classischen Alterthume hat sie in der Textilkunst die weitaus vornehmste
und tonangebende Rolle gespielt. Mit der Verbreitung der Seidengewebe,
der Ausbildung und Vervollkommnung der Schaft- und Trittweberei, mit
der zunehmenden Tendenz nach Arbeitstheilung und möglichster Oeko-
nomie in Zeit und Kraft verlor die äußerst zeitraubende Wirkerei rasch
an Terrain, so dass wir heute auf europäischem Boden nur noch ihre
halbfossilen Ueberreste in einigen slavischen und skandinavischen Land-
schaften nachzuweisen vermögen, die man mit sehr geringer Aussicht
auf Erfolg zu einer Wiederbelebung dieser Technik im Wege einer Haus-
industrie auszunützen trachtet. Blos der Orient, der treueste Hüter und
Bewahrer alter Kunsttechniken, hat auch die Wirkerei bis auf den heutigen
Tag in Pflege behalten; doch wird man Mühe haben, in dem Product
der modernen orientalischen Teppichwirkerei, dem Kilim, die obwaltende
enge Verwandtschaft mit den Pariser Gobelins zu erkennen.
Wenn wir nun lesen, dass das ideale Maß der Gesammtleistung
eines Arbeiters an der Manufacture des Gobelins für den Zeitraum eines
ganzen Jahres nicht mehr als einen einzigen Quadratmeter beträgt, welche
Leistung nur sehr selten überschritten, in den meisten Fällen gar nicht
erreicht wird, so werden wir die hohen Kostenpreise dieser Arbeiten er-
klärlich finden, durch die eben ihre Heranziehung zur Ausschmückung
bürgerlicher Wohnräume im Allgemeinen unmöglich gemacht erscheint.
Kommt doch die Handarbeit allein für jeden solchen Quadratmeter im
Durchschnitt auf zouo Francs zu stehen, ungerechnet das Material, die
Kosten der Administration, das Honorar des den Carton entwerfenden
Künstlers u. s. w. Darin ist aber zugleich der Grund zu suchen, warum
die Gobelinwirkerei trotz ihrer Unzugänglichkeit für den Maschinenbe-
trieb und für weitergehende Arbeitstheilung dennoch nur mehr im Wege
des conceutrirten Fabriksbetriebes gedeihen kann. So sehen wir sie
heute im Wesentlichen auf die Staatsmanufactur der Gobelins zu Paris
und auf einige wenige capitalskräftige Privatanstalten in Frankreich und
Belgien beschränkt.
In früheren Zeiten ist es aber nicht immer so gewesen. Wenn wir
auch schon aus dem 14. Jahrh. riesenhafte Denkmäler dieses Kunstzweiges
besitzen, von 24 Meter Länge und 5 Meter Höhe wie die apokalyptischen
Scenen in der Kathedrale zu Angers, bei deren Herstellung ein größeres
Betriebscapital und eine Vereinigung mehrerer Arbeiter zu einer gewerblichen
Organisation vorausgesetzt werden müssen,so dürfen wir doch in den vielfach
erhaltenen kleinen Rücklaken, wie sie insbesondere in Deutschland bis
tief in's 16. Jahrh. hinein erzeugt worden sind, Arbeiten von Kleinge-
werbetreibenden erblicken, die ohne nennenswerthes Betriebscapital und
ohne eine größere Anzahl von Gehilfen auf jeweilige Bestellung kleine
Antependien, Dorsalien, Votivbilder u. dgl. zur Ausführung brachten.
Solcher Art findet sich in der Ausstellung z. B. ein gewirktes Votivbild
(Oesterr. Museum), mit den knienden Figuren eines Nürnberger Patri-
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