j e, das nur wenige
Stunden von Skutari entfernt ist, die gleichen Waffen
schon mehr als das Doppelte kosten, da doch von Cattaro
her viele Touristen nach Cetinje kommen und dort Ein
käufe machen.
Die Städte Süd- und Mittelalbaniens, wie Valona,
Durazzo, Tirana, E1 b a s s a n etc., kommen für
den europäischen Sammler kaum in Betracht, da die
Chancen, die anstrengende Reise belohnt zu sehen, sehr
geringe sind. In allen diesen Städten gibt es natürlich
Vertreter des typisch albanesischen Kunsthandwerks der
Silberfiligranverarbeitung, ohne daß jedoch eine Indivi-