Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Norbert Ehrlich
22. Jahrgang Wien, 1. Juni 1930 Nr. 11
Die erste figdor-^Auktion.
Die erste Figdor-Auktion findet, wie
von uns schon mitgeteilt, vom 11. bis 13. Juni 1930
in Wien statt. Mit ihrer Durchführung sind die
Kunstauktionsfirmen Glückselig und A r t a r i a
(Wien) und Paul Cassirer (Berlin) betraut. Der
Schauplatz wird aber nicht, wie ursprünglich geplant,
der große Saal im Messepalast, sondern der Saal
des Militärkasinos sein, der zuletzt der Auktion
Weinberger gedient hat.
Ueber den Umfang der Auktion unterrichtet ein
zweibändiger Katalog, der mit dem Porträt des Dr.
Albert F i g d o r geschmückt ist und auch zahl
reiches Bildermaterial enthält. Das Vorwort hat
Otto von Falke geschrieben, der die Sammlungen
Figdors wie kein zweiter kannte und der daher der
berufenste war, sie zu würdigen. Er faßt sich an
gesichts der Tatsache, daß es sich da fast durch-
gehends um Objekte handelt, die der Kunstliteratur
angehören, kurz, und wir glauben, es wird genügen,
wenn wir den sachlichen Teil des Vorwortes wieder
geben.
Falke sagt: Von den beiden großen Abteilun
gen, Möbeln und Textilien, die den Haupt
bestand der ersten Auktion bilden, sind es nament
lich die ersteren, die die speziellen Ziele und Nei
gungen des Sammlers zum Ausdruck bringen. Die
an Zahl überwiegenden Sitzmöbel lassen deutlich
eine Vorliebe für mittelalterliche, zum Teil aus der
Antike herstammende Stuhlformen erkennen, deren
weitere Entwicklung durch die Renaissance und das
Barock zu verfolgen ist. Diese Aufgabe erfüllt die
lange Reihe von Faltstühlen aus wuchtigen Vierkant-
hölzern mit Lehnen, die hier mit einem in Certosa
mosaik verzierten gotischen Exemplar beginnt. Den
älteren lehnenlosen Faltstuhl, die sella curullis der
Antike, vertreten die kirchlichen Faldistorien aus
Marburg und Steiermark und aus Brünn und schlich
tere Exemplare aus Tirol und Danzig, die den Ueber-
gang zum einfachen Feldstuhl ankündigen. Ueberaus
seltene Formen, die schon mit dem Mittelalter
wieder ausstarben, sind die beiden zerlegbaren
Lehnstühle aus dem Etschgebiet, der reich ge
schnitzte Stuhl aus Aosta, der Faltstuhl aus Eppan
und der Stuhl aus Norwegen, dessen Form und
Schnitzerei die romanische Tradition über das
Mittelalter hinaus ferngehalten haben: alles wohl-
bekannte Dokumente zur Kunstgeschichte des Mo
biliars. Auch der vornehme Strozzi-Stuhl, das be
rühmteste Möbel dieser Sammlung, geht auf einen
uralten, ganz schlichten und volkstümlichen Typus
zurück; ausgezeichnet durch das Wappen eines der
reichsten Florentiner Geschlechter des Quattro
cento, ist er die höchste künstlerische Veredlung
des einfachen und urwüchsigen Dreibeinschemels.
Die Textilien der Sammlung Figdor glie
dern sich, abgesehen von Stickereien und Spitzen,
in drei Gruppen: Bildteppiche, orientalische Knüpf
teppiche und gewebte Seidenstoffe. Das Schwer
gewicht der letzten Gruppe bilden die polychromen
Samtstcffe Italiens aus dem 15. Jahrhundert, die
kaum in einer anderen Sammlung so gut vertreten
sind, wie hier. Die herrlichen Perserteppiche und
die deutschen Bildseppiche gehören der Kunstlitera
tur an. Von den umfangreichen Wandteppichen hat
sich Dr. Figdor aus Gründen der Raumnot zurück
gehalten; waren doch alle Wände seiner Wohnung
bis oben hinauf in Anspruch genommen, um Bilder,
Skulpturen, Schilder, Epitaphien, Messingbecken,
Majoliken und Ofenkacheln nebst den kleineren
Bildteppichen unterzubringen. Daß er gelegentlich
doch eine Ausnahme machte, wird begreiflich. . wenn
man den großen Tournay-Teppich mit einer länd
lichen Gerichtsszene aus dem dritten Viertel des
15, Jahrhunderts genauer betrachtet, der erst ganz
kürzlich in die Kunstliteratur eingeführt worden ist.
Der Cartonier dieses Teppichs muß ein großer
Meister der Charakteristik gewesen sein. Die Köpfe
der Landleute, denen nach der plausiblen Ansicht
Figdors eine Steuerauflage verkündet wird, zeigen
alle Abstufungen der Gefühle, die eine so uner
wünschte Nachricht bei der misera plebs contribuens
hervorruft. Bei der Mittelgruppe, die unmittelbar
vor dem Gerichts- oder Gutsherrn steht, schlaues
Mißtrauen, aber auch vorsichtige Zurückhaltung
unter dem Blick des Herrn, Bei der gedrängten
Gruppe im Hintergrund, denen ein Profos den Be
fehl übermittelt, Erschrecken, Zorn und offener
Widerspruch.
Von der Beigabe der Schätzungspreise ist abge
sehen worden. Man folgte dem Beispiel der großen
Kunstzentren London und New York. Wie sich diese
Neuerung in Wien bewähren wird, bleibt abzuwar
ten, wie denn die Figdor-Auktion überhaupt eine
große Kraftprobe für den Wiener Kunstmarkt be
deutet. Wir wollen hoffen, daß er diese glänzend
bestehen werde.