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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1886 / 7)

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der Miniaturmalerei noch kein Gebäude erblicken könne, das auch nur in den wesent- 
lichen Formen fertig ist. lndess lisst sich ein leitender Faden wohl Enden. Dieser ist 
in den nahen äußeren und inneren Beziehungen der Miniaturen zur Schrift gegeben. 
Eine gedrangte Uebersicht über die Entwickelung der lateinischen Schrift - über ihr 
Herabkomrnen im frühen Mittelalter, ihre Reform im Zeitalter Carl d. Gn, deren Nach- 
wirkung durch etwa drei Jahrhunderte fühlbar bleibt, über ihre gänzliche Umgestaltung 
im späten Mittelalter und ihren Niedergang durch Erfindung der Buchdruckerkunst - 
dient als Beispiel für jene Beziehungen. Auch was die Miniaturmalerei anbelangt, sei als 
classische Periode die carolingische Zeit zu betrachten. Diese beherrscht dann wieder 
die Producte des hohen Mittelalters, die indess einen Rückgang vorstellen. Auch die 
ganzliche Neugestaltung im späten Mittelalter kehrt wieder, desgleichen der Abschluss 
durch die Erfindung der mechanischen Vervielfältigung durch Holzschnitt und Kupfer- 
stich. Dieser im Allgemeinen skizzirte Entwickelungsgang wurde hierauf vom Vortra- 
genden im Einzelnen verfolgt. Er berührt die erhaltenen Copien von antiken Bilderhand- 
schriften unter Hinweis auf den älteren Vaticanischen Virgil, auf die llias der Ambro- 
siana, auf die verschiedenen Terenzhandschriften. Zwei ausgestellte Blatter aus Chate- 
laine's -Pal6ographie des classiques latins- zeigen die überraschende Colncidenz der 
Bilder in der Pariser und der Mailänder Handschrift des Terenz. Die Diosltorides- 
Handschrift in Wien und der Nicander in Paris werden erwähnt. 
Nach den erhaltenen Copien müssen wir uns einen Begriff von den verlorenen 
antiken Originalen machen, mit denen sich erst classische Bildung, nachher christliche 
Religion von Rom aus und später von Byzanz in die Welt verbreitet hat. Als älteste 
Bilderhandschriften christlichen Inhaltes werden die Wiener Genesis, der Codex Rossa- 
nensis, das syrische Evangeliar der Laurentiana und der Ashburham-Pentateuch genannt. 
Letzterer, aus dem 7. Jahrhunderte stammend, dient als deutliches Beispiel des Verfalles 
von Bild und Schrift im Laufe des frühen Mittelalters. Uebergehend zur Entwickelung 
der Miniaturmalerei im Westen und Norden, spricht Frimmel von der kalligraphischen 
Schule der Iren und Angelsachsen. Zahlreiche ausgestellte Proben vertreten diesen, im 
Ornament ebenso hoch-, als in Wiedergabe der menschlichen Figur tiefstehenden Styl, 
zu dessen wichtigsten Merkmalen die Anwendung von schmalen Bändern in dichter, 
abwechselungsreicher Verschlingung gehört. Spitzwinkelige Knickungen der Bänder sind 
in dem angelsächsischen Geriemsel überaus häufig. Die Initialornamentik, die in den 
antiken Handschriften gänzlich gefehlt hat, beherrscht die angelsächsischen Miniaturen 
so weit, dass ihr auch die menschliche Figur sich unterordnen muss. Die gemaldeartig 
wirkenden Bilder der antiken Handschriften sind hier vollständig verschwunden. Ver- 
haltnissmaßig eingehend besprach Frimmel hierauf die carolingische Miniaturmalerei, 
indem er auf die altchristlichcn Elemente, auf die merovingischen, antiken und orien- 
talischen einging, welche in den carolingischen Bildern nachweisbar sind. So hat man 
in dem Auftreten des Löwen als Trager von Saulen (z. B. in der Bibel Carl des 
Kehlen zu Paris) ein schon bei den Assyrern beliebtes Motiv zu erblicken; auch das 
Auftreten der Elefanten im Ornament weist auf den Orient. Die Bandvcrschlingungen 
in carolingischen Handschriften lassen entweder angelsächsische oder merowingische 
Vorbilder erkennen. Ueberaus zahlreich sind die antiken Elemente. Personificationen 
von Sonne, Mond, Erde, Meer, die Aufnahme von Gestalten aus classischen Mythen 
(z. B. der Chimaira), nicht zum wenigsten die Architektur der Canoncsarcaden, sowie 
die Nachahmung von antiken Münzen und Gemmen beweisen die Wichtigkeit der Antike 
für die carolingischen Miniaturen. 
Hierauf weist der Vortragende auf einige Beispiele hin, welche die zwei wich- 
tigsten Gruppen carolingischer Miniaturen: die mit vorwiegend angelsachsischer und die 
mit mehr antikisirender Ornamentik, vertreten. Auch die mehr originelle, frei erfindende 
Richtung, die im berühmten Utrecht-Psalter vertreten ist, wird berührt. Diese freie Art 
der Federzeichnung sei dann auch später nicht ausgestorben, sondern habe in aufstei- 
gender Entwickelung zu Producten geführt, wie sie uns in den Federzeichnungen der 
Van Eyck, des Schongauer, XVolgemut und des jungen Dürer bekannt sind. 
Bezüglich der carolingischen Vulgata in Bamberg hebt Frimmel die silhouetten- 
artige Behandlung der Figuren und der Landschaft hervor. Roth geranderte Flachen in 
Gold und in seither schwarz gewordenem Silber bilden die Figuren. Ausgestellt war 
eine Bause, darstcllend einen streng stylisirten Baum, mit Rosetten an dünnen Stengeln. 
Daneben sah man die Zeichnung nach einem analogen Motiv, das sich auf einem römi- 
schen Stoffe des Fundes von El Faijum Endet. (Nr. 403-405 der 1883 ausgestellten Stoße.) 
Unter den späteren carolingischen Bibeln wird besonders die von Carl dem Kahlen 
hervorgehoben, unter Hinweis auf Bastard's Publication dieser Bibel. Das Psalterium 
aureum von St. Gallen leitet zur Kunst des hohen Mittelalters hinüber. Bezüglich der 
überaus zahlreichen Bilderhandschriften aus dieser Periode wird die Vernachlässigung 
besprochen, in welcher sie von Seiten der Wissenschaft bisher gelassen werden ist. Die 
F. X. Kraus'sche Lichtdruckpublication des Codex Egberti in der Stadtbibliothelt zu 
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