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Internationale Sammler- Zeitung
Nr. 10/11
Runze*) und mir waren die Opuszahlen der Loewe-
schen Tondichtungen allmählich so in Fleisch und
Blut übergegangen, daß wir mittels ihrer eine ganz
eigentümliche, nur uns allein verständliche Zahlen-
Mnemotechnik ausgebildet hatten. Wir trafen uns um
„Spreenorne und später Gast“ in derWürttembergischen
Straße, dem „Mosröslein und Paradies in der Wüste.“
Ich klingelte Amt „Goldschmieds Töchtcrlein“ Nr.
„Braut von Korinth-Scholastika“ an. Unser eigenes
Lachen darüber wurde auf gut lateinisch „cachinnus“
(das „heftige Gelächter“ der Lexika) genannt. Auch
andere Bezeichnungen ließen an Kürze und Prägnanz
nichts zu wünschen übrig. So gab es z. B. einen „rin
baren Gregor“. In einzelnen Exemplaren des Erst
druckes der großartigen Legende „Gregor auf dem
Stein“ nämlich ist auf der letzten Seite infolge eines
kleinen Fehlers der Kupferplatte in der Strophe:
„Und in dem Beichtstuhl sitzt Gregor
Und neigt zur Pilgerin sein Ohr“
die Silbe „rin“ verwischt; das Exemplar also des „rin"
bar. Die von den meisten Auguren uns zugewiesene
Diagnose „Paranoia“ nahmen wir auf uns. Richtiges
Verständnis fanden wir eigentlich nur bei unserem
lieben Freunde Hanns Fechner, der uns für das
Loewe-Hohenzollern-Album ein herrliches Bild zum
„Fridericus rex“ entwarf. „Nur nicht widersprechen“,
war seine ständige Entgegnung. Mögen diese Zeilen
ihm eine frohe Erinnerung an schöne vergangene
Zeiten erwecken!
Nirgend erlebt man so viel freudige und inter
essante Überraschungen als in der Bibliophilie. Be
sonders schwer w T aren 2 Loewe-Werke zu finden: Die
„Switezianka,' (das „Switesmädchen“), eine ge-
*) Der in dem Artikel genannte Runze ist der be
kannte Pfarrer und Schriftsteller Dr. Paul Wilhelm Runze,
den die gleiche Liebhaberei mit dem Verfasser zusammen
führte.
waltigc Ballade des Polen Adam Mickiewicz, und das
„Ottobüchlein“. Von ersterer wußte man nur aus
Loewes handschriftlichem, nicht zu Ende geführtem
Verzeichnis seiner gedruckten Kompositionen, das als
„Op. 51“ diesen Titel und als Verleger „Stefanski in
Posen“ bezeichnete. Ein längst untergegangener und
in damaliger Zeit für Loewe ganz ungewöhnlicher Ver
lag. Im Laufe der Jahre fand ich nicht weniger als
6 solcher Switeziankas, mit dem köstlichen, grau-
grünlichen, illustrierten Umschläge, einer wirklichen
Inkunabel der Lithographie. Nun ist das mächtige
Werk durch Neudruck in der Gesamtausgabe für immer
gerettet. Lange suchte ich nach dem 1824 zur Sieben
hundertjahrfeier des Pommern-Apostels in Stettin
gedruckten „Ottobüchlein“, das als Musikbeilage ein
kleines frommes Chorstück des Meisters enthält. End
lich entdecke ich es in einem Antiquariatskataloge.
Daß ich’s bekommen würde, erschien mir unzweifel
haft; wer in aller Welt sollte sonst noch daran Interesse
haben ? Noch heute, glaube ich, wissen Runze und ich
allein von diesem Loewe-Chor im „Ottobüchlein“.
Das Buch war verkauft, ich dem ^Selbstmord nahe.
Vor Begehung der entsetzlichen Tat aber frage ich bei
dem Buchhändler nach der Adresse des Bestellers.
Ich erfahre den Namen eines hohen Staatsbeamten,
schreibe, da der Neid allmählich der Neugier gewichen
ist, an ihn und erhalte die liebenswürdigste Antwort:
das Buch hat für ihn deshalb Wert, weil er seinen
Stammbaum auf dem in „Ottobüchlein" ausführlich
behandelten alten Pommernherzog Domislav zurück
führt. Wie Dantes Höllenbewohner mußte ich also
jede Hoffnung auf das Büchlein fahren lassen. Wenige
Tage darauf finde ich es auf einem Wagen bei einem
„fliegenden Holländer“. Die Duplizität der Ereignisse
ist eine der häufigsten Erscheinungen beim Büchcr-
sammeln. Wäre sie nicht, dann könnte man sich gleich
begraben lassen.
Der königliche Friedhof an der Chephren-Pyramide.
Das April-Bulletin des Museum of Fine Arts in Boston
bringt hochinteressante Berichte über zu Beginn des vorigen
Jahres durchgeführte Ausgrabungen an der Stätte, wo jetzt
die Horden der Engländer ihr Lager haben; um die Pyramiden
von Gizeh lärmen ja die englischen Hilfstruppen, Tnder,
Australier und Kanadier, die von europäischer Höflichkeit und
Kultur nichts wissen. Man muß bange Sorge um die bei den
Pyramiden von Gizeh noch nicht abgeschlossenen Ausgrabungen
haben, nachdem Ausschreitungen dieser Truppen, die England
zu „Kulturzwecken“ versammelt hat, schon mehrfach kon
statiert sind.
Die Expedition der Harvard-Universität und des Bostoner
Museums hat schon einige Jahre nächst der Pyramide des
Chephren gearbeitet. Es waren namentlich Funde in neuauf-
gedeckten massiven Grabbauten der Familie eines Großen,
namens Senezem. In der jetzigen Ausgrabungsperiode waren
die Amerikaner von der Ansicht ausgegangen, daß sie nur noch
wenige abschließende Arbeiten an der Pyramide des Chephren
zu machen hätten, aber es war ein Irrtum. Das April-Bulletin
kann folgende Resultate dieser Ausgrabungstätigkeit kund
geben: 1. Der größte Teil der Reihen von massiv gebauten
Mastabas des südlichen Friedhofes an der Chephren-Pyramide
wurde ausgeräumt. 2. Die königlichen Mastabas dieses südlichen
Friedhofes sind in die Zeit des Chephren selbst zu. datieren,
während die westlichen Mastabas der Cheops-, die östlichen
der Mykerinus-Periode angehören (drei Pharaos der vierten
Dynastie 2930 bis 2750 v. Chr.) 3. Die auch in der Gegenwart
zu neuer Wichtigkeit geratenen Beziehungen zwischen Ägypten
und Syrien werden für die Zeit der vierten Dynastie durch
wichtige Fakten erläutert. 4. Lebensgroße Porträts in
Kalkstein von acht Mitgliedern der königlichen Familie des
Chephren wurden gefunden, solche Extraköpfe magischer Art,
die dem Toten mit in das Grab gegeben wurden, damit ein
Ersatz da ist, wenn der wirkliche Kopf in den Gefahren der
anderen Welt verloren geht. Unter diesen Porträtköpien ist
der einer Prinzessin, die einen ausgesprochenenNegroiden-
typus hat. Möglicherweise war aber die Fürstin nicht reiner
Negerabstammung, sondern eher die Tochter eines Ägypters
und einer Negersklavin. Man kann diesen Kopf als das älteste
bekannte Porträt eines Negers, beziehungsweise einer Negerin
ansehen. Außerdem sind zwei männliche Köpfe sicher un-
ägyptiscb und können in das westliche Asien verwiesen werden;
wahrscheinlich sind diese Prinzen Söhne asiatischer Weiber
aus dem pharaonischen Harem, in den Frauen aus Asien als
Gefangene, als Tribut oder als Gemahlinnen der Könige
Ägyptens gelangten.
Wir wissen aus den Inschriften in den Malachitstein
brüchen der Sinaihalbinsel, daß die ägyptischen Könige schon