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Seite 138 
Internationale Sammler- Zeitung 
Nr. 10/11 
Runze*) und mir waren die Opuszahlen der Loewe- 
schen Tondichtungen allmählich so in Fleisch und 
Blut übergegangen, daß wir mittels ihrer eine ganz 
eigentümliche, nur uns allein verständliche Zahlen- 
Mnemotechnik ausgebildet hatten. Wir trafen uns um 
„Spreenorne und später Gast“ in derWürttembergischen 
Straße, dem „Mosröslein und Paradies in der Wüste.“ 
Ich klingelte Amt „Goldschmieds Töchtcrlein“ Nr. 
„Braut von Korinth-Scholastika“ an. Unser eigenes 
Lachen darüber wurde auf gut lateinisch „cachinnus“ 
(das „heftige Gelächter“ der Lexika) genannt. Auch 
andere Bezeichnungen ließen an Kürze und Prägnanz 
nichts zu wünschen übrig. So gab es z. B. einen „rin 
baren Gregor“. In einzelnen Exemplaren des Erst 
druckes der großartigen Legende „Gregor auf dem 
Stein“ nämlich ist auf der letzten Seite infolge eines 
kleinen Fehlers der Kupferplatte in der Strophe: 
„Und in dem Beichtstuhl sitzt Gregor 
Und neigt zur Pilgerin sein Ohr“ 
die Silbe „rin“ verwischt; das Exemplar also des „rin" 
bar. Die von den meisten Auguren uns zugewiesene 
Diagnose „Paranoia“ nahmen wir auf uns. Richtiges 
Verständnis fanden wir eigentlich nur bei unserem 
lieben Freunde Hanns Fechner, der uns für das 
Loewe-Hohenzollern-Album ein herrliches Bild zum 
„Fridericus rex“ entwarf. „Nur nicht widersprechen“, 
war seine ständige Entgegnung. Mögen diese Zeilen 
ihm eine frohe Erinnerung an schöne vergangene 
Zeiten erwecken! 
Nirgend erlebt man so viel freudige und inter 
essante Überraschungen als in der Bibliophilie. Be 
sonders schwer w T aren 2 Loewe-Werke zu finden: Die 
„Switezianka,' (das „Switesmädchen“), eine ge- 
*) Der in dem Artikel genannte Runze ist der be 
kannte Pfarrer und Schriftsteller Dr. Paul Wilhelm Runze, 
den die gleiche Liebhaberei mit dem Verfasser zusammen 
führte. 
waltigc Ballade des Polen Adam Mickiewicz, und das 
„Ottobüchlein“. Von ersterer wußte man nur aus 
Loewes handschriftlichem, nicht zu Ende geführtem 
Verzeichnis seiner gedruckten Kompositionen, das als 
„Op. 51“ diesen Titel und als Verleger „Stefanski in 
Posen“ bezeichnete. Ein längst untergegangener und 
in damaliger Zeit für Loewe ganz ungewöhnlicher Ver 
lag. Im Laufe der Jahre fand ich nicht weniger als 
6 solcher Switeziankas, mit dem köstlichen, grau- 
grünlichen, illustrierten Umschläge, einer wirklichen 
Inkunabel der Lithographie. Nun ist das mächtige 
Werk durch Neudruck in der Gesamtausgabe für immer 
gerettet. Lange suchte ich nach dem 1824 zur Sieben 
hundertjahrfeier des Pommern-Apostels in Stettin 
gedruckten „Ottobüchlein“, das als Musikbeilage ein 
kleines frommes Chorstück des Meisters enthält. End 
lich entdecke ich es in einem Antiquariatskataloge. 
Daß ich’s bekommen würde, erschien mir unzweifel 
haft; wer in aller Welt sollte sonst noch daran Interesse 
haben ? Noch heute, glaube ich, wissen Runze und ich 
allein von diesem Loewe-Chor im „Ottobüchlein“. 
Das Buch war verkauft, ich dem ^Selbstmord nahe. 
Vor Begehung der entsetzlichen Tat aber frage ich bei 
dem Buchhändler nach der Adresse des Bestellers. 
Ich erfahre den Namen eines hohen Staatsbeamten, 
schreibe, da der Neid allmählich der Neugier gewichen 
ist, an ihn und erhalte die liebenswürdigste Antwort: 
das Buch hat für ihn deshalb Wert, weil er seinen 
Stammbaum auf dem in „Ottobüchlein" ausführlich 
behandelten alten Pommernherzog Domislav zurück 
führt. Wie Dantes Höllenbewohner mußte ich also 
jede Hoffnung auf das Büchlein fahren lassen. Wenige 
Tage darauf finde ich es auf einem Wagen bei einem 
„fliegenden Holländer“. Die Duplizität der Ereignisse 
ist eine der häufigsten Erscheinungen beim Büchcr- 
sammeln. Wäre sie nicht, dann könnte man sich gleich 
begraben lassen. 
Der königliche Friedhof an der Chephren-Pyramide. 
Das April-Bulletin des Museum of Fine Arts in Boston 
bringt hochinteressante Berichte über zu Beginn des vorigen 
Jahres durchgeführte Ausgrabungen an der Stätte, wo jetzt 
die Horden der Engländer ihr Lager haben; um die Pyramiden 
von Gizeh lärmen ja die englischen Hilfstruppen, Tnder, 
Australier und Kanadier, die von europäischer Höflichkeit und 
Kultur nichts wissen. Man muß bange Sorge um die bei den 
Pyramiden von Gizeh noch nicht abgeschlossenen Ausgrabungen 
haben, nachdem Ausschreitungen dieser Truppen, die England 
zu „Kulturzwecken“ versammelt hat, schon mehrfach kon 
statiert sind. 
Die Expedition der Harvard-Universität und des Bostoner 
Museums hat schon einige Jahre nächst der Pyramide des 
Chephren gearbeitet. Es waren namentlich Funde in neuauf- 
gedeckten massiven Grabbauten der Familie eines Großen, 
namens Senezem. In der jetzigen Ausgrabungsperiode waren 
die Amerikaner von der Ansicht ausgegangen, daß sie nur noch 
wenige abschließende Arbeiten an der Pyramide des Chephren 
zu machen hätten, aber es war ein Irrtum. Das April-Bulletin 
kann folgende Resultate dieser Ausgrabungstätigkeit kund 
geben: 1. Der größte Teil der Reihen von massiv gebauten 
Mastabas des südlichen Friedhofes an der Chephren-Pyramide 
wurde ausgeräumt. 2. Die königlichen Mastabas dieses südlichen 
Friedhofes sind in die Zeit des Chephren selbst zu. datieren, 
während die westlichen Mastabas der Cheops-, die östlichen 
der Mykerinus-Periode angehören (drei Pharaos der vierten 
Dynastie 2930 bis 2750 v. Chr.) 3. Die auch in der Gegenwart 
zu neuer Wichtigkeit geratenen Beziehungen zwischen Ägypten 
und Syrien werden für die Zeit der vierten Dynastie durch 
wichtige Fakten erläutert. 4. Lebensgroße Porträts in 
Kalkstein von acht Mitgliedern der königlichen Familie des 
Chephren wurden gefunden, solche Extraköpfe magischer Art, 
die dem Toten mit in das Grab gegeben wurden, damit ein 
Ersatz da ist, wenn der wirkliche Kopf in den Gefahren der 
anderen Welt verloren geht. Unter diesen Porträtköpien ist 
der einer Prinzessin, die einen ausgesprochenenNegroiden- 
typus hat. Möglicherweise war aber die Fürstin nicht reiner 
Negerabstammung, sondern eher die Tochter eines Ägypters 
und einer Negersklavin. Man kann diesen Kopf als das älteste 
bekannte Porträt eines Negers, beziehungsweise einer Negerin 
ansehen. Außerdem sind zwei männliche Köpfe sicher un- 
ägyptiscb und können in das westliche Asien verwiesen werden; 
wahrscheinlich sind diese Prinzen Söhne asiatischer Weiber 
aus dem pharaonischen Harem, in den Frauen aus Asien als 
Gefangene, als Tribut oder als Gemahlinnen der Könige 
Ägyptens gelangten. 
Wir wissen aus den Inschriften in den Malachitstein 
brüchen der Sinaihalbinsel, daß die ägyptischen Könige schon
	        
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