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vielfach reizenden Panoramen, unter denen von besonderem Interesse jenes auf das
Sterzinger Moos ist, das nunmehr entsumpft schöne Culturgründe zeigt, die nicht die letzte
Quelle des Wohlstandes der rührigen Stadt bilden. Über Sterzing erhebt sich eine Reihe
stattlicher Spitzen; im Osten ragen die Riesen des Pfitscherthals, im Nordwesten in ernster
Hoheit der Üblethalserner, der ausgedehnteste Gletscherstock der Stubaiergruppe in die
Wolken. Überdies ist Sterzing auch wichtig als Knotenpunkt von vier daselbst einmündenden
Thälcrn, von denen das Ridnaunthal in denÖtzthaler-, das Psitschcrthal in den Zillerthaler-
stock führt; ein Seitenthal des Ridnaunthales, das Ratschingesthal, dessen Schönheit
im tobenden Ratschingeserbach besteht, ist bedeutsam durch seinen Reichthum an Marmor,
der weithin verführt wird, sowie an seltenen Mineralien, wie Prehnit, Spodumen,
Staurolith und Turmalin in schönen Formen. Südlich steigt das Jaufenthal allmälig
zur Jaufenhöhe (2.100 Meter) an und bildet den kürzesten Verbindungsweg zwischen
Meran und Sterzing, auf welchem früher ein reger Wagenverkehr bestand und auf dem
im Jahre 1809 Andreas Hofer seine Getreuen ins Innthal führte. Unterhalb Sterzing
erreichen wir in weiter Thalsohle zur Linken die berühmte Wallfahrtskirche von Trens
(Torrentes), deren vielbesuchtes Gnadenbild aus dem Schutt eines Wetterdachs aus
gegraben wurde.
Werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf die prächtigen Eiswände im Norden,
es ist der letzte! Östlich drüben trauert die Ruine Welfenstein, einst römische Thalsperre,
in gewissem Sinne der Grenzpfahl der nordwärts wandernden Südflora. Bald folgt Mauls,
ein gar stattliches Dorf am Eingang in das kleine Rizailthal. Im Übrigen ist hier die
Gegend ziemlich einförmig: rechts der Schienenstrang, links die Poststraße, in der Mitte
der schäumende Fluß, hüben und drüben hochemporragende Bergwände, Granitfelsen mit
schütterer Walddecke.
Immer enger und enger rücken die Berge zusammen und eine senkrecht vor uns
aufgestellte Wand, der Plosebügcl, versperrt uns jeglichen Ausblick; schon sinnen wir,
wie das noch weiter kommen soll da, ein Schritt, und wir erblicken zur Linken
die Station Franzensfeste und die mächtige Festung — und nun liegt vor uns ein weites,
herrliches Thal, aus dem milde Frühlingsluft uns entgegenweht und statt dunkler Föhren-
und Tannenwälder Reben, Kastanien, Nußbäume und Blüteneschen die lieblich glänzenden
Terrassen bekleiden; es ist ein Übergang vom düsterrauhen Nord zum ewiglachenden Süd,
wie er greller nicht leicht irgendwo auftritt. Dazu aber noch die wundervolle Ausschmückung
dieses Rahmens: vor uns das freundliche Städtchen Brixen mit den rothen, grünen
und weißen Dächern, zur Rechten das in südlichem Buschwerk versteckte Dörfchen Vahrn,
links das altehrwürdige Kloster Neustift, darüber der mächtige Plosebügel mit freundlichen
Dörfern und Kirchen bedeckt, den Südrand des Lüsenthals bildend, und der Bergwall
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zwischen dem Eisack- und
Rienzthal mit der einsti
gen Feste Rodeneck so
wie den Weingeländen
von Schabs, im Hinter
grund die Berge von
Vals und Pfunders, ja
selbst die Hochgipfel des
Zillerthals, nach rück
wärts die Schlucht des
Eisackthals mit der so
kühn darüber schwebenden
Eisenbahnbrücke, daneben
die weißgraue Festung
mit dem zinnoberrothen
Ziegeldach, nahe daran an
der Berglehne der Thurm
der Brixner Klause an der
Landstraße — ein Bild,
das weitum seinesgleichen
sucht.
Brixen, an Stelle
des alten Prichna erbaut,
ist eine ehrwürdige Reli-
Sterzing mit dem Rathhaus. gute für die Kllnst- Und
Weltgeschichte; ein Besuch
des Kreuzganges am Dom bestätigt dies Wort wohl ausreichend. Daneben liegt
das Johanniskirchlein, in welchem 1080 das Concil stattfand, die Pfarrkirche aus dem
Jahre 1038, die alte Bischofsresidenz n. s. w. Die Umgebung bietet herrliche Ausflüge:
im Nordwesten öffnet sich, am Eingang von der Ruine Salern bewacht, über Vahrn
das den kühlenden Wildbach entlang ziehende Schaldererthal mit dem Bad Schaldcrs und
Steinwand; von der Plose (2.242 Meter) aus umfaßt das Auge Tirol zwischen dem
Ortler und den Tauern, den Dolomiten und dem Adamcllo; links über der Stadt
am Mittelgebirge liegt Tschvtsch, die Heimat des berühmten Orientalisten Fallmerayer;
dem Schaldererthal fast gegenüber führt ein schmaler düsterer Waldespfad ins Lüsenthal
mit Zirbelwäldern von seltener Pracht und Fülle, woher das Sprüchlein: „Das Lüsenthal
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