Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Norbert Ehrlich
22. Jahrgang Wien, 15. Februar 1930 Nr. 4
Drei Jahrhunderte vlämische JCunst.
Dem Verein der Museumsfreunde in Wien, der
sich in den wenigen Jahren seines Bestandes zu
einem überaus wichtigen Faktor im Kunstleben der
Bundeshauptstadt entwickelt hat, ist nun auch eine
retrospektive Ausstellung von internationaler Bedeu
tung zu danken. Sie führt den Titel ,,Drei Jahrhun
derte vlämische Kunst“ und umspannt die Zeit von
1400—1700.
Dr. Gustav Glück hat das Geleitwort zum
Katalog geschrieben, das einen sehr lehrreichen
Kursus über die vlämische Malerei bietet. Glück,
einer der besten Kenner der altniederländischen
Malerei, knüpft an die edle Kunst des Miniaturen
schmuckes mittelalterlicher Handschriften an, aus
der in einer malerischen Technik die, wenn auch
nicht, in ihrer Erfindung, so doch in ihrer Anwen
dung neu ist, ein ungeahnter Stil der Tafelmalerei
hervorging, ein Stil, voll von herbem Realismus,
innigster Frömmigkeit, wärmster Liebe und größter
Ehrfurcht vor der Materie der Farbe selbst. In feiner
Weise charakterisiert er die Meister, die dieser
Schule angehörten. Er weist auf die unerhörte Lei
stung der Brüder van Eyck hin, deren Genter
Altar heute, wie damals, ein Gegenstand der größten
Bewunderung ist, er kennzeichnet die großen künst
lerischen Individualitäten, den phantasievollen und
doch erdnahen Meister von F 1 e m a 11 e, den sich zu
pathetischem Schwung erhebenden, genialen Erzäh
ler Roger van der W e y d e n, den trotz seiner
schüchternen Art unendlich anziehenden Dirk
Bouts, den leidenschaftlichen, groß empfindenden
Hugo van der Goes, den liebenswürdigen, mensch
lich heiteren Hans Memel.
Glück skizziert die allmähliche Wandlung in der
Weltanschauung dieser Meister, die bald nicht mehr
fromme Kunstwerker, sondern denkende Künstler
sein wollen. Bahnbrecher ist hier Quentin Massys,
der freilich noch die frühere Innigkeit der Empfin
dung mit der neuen (aus Italien verpflanzten) Frei
heit und Unbefangenheit zu verbinden weiß. Ihm
folgen, die Kunst immer mehr verweltlichend, Jan
Gossaert, genannt M a. b u s e, Bernaert van
O r 1 e y, Peter Coecke, Joos van Cleve, die
Antwerpener Manieristen, darunter Dirk V e 11 e r t.
Die Figuren erhalten eine freiere Beweglichkeit im
Sinne der italienischen Renaissance, der Stil wird
von einem stark dekorativen Zug erfüllt, der sich
am schönsten und bedeutendsten in den köstlichen
Wandteppichen der Brüsseler Werkstatt ausspricht.
Die Teilung des Stoffgebietes der Malerei in beson
dere Gattungen beginnt sich zu entwickeln, Joachim
de P a t i n i e r ist zum Beispiel der erste Land
schaftsmaler als Spezialist.
Im Späteren Verlaufe des 16. Jahrhunderts tre
ten profane Gegenstände, Sittenbild, Stilleben, My
thologie, Allegorie hervor und in Pieter Br eughel
dem Aeltern, dessen unvergleichliches Wirken wir
auf dieser Ausstellung nur in Zeichnungen und in
Arbeiten von Nachfolgern, Marten van Cleve und
Pieter B r e u g h e 1 dem Jüngern erkennen können,
sehen wir den eigentlichen Schöpfer des Sittenbildes,
wie auch er zu manchen anderen Gattungen den
Grund gelegt hat.
Allmählich wird das Format der Gemälde größer
und größer, die Malweise dementsprechend breiter
und flüssiger, das Studium des Nackten wird zu
einer Hauptsache, Eigentümlichkeiten, die man in
clei Werken von Rubens bedeutendstem niederlän
dischen Vorläufer Frans Floris beobachten kann.
Endlich tritt am Anfang des 17. Jahrhunderts Ru
bens auf, in den Niederlanden vor- und in Italien
ausgebildet, international und doch national gerich
tet, voll Temperament und zugleich voll kluger Be
rechnung, ein großer Erzähler und ein gottbegnade
ter Maler in einer Person. Durch ihn allein ersteht
ein neuer, großer, ganz unvergleichlicher Stil, der
mehr als ein Jahrhundert unüberwunden bleibt, der
niederländische Barockstil, der mit des großen Künst
lers Namen auf immer verknüpft bleibt.
Bis zum 17. Jahrhufidert laufen die Wege der
Malerei der südlichen Niederlande (des heutigen
Belgien) mit denen der nördlichen (des heutigen
Holland) noch ziemlich parallel nebeneinander; nun
beginnen sie sich erst völlig zu trennen. Vieles an
dieser Trennung, erklärt sich aus der Verschiedenheit
des Glaubensbekenntnisses, manches daraus, daß in
Holland der Hof als Mittelpunkt künstlerischer Be
wegung fehlt. Die vlämische Malerei geht mehr auf
das äußerlich Großartige, Dekorative aus, die hollän
dische mehr auf das Intime, Beschauliche. Dort herr
schen große Formate, breite Malweise, hier gerin
gere Maße, sorgfältigste Farbenbehandlung. Die
Kompositionen der Vlämen sind erzählend und voll
von lebhaft bewegten Figuren, die der Holländer
schildern Zustände und zeigen mehr die Ruhe
schlichter Naturanschauung. Die religiöse Empfin
dung ist in Belgien mehr äußerlich, in Holland mehr
innerlich, auf das Gemüt der einzelnen gestellt. Das