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Internationale S a m m 1 e r - 2 e i t u n g.
Nr. 9
Die angenehmen Folgen solcher Besserungen
machen sich überall, wo sie stattfinden konnten — und
'dies gilt glücklicherweise auch von Deutschland und
Oesterreich (Berndorf mit seiner wundervollen Garten
stadtanlage sei hier erwähnt) — angenehm bemerkbar.
Luft, Sonnenschein und freiere Behaglichkeit kehren
wieder in Häuser und Wohnstätten zurück und damit
auch Empfänglichkeit und feineres Gefühl für die Formen
des täglichen Lebens, das Bedürfnis nach wohlgebauten
und wohlgebildeten Dingen in der gewöhnlichen Um
gebung. Dieses Bedürfnis ist mit eine wichtige Vorbe
dingung für eine gedeihliche Entwicklung des Kunstge
werbes.
Fehlte diese Vorbedingung auch im erheblichen Maße
in dem England der Periode vor Morris, so kann dies
naturgemäß doch nicht als der einzige Grund für den
damaligen Tiefstand der dekorativen Kunst angesehen
werden, denn dieser Mangel bezog sich ja doch nur auf
sehr viele, aber nicht auf alle Menschen, und es ist ja
zweifellos, daß die Freude am Schönen und der Kunst
nicht überhaupt verloren gegangen war. Der allgemeine
Kunstgeschmack war aber der Fürsorge einer verhältnis
mäßig kleinen Gemeinde anvertraut, er wurzelte dem
nach in viel geringerem Maße in den Bedürfnissen und
Bedingungen des wirklichen Lebens und war so den mehr
oder minder zufälligen Strömungen im Kulturleben weit
mehr unterworfen als heute, wo jeder wirklichkeits
fremde Seitensprung in der dekorativen Kunst sofort von
einer großen Menge Bedürfender als solcher gefühlt und
korrigiert wird. Eine solche, den Geschmack stark be
einflussende Strömung war der zu Beginn des 19. Jahr
hundert auftretende Klassizismus.
Zwischen 1801 und 1803 wurden die antiken Skulp
turen des Parthenon, die Lord Eigin von der türkischen
Regierung erworben hatte, von der britischen Regierung
angekauft und im Britischen Museum aufgestellt, wo sie
noch heute die größte Bewunderung erregen. Der Ein
fluß, den diese griechische Kunst auf den englischen Ge
schmack jener Zeit nahm, war unbestreitbar von un
schätzbarem Werte; aber gedankenlose Mode übertrieb
diese Einwirkung bis zum Ueberdruß. Griechische Linien
wurden allen Dingen aufgezwungen, die Ausführung im
klassischen Stil war strenges Gebot, sowohl bei der
inneren und äußeren Architektur des Hauses als auch bei
den Formen der Möbel, den Mustern der Tapeten.
Fast gleichzeitig mit dieser pseudo-klassischen Rich
tung machte sich in der dekorativen Kunst eine Wieder
erweckung der Gotik geltend, die aber auch zu keinen
befriedigenden Ergebnissen führen konnte, denn diese
neuere Gotik war nicht wie die ursprüngliche aus ihrer
Zeit entstanden und sie konnte nicht daraus entstehen,
weil die wesentlichen Bedingungen hier ganz andere
waren als dort. Die gotische Architektur dem neueren
England anzupassen, gelang nur einem Architekten,
Pugin. Aber auch er konnte wegen des überall herrschen
den Mangels an guten Arbeitern nur wenig zur Aus
führung bringen.
Dieses Fehlen an geschulten Arbeitskräften muß
auch als ein wichtiges Moment in dem damaligen
Niedergang des Kunstgewerbes angesprochen werden.
Die Maschinenarbeit hatte den tüchtigen Handwerker,
der sein Werk mit Muße und liebevoller Sorgfalt aus
seinen zwei Händen entstehen sah und auf dieses Werk
stolz war, ausgerottet. Kunstschulen, die diesen Namen
verdient hätten, gab es keine und von Versuchen, die
Kunst mit der Industrie zu vereinigen, >wie sie heute
einen hervorragenden Zug unserer Zeit bilden, war noch
keine Rede. So herrschte durchwegs Mangel an Kunst
handwerkern, die einen Entwurf in befriedigender Weise
ausführen konnten, freilich aber auch an zeichnenden
Künstlern, deren Entwürfe bei der praktischen Aus
führung noch brauchbar und sinnvoll blieben. Später be
gann man dann allerdings an die so notwendige Ver
bindung von Kunst und Handwerk zu denken; auch die
Regierung schenkte allmählich diesem Gebiete ihre Auf
merksamkeit und eröffnete im Jahre 1837 die erste
Kunstschule. Aber in dieser und anderen Schulen be
schäftigte man sich lange Zeit nur mit der Theorie und
lehrte nur diese, während man der Praxis, dem Zeichnen
der Entwürfe und der Beziehung zur ausführenden
Industrie wenig oder gar keine Beachtung schenkte. Kein
Entwurf aber kann industriellen Zwecken dienstbar ge
macht werden, wenn der Zeichner nicht auch die Natur
des Materiales, in dem der Entwurf ausgeführt werden
soll, genügend kennt. Insbesondere auf dem Gebiete der
textilen Kunst machte sich das sehr fühlbar. Waren im
18. Jahrhundert die englischen Entwürfe für die Weberei
berühmt gewesen, so konnte zu Beginn des folgenden
Jahrhunderts der französische Einfluß die Oberhand ge
winnen und lange Zeit bewahren. Die englischen Erzeug
nisse in Seide und anderen textilen Erzeugnissen waren
einfach Kopien der französischen Originale, und die
Fabrikanten selbst erklärten diese Tatsache mit der Be
hauptung, »daß die Engländer überhaupt keinen Ge
schmack hätten«.
Auch die chinesischen und japanischen Einflüsse, die
sich bereits hie und da in der dekorativen Kunst geltend
machten, erhöhten nur den Eindruck des Chaotischen,
Unorganischen und Unwahren, den das Gesamtbild des
Kunstgewerbes damals bot, um das Element des
Bizarren. Im ganzen und großen bezeichnen die spätere
georgianische und die ersten viktorianischen Perioden di?
dunklen Stellen in der Geschichte der dekorativen Kunst
Englands.
Die Veranlassung, die William Morris zur Beschäfti
gung mit dem Kunstgewerbe brachte, ist im hohen Maße
charakteristisch für seine Energie, seine Schaffenslust,
die Originalität seiner Ideen und vor allem für sein hoch-
entwickeltes Kunstbedürfnis. Nach Beendigung seines
Studiums zu Oxford war er, der schöngeistigen und
künstlerischen Richtung folgend, die ihm ein Freundes
kreis an der Universität gewiesen hatte, zu dem vor allem
der ihm damals schon und später noch viel mehr nahe
stehende Bur ne-Jones gehörte, bei dem berühmten
Architekten W. Street in die Lehre getreten. Als
dieser nun sein Atelier nach London verlegte, folgte ihm
Morris dorthin, wo er abermals mit Burne-Jones zu
sammentraf, der seine Universitätsstudien fallen gelassen
hatte, um sich dem Künstlerberufe zu widmen.
Durch seine Vermittlung wurde Morris mit Dante
Gabriel R o s e 11 i bekannt. Dieser, ein Mensch von weit
wirkender Persönlichkeit, hatte einige bereits veröffent
lichte Dichtungen von Morris gelesen und sagte zu ihm:
»Wenn Sie dichten können, so können Sie auch malen.«
Diese Erklärung aus dem Munde eines so bedeutenden
Menschen, dem sich Morris in mancher Hinsicht ähnlich
fühlte — war doch auch Rosetti Maler und Poet zu
gleich — machte einen so starken Eindruck auf ihn, daß
er bewogen wurde, die Architektur um der Malerei
willen aufzugeben.
Morris und Burne-Jones schlossen sich nun noch
mehr aneinander an und faßten den Plan, gemeinsam zu
wohnen. Dieser Entschluß sollte bedeutsame Folgen
haben, denn da ihre Zimmer nicht möbliert waren und
sic den Gedanken nicht ertragen konnten, sich mit häß
lichen, unkünstlerischen, ihrer Art und ihrem Wesen nicht
angepaßten Möbeln und Hausgeräten zu umgeben — was
nur irgendwie auf künstlerische Schönheit Anspruch
machen konnte, war damals in England nicht zu finden
so entschieden sie sich dafür, die Möbel für ihre