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Zeniralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
14. Jahrgang. Wien, 1. Juni 1922. Nr. 11. 
Gedanken eines Sammfers. 
Von Dr. Heinrich Herbatschek, Rechtsanwalt, Wien. 
Es gibt noch immer Leute genug, die das Sam- . 
mein als miissige Beschäftigung verlachen und eine 
Kunst des Sammelns schlechthin leugnen. Andere wieder 
erblicken in' der Neigung zum Sammelsport selbst 
süchtige Triebe und wollen nur einen geschäftlichen 
Gesichtspunkt gelten lassen. Unter der Voraussetzung, 
dass man tatsächlich das echte Sammeln und nicht 
etwa blosse Spielerei oder egoistische Betätigung im 
Auge hat, kann füglich behauptet werden, dass der 
Sammler in sozialer, ethischer und künstlerischer Be 
ziehung den gleichen Rang verdient, wie ein Politiker, 
Sportsmann oder Forscher. Die Summe von Konzen 
tration, Fachkenntnis und Aufopferung, welche zum An 
legen und zur Pflege einer Sammlung notwendig ist, 
hält in der Regel den Vergleich mit den psychischen 
und materiellen Bedingungen aus, von welchen jeder 
Sport oder beispielsweise die Filmkunst abhängig ist. 
Der Sammler von historischen Erinnerungen, z. B. 
Werken über Friedrich den Grossen, Napoleon, Lincoln, 
von Bildern eines hervorragenden Künstlers erfüllt eine 
ähnliche Kulturaufgabe, wie der Schriftsteller, dem wir 
die Schilderungen der Geschichte verdanken. Samm 
lungen von Handschriften berühmter Persönlichkeiten, 
von Almanachen, künstlerischen Erzeugnissen einer be 
stimmten Periode bilden eine sichere Unterlage für 
kulturhistorische Forschungen und jede spätere Gene 
ration muss den Bemühungen der Sammler restlos 
dankbar sein, zumal der Aufbau versunkener Epochen 
aus Erinnerung und Phantasie allein schlechtweg un 
möglich wäre. 
Wer vermöchte eine verlässliche Darstellung der 
Entwicklung eines Landes oder einer Großstadt zu 
wagen, ohne aus alten Bildern, Plänen, Büchern, Be 
lehrung und Anregung zu schöpfen? Aber für den For 
scher bedeuten die Quellen wichtige Voraussetzungen 
seiner Studien, für den Sammler knüpfen sich an die 
äusseren Zeichen der Geschichte intime Reminiszenzen, 
imponderable Herzensmomente. Es ist ein gewisser 
Seelenkitt, der ihn mit den Stücken seiner Sammlung 
verbindet. Wieviele Sammlungen üben von selbst die 
anziehende Kraft des Selbsterlebten und gewähren ein 
Kulturbild von überraschender Wärme. Wie könnte 
anders ein Werk über das Aufblühen von alten Kultur 
stätten geschaffen werden, als unter Zuhilfenahme der 
sorgsam aufbewahrten Publikationen, Flugblätter. An 
sichten, Waffen, Münzen, Medaillen, Porzellanen, 
Schnitzereien, Textilien, Plastiken, Kalender usw. Aber 
auch die Einzelbilder der Weltgeschichte, die Schilder 
ungen von grossen Ereignissen, vornehmlich die Bio 
graphien hervorragender historischer Persönlichkeiten 
müssten ungeschrieben bleiben oder recht dürftig aus- 
fallen, ohne das Requisit und die Unterlagen, welche 
in den Sammlungen reichlich aufgestapelt sind. 
Wer nicht aus Liebe sammelt, verdient nicht diesen 
Namen, denn wie nur derjenige ein wahrer Kunstfreund 
genannt werden kann, welcher die Schönheit als An 
nehmlichkeit des Lebens empfindet, so ist nur der tiefer 
eindringende, liebevolle, aus innerem Antriebe begei 
sterte „Sucher“, dem das Aufspüren von Funden Ffeude 
und Reiz bedeutet, ein wirklicher Sammler. Verständnis, 
Achtung vor dem Werte des Objektes und innere Be 
friedigung über den Besitz müssen sich vereinigen. 
Eines ohne das andere reicht nicht aus, um das Sam 
meln als wahre Kunst erscheinen zu lassen. Die blosse 
Liebhaberei, das Tändeln und Kokettieren mit gewissen 
Dingen, die ein Affektionsinteresse erwecken, muss vor 
dem ernsthaften, verständnisvollen Sammeln zurücktreten. 
Ein gutes Merkmal für den richtigen Sammler ist 
die Spezialisierung. Es gibt allerdings sehr umfangreiche 
Sammlungen, die einer räumlichen oder zeitlichen Be 
grenzung aus verschiedenen Gründen entraten können. 
Aber es bleibt wahr, dass sich auch beim Sammeln 
der Meister in der Beschränkung zeigt. Eine Viennensia- 
Sammlung, die Bilder, Plastiken, Silber, Bücher, Hand 
schriften, Perlbeutel, Trachten, Glas und Porzellan etc. 
umfasst, historische, künstlerische und wirtschaftliche, ja 
sogar politische Ambitionen verfolgt, kann einerseits 
nicht auf Vollständigkeit Anspruch erheben, sie kann 
aber auch dem Sammler niemals jene Befriedigung 
schaffen und jene Freude bereiten, welche eine kon 
kretisierte, also irgend wie begrenzte Sammlung hervor 
zurufen geeignet ist. Man mache nur den Versuch, die 
kürzlich von der Gemeinde Wien veranstaltete Beethoven- 
Gedächtnis-Ausstellung mit einem Museum der Musik 
zu vergleichen oder etwa die Pettenkofen-Sammlung, 
welche in ihrer ganzen Pracht zu sehen war, auf eine 
Linie mit einer Ausstellung im Kristallpalast zu stellen. 
Die Konzentration ist vom aesthetischen, wie auch vom 
Standpunkt des Fernstehenden ein Charakteristikon für 
den richtigen Sammler. 
Wie alles in der Welt darf auch die Kunst des 
Sammelns nicht übertrieben und nicht degradiert werden,
	        
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